Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 775 St. Martini 1622

Beschreibung

Epitaph des Superintendenten Johannes Wagner. Holz, farbig gefaßt, ehemals ein Ölgemälde. Das Epitaph hängt heute im nördlichen Seitenschiff. Den Mittelteil bildete bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein Ölgemälde mit dem Porträt des Verstorbenen, das heute durch eine Photographie des Bildes ersetzt ist. Über den Verbleib des Gemäldes ist nichts bekannt. Links davon vor dem Rahmen stand früher die Figur der Caritas, rechts Spes mit Anker. Beide Figuren fehlen. Außen Säulen mit Weinlaubranken, seitlich davon früher je eine weitere Figur einer Tugend. Über dem Gemälde und von diesem durch einen Fries getrennt ein querrechteckiger Aufsatz mit drei Vollwappen in einem querrechteckigen Feld, seitlich davon zwei Putten, die das Gesims tragen. Unterhalb des Mittelteils eine querrechteckige Tafel mit der in zwei Spalten angeordneten Inschrift A in goldenen Buchstaben auf schwarzem Grund. Den unteren Abschluß bildet eine ovale Kartusche mit der Inschrift B ebenfalls in goldenen Buchstaben auf schwarzem Grund, die von Rollwerk mit zwei sitzenden Putten darin eingefaßt wird. Der linke Putto hält eine Sanduhr und stützt den einen Arm auf ein Buch, der rechte Putto stützt den einen Arm auf einen Totenschädel.

Maße: H.: ca. 450 cm; B.: 210 cm; Bu.: 1,5 cm (A), 2,5–3 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien am Versanfang.

Sabine Wehking [1/3]

  1. A

    DVM PER LUSTRA DEI PAVI BIS QUATUOR AGNOSa) , SAEPIUS INFESTI ME PETIERE LUPI ILLIUS AT FIRMO MUNIMINE DEXTERA TUTUM ME TEXIT , CUNCTIS ERIPUITQ(UE) MALIS , DVM VIXI STVDUI TIBIb) VIVERE VIVE REDEMTOR VT VIVENS ESSEM COMMORIENSQ(UE) TUUS . ATTAMEN HAVD VITAM DEGI , CUI FIDERE POSSIM SED NITOR MERITO VULNERIBVSQ(UE) TUIS , IUSTITIAQ(UE) TUA ME IUSTUM FRONTE SERENA COELICA VISURUM GAUDIA CREDO POLI FECI QUAE POTUI , POTUI SPIRABILE PATRIS QUAE MIHIc) CAELESTI NUMEN AB AXE DEDIT . RINGERE LIVOR INERS , ET FAC MELIORA , FERESQ(UE) LAUDEM CUM TRIBUET PRAEMIA IUSTA DEVS , // MORS MIHI SUBTRACTO MORTIS MORBIQ(UE) PERICLIS EX CUNCTIS , VITAE IANVA FACTA NOVAE EST , VERSOR EGO IN PORTU SPESd) ET FORTUNA VALETE , NIL MIHI VOBISCUMe) EST LUDITE NUNC ALIOS . TV BRUNSVIGAf) MEMOR WAGENERI PRAESULIS ESTO PER SEX LVSTRA TUAS QUI BENEg) PAVIT OVESh) ET QUI TEMPLA SCHOLASQ(UE) TUAS IN PACE GUBERNANSi) SACRUM PROMOVIT RELLIGIONIS OPUS . ET FUGE CEU TETRAM CALVINI DOGMATA PESTEM , ATQ(UE) CUCULLIGERIj) DIRA VENENA GREGIS . FIDE DEO , VERBIQ(UE)k) SALUTIS FIDE MINISTRIS SIC ERIT INCOLVMIS PAXQ(UE) SALUSQ(UE) TIBI HAEC UBI LEGISTI , QUO TE VIA DUCIT EUNTEM LECTOR ABI ET FELIX VIVE VALEQ(UE) DIU .

  2. B

    MEMORIAE SACRVM / M(AGISTRO) IOHANNI WAGNERO , / OLDENBVRGENSI , QVI NATVS A(NNO) C(HRISTI) MDLIX . / ECCLES(IAE) BRVNSVIC(ENSIS) PASTOR IN AEDE D(IVAE) CATHARIN/AE PER ANNOS XIII , DEIN SVPERINTENDENS PER AN(N)OS / XVI , OBIIT , ANNO MDCXXII , DIE XI . DECEMBR(IS) / VIXIT ANNOS LXIII . CVI HOC MONVMENTVM / POSVERVNT HAEREDES .

Übersetzung:

Während ich vierzig Jahre lang die Schafe Gottes geweidet habe, haben mich öfter gefährliche Wölfe angegriffen. Aber seine Rechte gab mir durch starken Schutz Sicherheit und riß mich aus allen Übeln. Solange ich lebte, habe ich mich bemüht, für dich zu leben, lebendiger Erlöser, damit ich als Lebender und als Sterbender dein bin. Aber doch habe ich nicht ein Leben verbracht, auf das ich mich verlassen könnte, sondern ich verlasse mich auf dein Verdienst und deine Wunden. Ich glaube, daß ich durch deine Gerechtigkeit gerechtfertigt heiteren Antlitzes die himmlischen Freuden des Himmels sehen werde. Ich habe getan, was ich konnte, ich habe gekonnt, was mir der belebende göttliche Wille des Vaters vom himmlischen Zelt gab. Fletsche die Zähne, feiger Neid, und mach es besser, und du wirst Lob erhalten, weil Gott den gerechten Lohn zuteilt. Der Tod bedeutet für mich, der ich allen Gefahren des Todes und der Krankheit entzogen bin, einen Zugang zum neuen Leben. Ich befinde mich im Hafen, Hoffnung und irdisches Glück, lebt wohl. Ich habe nichts mehr mit euch zu tun, treibt euer Spiel nun mit anderen. Du, Braunschweig, gedenke des Superintendenten Wagner, der 30 Jahre lang deine Schafe gut geweidet hat und der deine Kirchen und Schulen in Frieden regiert und das heilige Werk des Glaubens vorangebracht hat. Und fliehe die Lehren des Calvin wie die abscheuliche Pest und die verderblichen Gifte des kapuzentragenden Haufens. Vertraue auf Gott, vertraue den Dienern des Gotteswortes, so wird dir unversehrter Frieden und Heil zuteil werden. Wenn du dieses gelesen hast, Leser, wohin dich der Weg führt, gehe fort und lebe glücklich und bleibe lange gesund. (A)

Dem Magister Johannes Wagner aus Oldenburg zur Erinnerung geweiht, der im Jahr Christi 1559 geboren wurde, 13 Jahre lang Pastor der Braunschweigischen Kirche an der Kirche St. Katharinen, darauf 16 Jahre lang Superintendent war. Er starb im Jahr 1622 am Tag des 11. Dezember. Er hat 63 Jahre lang gelebt. Ihm haben die Erben dieses Denkmal gesetzt. (B)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Wappen:
Gramberg?1)Wagner?2)Avenberg?3)

Kommentar

Der aus Oldenburg stammende Johannes Wagner besuchte zunächst Schulen in Oldenburg und in Braunschweig und immatrikulierte sich im Jahr 1577 an der Universität Wittenberg.4) Im Jahr darauf wechselte er an die Universität Helmstedt, wo er 1581 den Magistertitel erwarb.5) 1582 wurde Wagner Konrektor in Soest und 1584 vom Kölner Erzbischof zum Hofprediger berufen. Im Jahr 1585 ging er als Pastor nach Jever, wo er sich gegen die dortigen Calvinisten einsetzte und schließlich von diesen vertrieben wurde. Daraufhin nahm er 1591 eine Pastorenstelle in Minden an und wechselte schließlich 1593 nach Braunschweig an die Katharinenkirche. Im Jahr 1606 übernahm er dort das Amt des Superintendenten. Verheiratet war er seit 1586 mit Anna Gramberg, die 1614 starb. Im September 1617 heiratete er in zweiter Ehe Anna Avenberg.6) Zu Johannes Wagner vgl. a. Nr. 752 u. 776.

Textkritischer Apparat

  1. AGNOS] annos alle Überlieferungen.
  2. TIBI] TIRI heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  3. MIHI] MILII heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  4. SPES] Der mittlere und untere Balken des E fehlen heute; fehlerhafte Restaurierung.
  5. VOBISCUM] VOGECUM heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  6. BRUNSVIGA] BRUNSVIG heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  7. BENE] PAENE heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  8. OVES] QVES heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  9. GUBERNANS] Der untere Bogen des B fehlt; fehlerhafte Restaurierung.
  10. CUCULLIGERI] CUCUILIGERI heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.
  11. VERBIQ(UE)] VERRIQ(UE) heute auf dem Epitaph; fehlerhafte Restaurierung.

Anmerkungen

  1. Wappen Gramberg? (gestümmelter Ast vor zwei gekreuzten Lilienstäben). Es handelt sich um die Wappen des Johannes Wagner und seiner beiden Ehefrauen Anna Gramberg und Anna Avenberg. Die Zuordnung des jeweiligen Wappens zu den Namen ist aber unsicher, da die Anordnung nicht bekannt ist.
  2. Wappen Wagner? (drei Weintrauben? an Ästen 2:1).
  3. Wappen Avenberg? (Baum auf Hügel).
  4. Matrikel Wittenberg, Bd. 2, S. 268a.
  5. In der Matrikel Helmstedt ist er nicht verzeichnet, Angabe nach der Leichenpredigt, Roth, Auswertungen, Nr. 7820.
  6. Die biographischen Angaben nach der Leichenpredigt, ebd.

Nachweise

  1. Photographie: NLD Hannover, BS 18302 (1914).
  2. Rehtmeyer, Kirchen-Historie, Teil 4, S. 411 (B).
  3. Sammlung Sack, Nr. 138, Bd. 1, Teil 1 (o. P.) u. Teil 2 (o. P.); Bd. 3, p. 62ff.
  4. Schlichthaber, Kirchengeschichte, S. 119 (B).
  5. Schmidt, Martinskirche, S. 85.
  6. Scherer, Röttger, S. 100 (B).

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 775 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0077502.