Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 418 Städtisches Museum 1531

Beschreibung

Hausinschriften des ehemaligen Hauses Fallersleberstr. 15.1) Das Haus wurde im Jahr 1886 abgebrochen. Erhalten sind die vorderen Teile zweier Schwellbalken. Der Balken mit der Inschrift A wird heute im Magazin des Städtischen Museums aufbewahrt. Er zeigt in Reliefdarstellungen David mit der Harfe, einen ein Schriftband haltenden Mann mit Hut, einen auf ein Schriftband schreibenden Mann sowie einen Orgelpfeifen haltenden bebrillten Esel. Zwischen den figürlichen Darstellungen stehen die auf einzelnen Schriftbändern in erhaben geschnitzten Buchstaben ausgeführten Teile der Inschrift A. Die Schriftbänder sind gewunden, wodurch die Schrift teilweise zwei- oder dreizeilig verläuft. Der zweite Balken hängt heute im Ausstellungsbereich des Städtischen Museums. Auch hier verteilen sich die einzelnen Bestandteile der Inschrift B auf zwischen figürlichen Darstellungen befindliche Schriftbänder, die durch plastisch geschnitzte Windungen und einen noch komplizierteren Verlauf einen lebhafteren Eindruck erwecken als die Inschrift A. Neben der ganz links in zwei Zeilen angebrachten Jahreszahl die Halbfigur eines bärtigen Mannes mit Hut, der das linke Ende des folgenden gewundenen Schriftbandes hält. Das zweite und dritte

Schriftband wird jeweils von einem bärtigen Mann gehalten. Die beiden von einem Haarkranz umgebenen Köpfe ähneln sich in der Ausführung, besonders in dem oben in der Art kleiner Flügel beidseitig vom Kopf abstehenden Haar. Eine Deutung als Moses mit Hörnern liegt zwar im Hinblick auf das Bibelzitat des letzten Schriftbandes nahe, ergibt aber für das mittlere Schriftband mit einem Johannes-Zitat darauf keinen Sinn. Ganz rechts auf dem Balken in einem vertieften Feld die Reliefdarstellung eines einen Mantel tragenden bartlosen Mannes mit verschiedenen, nicht eindeutig zu identifizierenden Gerätschaften.

Maße: H.: 37 cm; B.: 633 cm (A); Bu.: ca. 5,5–12 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Sabine Wehking [1/11]

  1. A

    07a) // De here is / Min licht wnde Min / heil vor weme scholde / Jch mi fruchten 2) // cja / 28 // wene anb) onne gelouet / De schal nicht To scanden verden 3) // Ma // 5c) // Des mynscen / sone hefft alleine / Macht vp Erden De svnde / to vorgeuen 4) // Jck kan so vel Nich / lesen v(n)d / gselle / vese(n)

  2. B

    Anno d(omi)ni Mo vc / vnde xxxi Jare // hye / 4 // Jn onne / schullen / alle folker / bedieth / werden 5) // Jck bin / de wech de / warheith vnde / Dat leue(n)t // johan(nes) 14 6) // Einen proheten werth / jv goth jwE / here Erueken Dem / Schulle gy horen gelick / alse MI D(e)utd) / 18 7)

Kommentar

Bei der Schrift, die sich in sehr ähnlicher Ausführung auch auf den Schwellen des Hauses Hintern Brüdern 5/6 (Nr. 416) fand, handelt es sich um eine sehr manierierte Form der gotischen Minuskel mit Versalien, die teilweise in Formen der frühhumanistischen Kapitalis wie epsilonförmigem E und byzantinischem M, teilweise in Kapitalis ausgeführt sind. Einzelne Minuskelbuchstaben weichen vom Schema der gotischen Minuskel ab und weisen durch gerundetere Formen Ähnlichkeit mit Frakturschriften auf. Eine sehr charakteristische Form zeigen die runden, durchstrichenen s, die besonders häufig auch an dem Haus Hintern Brüdern Verwendung fanden. Die Grundform des durchstrichenen s ist hier soweit ins Schnörkelhafte aufgelöst, daß mehr der Eindruck eines Blattornaments als eines Buchstabens entsteht. Insgesamt handelt es sich bei den Schwellbalken dieses Hauses und des Hauses Hintern Brüdern um zwei der schönsten Beispiele Braunschweiger Hausinschriften, sowohl was die Qualität in der Ausführung der einzelnen Buchstaben als auch was die Anordnung der Inschriften und der figürlichen Darstellungen betrifft. Die Inschriften des Hauses Fallersleberstr. 15 erhalten noch einen besonders originellen Aspekt durch den auf den Orgelpfeifen blasenden, eine Brille tragenden Esel und die dazugehörigen Reimverse am Ende der Inschrift A, die inhaltlich im Gegensatz zu den ernsthaften niederdeutschen Bibelzitaten stehen.

Da man auf die Gestaltung und Ausführung der Inschriften an den beiden Häusern offensichtlich große Mühe verwandte, ist es umso verwunderlicher, daß von den insgesamt wohl sechs Zitatangaben am Haus Fallersleberstr. 15 und der einen erkennbaren Zitatangabe am Haus Hintern Brüdern lediglich zwei eindeutig zu interpretieren und inhaltlich zutreffend sind. In den übrigen fünf Fällen stimmen entweder die Kapitelzahlen nicht, oder die eindeutig zu lesenden Buchstaben sind in keiner Weise mit den Bibelbüchern der nebenstehenden Zitate in Einklang zu bringen bzw. überhaupt sinnvoll aufzulösen. Ein bloßes Versehen oder Mißverständnis einer Vorlage scheidet aufgrund des häufigen Auftretens aus. Welche Absicht den seltsamen Angaben zugrundeliegt, muß offenbleiben.

Textkritischer Apparat

  1. Es ist nicht auszuschließen, daß hier ein Stück abgeschnitten ist und die beiden Ziffern nur den Rest eines ehemals vollständigen Zitatnachweises darstellen. Vgl. dazu den Kommentar.
  2. wene an] Die drei letzten Buchstaben beschädigt, aber noch in Ansätzen zu erkennen.
  3. 5 in Form eines retrograden z, die Ziffer entspricht in der Gestaltung der im Vergleich zur 5 spiegelverkehrt ausgeführten 2 in der Inschrift A.
  4. D(e)ut] Über dem D ein Kürzungsstrich.

Anmerkungen

  1. Nro. 1626. Inv. Nr. Ccc 44 u. 45.
  2. Ps. 27,1.
  3. Rö. 10,11.
  4. Mt. 9,6.
  5. 1. Mo. 18,18.
  6. Jh. 14,6.
  7. 5. Mo. 18,15.

Nachweise

  1. Steinacker, Häuserkatalog.
  2. Fricke, Haussprüche, S. 46.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 418 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0041806.