Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 618 Ölschlägern 13 1588

Beschreibung

Hausinschriften.1) Traufenständiges, dreigeschossiges Fachwerkhaus, sechs Gefache breit. Die Jahreszahl A auf der Vorderseite des Hauses links und rechts neben der Tür. Die Inschrift B auf dem Schwellbalken des vorgekragten zweiten Obergeschosses, die Inschrift C zusammen mit einem Wappenschild auf dem Schwellbalken des vorgekragten zweiten Obergeschosses auf der Rückseite des Hauses. Auf einem Ständer darüber die Jahreszahl D über einem Wappenschild. Die Inschriften sind in erhabenen Buchstaben geschnitzt, die heute in Gold auf rotem Grund gefaßt sind. Die u der Inschrift B sind durch darübergesetzte Punkte bezeichnet.

Maße: Bu.: 7–8,5 cm (A), ca. 8 cm (B), ca. 10 cm (C, D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Frakturelementen und Frakturversalien (B, C).

Sabine Wehking [1/5]

  1. A

    15 88a)

  2. B

    Der herr · Jst des · Armen · schutz ··ein · schutz · in · der · not · Darumb · hoffen · auff · dich · die · deinen · namen · kennen · den · du · uer·lesset · nicht · die · dich · herr · suchen · 9 · psalm · 2)

  3. C

    Anna · henning · riken · s(ine) · nagelaten · weddewe · mit · iren · kindern · alse · henning · riken · margareta · riken · marten · rem(m)ers · e(liche) · h(us)·f(rawe) · ilse · riken · tobias · reten · e(liche) · h(us)·f(rawe) · heben · dut · hus g(e)·s(chenket) · got · z(u) · l(of) · u(nde) · [e(re) ·]b)

  4. D

    15/88c)

Wappen:
Rieke3)

Kommentar

Henning Rieke d. Ä. fungierte als Zehnmann der Altstadt; sein Sohn Henning Rieke d. J. war Zehnmann der Neustadt und in den Jahren 1606 bis 1611 Mitglied des Neustädter Rats.4) Henning Rieke d. Ä. war mit Anna Ruschers verheiratet, die nach dem Tod ihres Ehemanns das Beginenhaus stiftete, auf dessen Gründung sich die Inschrift C bezieht. Anna Ruschers kaufte das schon im Kaufvertrag als Beginenhaus bezeichnete Haus im Jahr 1587 vom Rat der Altenwiek und der Kirche St. Magni gegen einen jährlichen Zins von 22 Gulden.5) Auf dem Grundstück ließ Anna Ruschers 1588 durch den Zimmermann Ludeke Clawes ein neues Haus errichten und einen Altbau renovieren.6) Bestimmt war das Armenhaus besonders für Frauen, die älter als fünfzig Jahre waren und als Bedienstete gearbeitet hatten.7) Daß die Zielgruppe dieser Stiftung sich aus bedürftigen Frauen zusammensetzte, darauf verweist auch Inschrift B.

Das Rechnungsbuch der Riekeschen Stiftung enthält eine kurze Autobiographie der Anna Ruschers,8) der zu entnehmen ist, daß sie als unbemittelte Waise aufwuchs. Als sie volljährig wurde, erhielt sie von Warner Gralherr einen Heiratsantrag, den sie jedoch gegen den Rat ihrer Freunde ablehnte. Später stellte sich heraus, daß der Braunschweiger Bürgerhauptmann im Jahr 1549 angestiftet durch den Abt von Riddagshausen versucht hatte, die Stadt Braunschweig zu verraten und in Brand zu stecken. Nach Bekanntwerden der Pläne wurde Warner Gralherr am 4. Dezember 1549 hingerichtet.9) Anna Ruschers dankt Gott in ihrer Autobiographie, daß er sie vor einem so schimpflichen Schicksal bewahrt hatte, auch wenn sie zur Zeit ihrer Ehe mit Henning Rieke nicht von Sorgen verschont blieb. So erzählt sie, daß ihre Tochter Ilse Rieke zwei Jahre lang blind war, aber das Augenlicht – obwohl alle schon die Hoffnung aufgegeben hatten – wiedergewann. Gott habe sie auch bewahrt, als jemand ihr Gift der Spanischen Fliege ins Essen tat. Anna Ruschers Ehemann und die Kinder Anna, Ilse und Henning starben noch zu ihren Lebzeiten. Weil Gott ihnen einen friedlichen Tod gegeben und ihre Familie behütet hatte, rief Anna Ruschers die Stiftung ins Leben. Sie selbst muß nach 1594 verstorben sein, da die Einträge im Rechnungsbuch auf ihren Namen in diesem Jahr enden.

Textkritischer Apparat

  1. 1588] 1558 Sammlung Sack.
  2. Das Ende des Balkens ist heute zugemauert. Ergänzt nach Fricke.
  3. Die Ziffer 1 in Form eines j mit i-Punkt.

Anmerkungen

  1. Nro. 2249/2253.
  2. Ps. 9,10f.
  3. Wappen Rieke (Januskopf). Vgl. Meier/Kämpe, Heraldische Untersuchungen 1903, S. 20.
  4. Spieß, Ratsherren, S. 187.
  5. Sta Braunschweig, G V 9, Nr. 2, fol. 28r.
  6. Ebd., fol. 28v u. 31–35.
  7. Vgl. Boldt, Fürsorgewesen, S. 223. Fundationsurkunde Sta Braunschweig, G V 9, Nr. 2, fol. 15v/16r.
  8. Sta Braunschweig, G V 9, Nr. 2, fol. 21–23.
  9. Zu dem Vorgang vgl. Spieß, Geschichte, S. 89–92.

Nachweise

  1. Sammlung Sack, Nr. 90, Teil 1, fol. 87r (B, Zeichnung), u. Teil 2, p. 32 (A, D).
  2. Bürgerhäuser (A, B).
  3. Hausinschriften (A, B).
  4. Steinacker, Häuserkatalog.
  5. Fricke, Haussprüche, S. 42.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 618 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0061808.