Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 749 St. Martini 1617, 1619/20

Beschreibung

Kanzel. Holz, farbig gefaßt, Marmor und Alabaster, teilweise vergoldet. Die Kanzel wird getragen von einer auf einem Sockel stehenden Skulptur des heiligen Martin zu Pferd, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Der im Grundriß sechseckige Kanzelkorb trägt in den durch Säulen voneinander getrennten Brüstungstafeln Basreliefs der Evangelisten, die durch Beischriften (A) in den Feldern darunter bezeichnet sind. In den von Engelsköpfen umgebenen Bogennischen darüber Reliefs der Beschneidung, der Anbetung durch die Hirten, der Heimsuchung und der Verkündigung. Die eigenartige Abfolge erklärt sich möglicherweise durch eine Vertauschung bei einer Renovierungsmaßnahme.1) Die zweizeiligen Inschriften B–F befinden sich an den fünf Seiten des Schalldeckels in Feldern am unteren Rand. In den Feldern darüber Reliefs, die die Dornenkrönung, die Kreuztragung, die Kreuzigung, die Grablegung und die Auferstehung zeigen. Im mittleren Relief am Kreuz der Titulus G. Im Giebel über dem mittleren Relief befand sich früher ein Wappenschild, der heute fehlt. Vor den Ecken des Kanzelkorbs standen ursprünglich sechs Figuren des Alten Testaments, die mit Namensbeischriften (H) bezeichnet waren. Heute fehlen die Figuren des Moses, des Ezechiel und des Daniel samt den Sockeln mit Beischriften. Dem Schalldeckel ist eine sechsseitige Laterne aufgesetzt, darin eine mehrfigurige Darstellung der Himmelfahrt Christi. Am Architrav der Laterne die Jahreszahl I. Auf dem Schalldeckel stehen außen vor der Laterne an den Ecken Engelsfiguren, oben auf der Laterne vor den Ecken Putten. Die Bekrönung des Schalldeckels bildet die Figur des Christus als Weltenrichter. Auf der Innenseite der Tür zur Kanzeltreppe die Inschrift J oben auf dem Sturz. Mit Ausnahme der Namensbeischriften H, die in dunkler Farbe auf hellen Untergrund gemalt sind, sind alle Inschriften in Gold auf schwarzblauem Untergrund ausgeführt.

Inschrift H ergänzt nach Photographien.

Maße: Bu.: 4 cm (A), 3,7 cm (B–H), 3,2 cm (J).

Schriftart(en): Kapitalis (A–I), Fraktur mit Kapitalis (J).

Sabine Wehking [1/6]

  1. A

    S . IOHANNES // S . LVCAS . // S . MARCVS . // S . MATTHAEVS .

  2. B

    CANTIC . III VIDETE REGEM SALOMONEMa) IN DIADEMATE / QVO CORONAVIT ILLVM MATERb) EIVS . 2)

  3. C

    [I]SA LIII . VERE LANGVORES NOSTROS IPSE TVLIT / ET DOLORES NOSTROS IPSE PORTAVIT . 3)

  4. D

    IOH . XII . EGO EXALTATVS A TERRA OMNES / AD MEIPSVM TRAHAM . 4)

  5. E

    IOH . XII . NISI GRANVM FRVMENTI CADENS / IN TERRAM MORTVVM FVERITc) . SOLVM MANET 5)

  6. F

    ROM . IV . TRADITVS EST PROPTER PECCATA NOSTRA / ET RESVRREXIT PROPTER IVSTIFICATIONEMd) NOSTRAM 6)

  7. G

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM) 7)

  8. H

    [MOSES] / P(ROPHETA) SAMVEL / P(ROPHETA) ESAIAS / P(ROPHETA) IERIMIAS / [P(ROPHETA) EZECHI/EL . / P(ROPHETA) DANIEL]

  9. I

    16 17

  10. J

    IEREm : 7 . V . 23 . / Gehorchet meinem Worte . So wil ich ewr Gott sein Vnd ihr / sollett mein volck sein . 8)

Übersetzung:

Seht den König Salomon mit der Krone, mit der ihn seine Mutter gekrönt hat. (B)

Fürwahr hat er selbst unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen. (C)

Wenn ich erhoben werde von der Erde, werde ich alle an mich ziehen. (D)

Es sei denn, das Getreidekorn, das in die Erde fällt, war tot, (so) bleibt es allein. (E)

Er ist um unserer Sünden willen preisgegeben worden und ist um unserer Rechtfertigung willen auferstanden. (F)

Wappen:
Preutze9)

Kommentar

Anna Preutze, die Witwe des Franz Kalm, stiftete der Martinikirche 500 Florin, die zur Herstellung des neuen Kanzeldeckels verwendet wurden (zur Stifterin vgl. a. Nr. 570, 731).10) Hierüber wurde im März 1617 ein Vertrag abgeschlossen, der der Stifterin das Recht einräumte, ihren Namen und ihr Wappen an der Kanzel anbringen zu lassen. Der Name scheint jedoch nicht ausgeführt worden zu sein. Zugleich wurde Anna Preutze das Recht zugestanden, in der Kirche bei ihrem ersten Ehemann, Hans Kale, oder bei ihrem Vater, Theodor Preutze, beigesetzt zu werden. Der Kirchenvorstand erlaubte den Erben der Anna Preutze, ohne einige fernere handlunge, abtragk oder entgelt, deroselben zu ehrenn, Einen Leichsteine, iedoch daß derselbe, deß ubergangs halbere, im außhawende ganz nicht erhohett, sondern gleich dem neben Pflaster gleich unndt ebenn seij, mit einer umbschrifft oder Messings taffell mittenn auff den Steinn gehefftet, uber solches Grab zu einer gedechtniß, auf deroselben Kostenn, legen zu lassen.11)

Zunächst wurde der Schalldeckel und danach der Kanzelkorb angefertigt. Anhand von Rechnungsbelegen läßt sich Georg Röttger als Bildhauer nachweisen. Röttger fertigte zunächst im Jahr 1617 den Schalldeckel und begann 1619 mit den Arbeiten für den Kanzelkorb, den er 1620 vollendete. Die Anfertigung des Kanzelkorbes wurde durch eine Kollekte finanziert, deren Ertrag sich auf 869 Taler belief, darunter 100 Taler von dem Braunschweiger Syndikus Caspar Klock (vgl. Nr. 1045). Für die Kanzel und eine neue Prieche wurden insgesamt 771 Taler ausgegeben, so daß der Kirchenkasse noch ein Überschuß von 98 Talern blieb.12)

Textkritischer Apparat

  1. SALOMONEM] SAIOMONEM heute auf der Kanzel, falsch restauriert.
  2. MATER] MALER heute auf der Kanzel, falsch restauriert.
  3. FVERIT] FVFRIT heute auf der Kanzel, falsch restauriert.
  4. IVSTIFICATIONEM] IVSTIECATIONEM heute auf der Kanzel, falsch restauriert.

Anmerkungen

  1. Vor der Drucklegung dieses Bandes wurde die Kanzel zur Restaurierung gegeben. Die Beschreibung gibt somit den Zustand vor der Restaurierung wieder.
  2. Ct. 3,11.
  3. Is. 53,4.
  4. Io. 12,32.
  5. Io. 12,24.
  6. Rm. 4,25.
  7. Io. 19,19.
  8. Jer. 7,23.
  9. Wappen Preutze (drei Maiglöckchen 2:1). Vgl. Photographie, Städtisches Museum, Topographische Sammlung.
  10. Zur Stiftung und Herstellung der Kanzel vgl. a. Meier, Kunsthandwerk, S. 49–53.
  11. Sta Braunschweig, G II 1, Nr. 84, fol. 26.
  12. Ebd., fol. 1–21.

Nachweise

  1. Photographien: NLD Hannover, o. Nr.
  2. Abb.: Meier, Kunsthandwerk, Abb. 69 u. 70. Dorn, Kirchen, Abb. 74–78.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 749 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0074905.