Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)

Nr. 9 Kaiserswerth, Pfalz um 1184

Beschreibung

Bauglied (Sturz?) mit poetischer Funktionsangabe. Trachyt; erhalten nur der mittlere Teil des Steins; rechts und links Abbrüche, so dass Anfang und Ende der beiden Zeilen verloren sind. Heute in der Ruine freistehend in der nördlichen Fensternische der Westfront aufgestellt. Der Stein war, vermutlich ursprünglich, aber erst zu Anfang des 17. Jahrhunderts sicher belegt, am sogenannten Klevischen Turm zur Rheinseite hin angebracht.1) Wahrscheinlich bei der Zerstörung der Pfalz im Jahr 1702 zerbrochen, gingen die seitlichen Teile im 18. Jahrhundert verloren.2) Der erhaltene Teil wurde 1874 aus dem Rhein geborgen und auf eine Rasenfläche an der Ruine verbracht.3) 1894 war er in einer der Fensternischen an der Westseite eingemauert.4) Die Buchstaben der beiden Hexameter sind dreieckig eingekerbt. Jede Zeile ist oben und unten durch eine einfache Linie begrenzt, eine seitliche Begrenzung ist wegen des Erhaltungszustandes nicht mehr erkennbar, aber aufgrund der Verwandtschaft zu den weiteren Inschriften in der Pfalz (Nrn. 7 u. 8) anzunehmen. Am oberen Rand ist eine leicht profilierte Kante zu erkennen; das Feld für die Schrift ist leicht eingetieft. Insbesondere in der unteren Reihe wurden einige Buchstaben überarbeitet.

Ergänzungen nach Rheinbrohler Kopiar.

Maße: H. (42 cm); B. (122 cm);5) Bu. 9 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Gerda Hellmer) [1/2]

  1. [ALCMARI DE] MONTE · RVI · DE · RVPE · DR[ACONIS / OSTIA PA]NDO6) · BONIS · NAVTISa) · SIM(V)LAT[QVEb) COLONIS]

Übersetzung:

Vom Berg des Alkmar stürzte ich hinab, vom Felsen des Drachen. Die Tore öffne ich den guten Schiffern und gleichermaßen den Bauern.

Versmaß: Hexameter (Endreim, der 2. Vers zweisilbig leoninisch gereimt).

Kommentar

Die Schrift dieses Steins besitzt große Ähnlichkeit mit der der beiden weiteren Inschriftenträger in der Pfalz (Nrn. 7 u. 8). Eine paläographische Beurteilung ist allerdings nur für den größten Teil der ersten Zeile ohne Einschränkungen möglich, da die letzten Buchstaben dieser sowie die Buchstaben der zweiten Zeile überarbeitet wurden. Dabei wurden die Schäfte und Bögen der Buchstaben breiter nachgearbeitet und ihre Enden ausgeprägter gestaltet. Für beide Zeilen ist jedoch festzustellen, dass sich keine unziale Form findet.

Der Vergleich der in der ersten Zeile verwendeten Buchstabenformen mit jenen der beiden in der Pfalz befindlichen Stürze zeigt, dass auch auf diesem Stein das R offen und die am Bogen ansetzende geschwungene Cauda am Ende nach rechts umgebogen ist. Der Mittelteil des M endet wie auf den beiden anderen Trägern auf der Zeilenmitte, das O ist oval ausgeführt. Die Schaft- und Bogenenden laufen in Serifen aus. Als Worttrenner dienen ebenfalls Punkte auf der Zeilenmitte. In den zwischen Schäften und Bögen entstehenden Winkeln sind Ansätze zu einer Ausrundung zu erkennen. Aufgrund der Übereinstimmungen der Buchstabenformen sowie der Gestaltung des Schriftfeldes (Linien, eingetieftes Feld) mit den Stürzen ist dieser Träger mit hoher Wahrscheinlichkeit zur selben Zeit wie diese angefertigt worden und wird daher auf um 1184 (vielleicht um 1190?) datiert.7)

In der zweiten Zeile sind vielleicht aufgrund fehlenden Platzes, vielleicht auch wegen eines Schreibfehlers (fälschlich zunächst NAVS oder NAVIS) bei NAVTIS V und T miteinander verbunden und das I unter die VT-Ligatur gestellt. Bei der Bearbeitung wurden die Buchstaben breiter und tiefer gekerbt und dadurch auch die Schaft- und Bogenenden stärker gestaltet. Besonders deutlich in BONIS und NAVTIS sind bei I und N gespaltene Schaftenden zu sehen. Bei B ist der Winkel zwischen Schaft und Bogen so ausgerundet, dass er gekerbt wirkt. Festzuhalten bleibt aber auch für die zweite Zeile das Fehlen unzialer Formen, das für alle drei Inschriften an der Pfalz mit Ausnahme eines einzigen unzialen D auf Sturz 2 (Nr. 8) kennzeichnend ist.

Die Inschrift ist die dritte im Bestand der ältesten profanen Bauinschriften des Rheinlandes,8) unter denen sie mit der Funktionsangabe und der Erwähnung des Baumaterials eine Sonderstellung einnimmt. Als Herkunftsort des Trachyts, der für die Inschriftenträger an der Pfalz sowie weitere Bauteile verwendet wurde,9) nennt sie den Drachenfels. Wer sich hinter dem Namen Alcmarus verbirgt, konnte bislang nicht geklärt werden. Biller vermutet, dass es sich um einen „Burgvogt des Drachenfels“ oder einen „Bauunternehmer“ gehandelt haben könnte, „der die Steinbrüche betrieb und den Bau der Pfalz übernommen hatte“, hält dies aber letztlich für „kaum klärbar“.10) Zudem ist einschränkend hinzuzufügen, dass die Nennung des Namens sowie die weiteren Ergänzungen nur aufgrund der Überlieferung im Rheinbrohler Kopiar vom Beginn des 17. Jahrhunderts erfolgen konnten und können.

Ebenso gehen alle Angaben über den Standort der Inschrift auf die Angabe im Rheinbrohler Kopiar zurück, der Stein sei „Ad partem Rheni in turri Clivensi exterius“,11) d. h. an dem ca. 5 Meter nördlich vom Eingang zur Kernburg errichteten Turm, in späterer Zeit „Klevischer Turm“ genannt, zum Rhein hin angebracht. Dieser Turm12) bildete nach Osten den Zugang von der Unterburg, im Süden den Zugang zur Kernburg. Seine Ostwand war so nach Süden Richtung Burg verlängert und mit dieser verbunden, dass diese Mauer auf einem sich 6 m über dem Rheinpegel erhebenden Rundbogen auflag und die so gebildete Brücke bis zur Traufe der Kernburg reichte. Da es an der Westseite, d. h. zum Rhein hin, eine solche Verbindung nicht gab, lagen die Brücke, die oberhalb des Rheins vom Turm zur Kernburg führte, sowie das zugehörige Portal in einer großen Nische. Vom Rhein her gewährte der Bogen die Zufahrt zu einem auf dem Gelände der Pfalz gelegenen Hafen, dessen Funktion bislang nicht eindeutig geklärt ist, der aber aufgrund seiner geringen Größe nicht als Zollhafen gedient haben dürfte.13)

Die beiden durch den Turm führenden Zugangsmöglichkeiten zur Burg, von denen die Zufahrt vom Rhein her an der Flussseite im 16. Jahrhundert zugemauert war,14) werden in der zweiten Zeile der Inschrift genannt, so dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit genau für diesen Turm geschaffen worden sein dürfte, also auch ursprünglich dort angebracht war. Für die auf dem Rhein Vorüberfahrenden sichtbar angebracht, wies sie sich gegenüber den in guter Absicht Reisenden (BONIS NAVTIS) als gastfreundlich aus und sollte mit der Erwähnung ihrer Herkunft vom Drachenfels vermutlich ihre Wehrhaftigkeit unterstreichen. Die Wahl des Wortes OSTIA, das auch die Bedeutung „Flussmündung“ besitzt sowie auf den römischen Hafen verweist, erlaubt angesichts der Gegebenheiten des Standortes hier auch die Übersetzung als „Hafen“.15)

Bei der Zerstörung 1702 scheint der erhaltene Teil in den Rhein gestürzt zu sein, denn C. F. Strauven notiert im Oktober 1874, dass wegen des niedrigen Rheinpegels bei Kaiserswerth „in der Nähe des alten Schlosses“ dieser Stein „sichtbar geworden“ sei und man ihn geborgen und auf den Rasenplatz an der Ruine verbracht habe.16) Bereits 1894 befand er sich in einer der Fensternischen der Westseite.

Zur Geschichte der Pfalz und ihrer Zerstörung vgl. Nr. 7.

Textkritischer Apparat

  1. I untergestellt unter VT-Ligatur.
  2. Kürzung durch einen Querstrich durch Schaft des L. Bei L und A lediglich die obere Hälfte des Buchstabens erhalten, von T nur Teile des Balkens und des oberen Schaftendes vorhanden.

Anmerkungen

  1. PfA St. Suitbertus Rheinbrohl, Kopiar Kaiserswerth, im nicht paginierten Teil.
  2. Zum Schicksal der Ruine im 18. Jh. vgl. Kommentar zu Nr. 7.
  3. Vgl. unten Kommentar.
  4. Clemen, KDM Düsseldorf, S. 143.
  5. Maße des erhaltenen Teils.
  6. Vgl. dazu Hex.-Lex. 4, S. 93; zu Formen von „pandere“ in Verbindung mit Formen von „porta“ vgl. ebd., S. 114f.
  7. Vgl. zur Datierung der beiden Stürze die Kommentare zu Nrn. 7 u. 8.
  8. Vgl. dazu Kommentar zu Nr. 7.
  9. Zur Verwendung des Trachyt beim Bau der Pfalz vgl. die Angaben zu den einzelnen Bauteilen bei Clemen, Kaiserswerth. Sicherungsarbeiten, S. 53–57.
  10. Alle Zitate bei Biller, Pfalz, S. 187 Anm. 21.
  11. PfA St. Suitbertus Rheinbrohl, Kopiar Kaiserswerth, im nicht paginierten Teil; gedr. bei Terwelp, Kaiserswerth, S. 130.
  12. Vgl. zum Folgenden die Beschreibung bei Biller, Pfalz, S. 176f.
  13. Dazu ebd., S. 177.
  14. Dazu ebd., S. 187 Anm. 19.
  15. Vgl. dazu auch ebd., S. 177 u. 187 Anm. 20.
  16. LAV NRW R, Slg. Guntrum, Abt. II, Nr. 97, nicht paginiert. Dazu passt auch die Angabe bei Maes, Chronogramme und Inschriften, S. 124, dass der Stein „nach einer unverbürgten Nachricht ‚vor vielen Jahrzehnten im Rhein gefunden worden sein’ soll“. Die Angabe bei Funken, Bauinschriften, S. 133, dass er sich bis 1908 „an der Rheinseite außen am Klevischen Turm“ befunden habe, ist falsch.

Nachweise

  1. PfA St. Suitbertus Rheinbrohl, Kopiar Kaiserswerth, im nicht paginierten Teil.
  2. LAV NRW R, Slg. Guntrum, Abt. II, Nr. 97, nicht pag.
  3. Terwelp, Kaiserswerth, S. 130 (nach Rheinbrohler Kopiar).
  4. Clemen, KDM Düsseldorf, S. 143.
  5. Kelleter, UB Kaiserswerth, S. XLVIII.
  6. Clemen, Kaiserswerth. Sicherungsarbeiten, S. 45.
  7. Heck, Geschichte, S. 119.
  8. Wilhelm Felten, Steinbrüche und Steinverwertung des Siebengebirgs, in: Heimatblätter des Siegkreises 4 (1928), S. 69–72, 69.
  9. Delvos, Geschichte, S. 38.
  10. StA Düsseldorf, Nr. XXIII 1161 (Frechen), Bl. 134 (mit Nachzeichnung).
  11. Heinrich Leven, Beiträge zur Geschichte der Steinbruch- und Steinmetzbetriebe am Siebengebirge, in: Bonner Geschichtsblätter 8 (1954), S. 135–165, 136.
  12. Funken, Bauinschriften, Nr. 22, S. 133 (mit Nachzeichnung).
  13. Maes, Chronogramme und Inschriften, S. 124.
  14. Lorenz, Kaiserswerth, S. 69 Anm. 302.
  15. Ders., Kaiserswerth. Stauferzentrum, S. 114 Anm. 36.
  16. Achter, Düsseldorf-Kaiserswerth, S. 15 (unvollständig).
  17. Biller, Pfalz, S. 187 Anm. 20.
  18. Funken, Ars Publica, Bd. 3, S. 1227.

Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 9 (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0000909.