Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

A3, Nr. 398B St. Andreas 1. V. 16. Jh., 1631–33

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet. Die Unsicherheit der Datierung des Kelches und der Zuordnung zu einem Goldschmied in der bisherigen Forschungsliteratur sind darauf zurückzuführen, daß der Kelch bisher als eine Einheit angesehen wurde und die beiden unterschiedlichen Entstehungsstufen nicht berücksichtigt wurden. Das äußere Erscheinungsbild weist jedoch eindeutig darauf hin, daß hier ein spätgotischer Kelch aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts im 17. Jahrhundert überarbeitet wurde. Zu dem älteren Kelch gehören der auf einer reliefierten Zarge stehende Sechspaßfuß, der zum Fußhals hin sechsseitig ansteigt. Das über einem kleinen Zwischenstück aufgesetzte untere sechsseitige Schaftstück ist glatt und dürfte im 17. Jahrhundert erneuert worden sein, da das obere Schaftstück mit den in Feldern vor schraffiertem Untergrund stehenden Buchstaben der Inschrift A eine ganz andere Gestaltung aufweist. Der zum alten Kelch gehörende Nodus ist oben und unten abgeflacht und mit durchbrochenem Maßwerk verziert, in der Mitte trägt er sechs rautenförmige Rotuli mit eingravierten und schwarz emaillierten Blüten. Die auffallend niedrige, weit ausgestellte Kuppa könnte noch zu dem alten Kelch gehört haben; möglicherweise wurde sie aber im 17. Jahrhundert erneuert. Die optisch entscheidende Veränderung erfuhr der Kelch im 17. Jahrhundert dadurch, dass man den Sechspaßfuß auf einen breiten gebuckelten Rand aufsetzte, der außen abgetreppt ist. Zugleich wurden drei Segmente des alten Sechspasses mit Gravuren der Figur des Apostels Andreas und der beiden Wappen des die Umgestaltung finanzierenden Stifterpaares versehen. Alle drei Darstellungen erhielten Beischriften auf dem darunter befindlichen Buckel des äußeren Randes (B–D). Links neben der Inschrift C auf dem äußeren Rand das Braunschweiger Beschauzeichen und die Marke mit den Initialen (E) des Goldschmieds.

Maße: H.: 20 cm; Dm.: 16,4 cm (Fuß), 13,8 cm (Kuppa); Bu.: 0,8 cm (A), 0,25 cm (B–D), 1,5 cm (E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), Kapitalis (B–E).

Sabine Wehking [1/4]

  1. A

    IHESVS

  2. B

    S · ANDREAS ·

  3. C

    B(VRGERMEISTER) · HEINRICH · LVCKENa)

  4. D

    BARBRA · VON · VECHELS

  5. E

    LR

Wappen:
Lucke1)Vechelde2)

Kommentar

Die in einer frühhumanistischen Kapitalis mit einem I mit zwei Nodi, einem H mit vor die Hasten gelegtem Balken sowie epsilonförmigem E ausgeführte Inschrift A lässt auf eine Entstehung des älteren Kelches im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts schließen, auch wenn das durchbrochene Maßwerk am Nodus auf eine noch frühere Entstehungszeit deuten könnte.

Heinrich Lucke gehörte in den Jahren 1625 bis 1633 dem Neustädter Rat an. Von 1631 bis zu seinem Tod im Herbst 1633 amtierte er als Bürgermeister.3) Da er in der Inschrift C als Bürgermeister genannt, aber nicht als verstorben bezeichnet ist, kann man davon ausgehen, daß der Kelch in diesen Jahren überarbeitet und umgestaltet wurde. Barbara von Vechelde wurde 1585 geboren und starb im Jahr 1660.4)

Die Initialen LR stehen mit großer Wahrscheinlichkeit für den Braunschweiger Goldschmied Luthard Redessem, der von 1625 bis 1670 als Mitglied des Goldschmiedeamts und von 1638 bis 1672 als Mitglied des Altstädter Rats nachzuweisen ist.5) In den Jahren 1637 bis 1670 amtierte er als Gildemeister des Goldschmiedeamts.6) Scheffler verzeichnet zahlreiche Werke dieses Goldschmieds, allerdings nicht den Kelch der Andreaskirche, den er irrtümlich dem 1521/22 nachweisbaren Braunschweiger Goldschmied Luleff Reiners zuschreibt. Die Zuschreibung erfolgte vermutlich aus stilistischen Gründen im Hinblick auf die älteren Bestandteile des Kelches, ohne Rücksicht darauf, daß sich die Marke auf dem jüngeren äußeren Teil des Fußes befindet.7)

Textkritischer Apparat

  1. V mit ü-Strichen.

Anmerkungen

  1. Wappen Lucke (Schild geteilt, oben oberhalber Greif, unten zwei Pfähle).
  2. Wappen Vechelde (Schrägbalken mit drei Rosen belegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 2, S. 10 u. Tafel 8.
  3. Spieß, Ratsherren, S. 160.
  4. Reidemeister, Genealogien, S. 158.
  5. Spieß, Ratsherren, S. 185.
  6. Spies, Goldschmiede, Bd. 3, S. 103, Nr. 455.
  7. Scheffler, Goldschmiede, S. 36, Nr. 165. Die falsche Zuschreibung geht auf Fuhse, Handwerksaltertümer, S. 96, zurück. Auch bei Spies (Goldschmiede, Bd. 3, S. 103f., Nr. 455) ist der Kelch nicht unter den zahlreichen dort nachgewiesenen Werken Redessems aufgeführt. Spies (ebd., S. 76, Nr. 346) schreibt den Kelch entgegen der eindeutigen Lesung der Initialen als LR dem Goldschmied Jost Rosenhagen zu, der jedoch schon im Jahr 1611 verstarb und daher gar nicht in Betracht kommen kann.

Nachweise

  1. Sammlung Sack, Nr. 128, p. 79 (B, C).
  2. Schröder/Aßmann, Stadt Braunschweig, 2. Abt., S. 175 (B–D).
  3. Wandersleb, Inventar, St. Andreas, Nr. 2.
  4. Spies, Goldschmiede, Bd. 3, S. 76, Nr. 346,1, Abb. Bd. 2, S. 54, Nr. 142.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, A3, Nr. 398B (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009a30398B8.