Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

A3, Nr. 57A Dom St. Blasii 1380, 1400, 14. Jh., 15.–17. Jh.?

Beschreibung

Graffiti. Die ältesten Graffiti (A–O) befinden sich in den Steinquadern auf der Innenseite der Mauer des nördlichen Westwerkteils. Die Graffiti sind in großer Höhe angebracht auf etwa fünf Quaderreihen untereinander im linken Teil und auf etwa drei Quaderreihen im rechten Teil der durch einen Dienst geteilten Mauer. Zur Erleichterung der Identifizierung sind die einzelnen Quader des linken Teils hier mit den Buchstaben A–K bezeichnet, die Quader des rechten Teils mit den Buchstaben I–O, die jeweils in einer zeilenweisen Abfolge von links nach rechts vergeben worden sind. Die einzelnen Graffiti auf den Quadern werden voneinander abgesetzt wiedergegeben. In runde Klammern gesetzte Punkte bezeichnen Kürzungszeichen, die nicht aufgelöst werden konnten. Maße konnten aufgrund der außergewöhnlichen Höhe der Anbringung, die auch eine sichere Lesung erschwerte, nicht ermittelt werden. Die Lesung der Graffiti wird auch durch den Kalkputzanstrich behindert, durch den die weniger tief gehauenen und kleineren Buchstaben teilweise überdeckt sind. Dies gilt insbesondere für den rechten Teil, dessen Graffiti weitgehend unleserlich sind. So ist es auch nicht auszuschließen, daß nach Entfernung des Kalkputzes weitere, bisher nicht erkennbare Graffiti zu Tage kommen.

Weitere Graffiti, von denen einige in den Bearbeitungszeitraum fallen, befinden sich auf den Quadern des Fenstergewändes im Turmraum des Doms. Anders als die Graffiti am Westwerk lassen sich diese nur sehr schwer zeitlich eingrenzen, da sie weder Jahreszahlen enthalten noch charakteristische Schriftmerkmale aufweisen, die eine genauere Datierung erlauben würden. Die Quader des Fenstergewändes sind voll mit Ritzungen, von denen hier jedoch nur die einigermaßen sicher lesbaren Graffiti wiedergegeben sind. Die Graffiti P–T links des Fensters, die Graffiti U–X rechts des Fensters.

Maße: Bu.: 2–4 cm (P–X).

Schriftart(en): Gotische Minuskel und gotische Majuskel (A–O), Minuskel und Kapitalis (P–X).

Sabine Wehking [1/3]

  1. A

    [mc]ccc° Die · Bonifatii1) · / [...]i(.)dente · Dux · fredericus / Gladio a)

  2. B

    W[....]A(N)NO / MCCC / LXXXMAIOR · HOPPE ·[.....]R[.]EV b)

  3. C

    herma(n)n(us)

  4. D

    · Z[...]ACUS · BOIZENEM(US) / HARIMANN(US) EMB · c)

  5. E

    nikol(aus?)be d)

  6. F

    HELMOL / T[.]Ehenric(us) he(.)W e)

  7. G

    HILDEN W / BVRMESTER ·Joha(n)nes de nilatzen(.)[ – – – ] de [ – – – ]WILH[..]J f)

  8. H

    Meinherdus · g)

  9. I

    [ – – – ]sirachen h)

  10. J

    T . I . WALLE[.] i)

  11. K

    [...]olan(us?)V . I . [.]WILHELM j)

  12. L

    [....]ic kann[.....] k)ANN

  13. M

    heide[...]

  14. N

    MichA(N)NO · M · COCOCO · LXXX

  15. O

    IMBEIVE

  16. P

    HANS AR[...]

  17. Q

    hinricus / co[....]l)A / C

  18. R

    [..]de[.]s(us) duders[...]ma[.....]AND: HEN: / EYMBEK

  19. S

    Arnold(us) landowIOHANNES MOLLERiochim lindekel 19

  20. T

    HSm)

  21. U

    HR H · N ·nicolausn) di(n)gelstediohannes frigen

  22. V

    [..]oes · leo

  23. W

    AVCN

  24. X

    HKHR

Übersetzung:

(Im Jahr) 1400 am Bonifatiustag ... Herzog Friedrich durch das Schwert ... (A)

Kommentar

Das Graffito A bezieht sich auf die Ermordung Herzog Friedrichs von Braunschweig-Lüneburg am 5. Juni 1400. Herzog Friedrich befand sich an diesem Tag auf der Rückreise von Verhandlungen um die Königswahl in Frankfurt, für die er nominiert worden war. Bei Fritzlar wurde er von dem Grafen Heinrich von Waldeck und einer Schar hessischer Ritter – möglicherweise im Auftrag des Mainzer Erzbischofs Johann II. – überfallen und getötet.2)

Die vorkommenden Jahreszahlen 1380 und 1400 und die verwendeten Schriftarten deuten darauf hin, dass die Graffiti A–O in einem verhältnismäßig engen Zeitraum entstanden sind. Die beiden nebeneinander verwendeten Schriftformen der gotischen Minuskel und Majuskel lassen auf eine Ausführung der Graffiti in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, vielleicht auch noch im beginnenden 15. Jahrhundert schließen. Auffällig ist, dass die meisten Namen – soweit sich dies feststellen lässt – außerordentlich sorgfältig eingehauen sind, was auf in der Ausführung der beiden Schriftarten geübte Hände hindeutet, nicht aber auf zufällig anwesende Kirchenbesucher. Zudem ist bemerkenswert, dass die Jahreszahl 1380 zweimal ausgeführt und ansonsten nur noch das Datum 1400 zu lesen ist, das sich aber in dem inhaltlich ohnehin aus dem Rahmen fallenden Graffito über die Ermordung Herzog Friedrichs findet. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es sich bei den namentlich Genannten um an einer Baumaßnahme im Dom um 1380 beteiligte Handwerker handelt. Leider ist über die Baugeschichte dieses Teils des Braunschweiger Doms in der Zeit um 1400 nichts bekannt, so dass man weder eine Aussage darüber machen kann, ob sich an dieser Stelle eine Empore befunden hat, noch darüber, wer in der Lage war, die Graffiti auszuführen.

Im Vergleich mit den Graffiti A–O wirken die im Turmraum angebrachten Graffiti P–X wesentlich unbeholfener und haben daher eher den Charakter üblicher Graffiti.

Textkritischer Apparat

  1. Inschrift zwischen vorgezeichneten Linien. Das erste Wort in der zweiten Zeile ist trotz der eindeutig lesbaren letzten Buchstaben nicht rekonstruierbar. Unten auf dem Quader eine Einritzung in Form eines liegenden Wappenschildes mit weiteren nicht zu identifizierenden Ritzungen darin.
  2. Über dem letzten Graffito ein von zwei Linien begrenztes Band, in dem Ornamente in Form von Kleeblättern, Rosetten, Lilien und Efeublättern stehen.
  3. Das zweite Graffito steht in einem durch zwei Linien bezeichneten Band. Das zweite N in HARIMANN(US) ist retrograd. Unter den Graffiti auf dem Quader eine Ritzzeichnung, deren Darstellung sich jedoch nicht eindeutig verifizieren lässt. Möglicherweise handelt es sich um eine kniende, nach vorne gebeugte menschliche Gestalt mit erhobenem Arm.
  4. Die Lesung des oberen Graffito unsicher. Darunter eine Ritzzeichnung, die möglicherweise einen Arm darstellt, der schreibt oder einen Vorhang zusammenrafft.
  5. Das Graffito ist in außergewöhnlich großen, wohl etwa 25 cm hohen Buchstaben ausgeführt. Die Buchstaben sind in einer Konturschrift eingehauen, die letzten Buchstaben der ersten Zeile weisen in der Kontur ausgehauene Buchstabenbestandteile auf, während die Binnenflächen der Buchstaben erhaben stehengeblieben sind. Zwischen den beiden Zeilen ein in wesentlich kleineren Buchstaben und gotischer Minuskel ausgeführter Name.
  6. In der Mitte des Quaders weitere Ritzungen, die teilweise überputzt und nicht sinnvoll zu lesen sind. Rechts die Zeichnung eines knienden Mannes mit erhobenem rechten Arm, der möglicherweise einer handwerklichen Tätigkeit nachgeht.
  7. Der Name steht auf einem an der rechten Seite eingerollten Spruchband. Das Graffito zeichnet sich durch eine besondere Sorgfalt in der Ausführung der Buchstaben aus.
  8. Von dem oberen, zwischen zwei Linien stehenden und in gotischer Minuskel ausgeführten längeren Graffito lässt sich kein Buchstabe zweifelsfrei lesen. Vermutlich handelt es sich bei dem unteren Graffito um eine Verballhornung von Cyriaken. Die Buchstaben en kleiner und hochgestellt.
  9. Unter dem Graffito eine Ritzzeichnung, die vermutlich ein vierbeiniges Tier darstellen soll.
  10. Der Name WILHELM ist teilweise in einer Konturschrift mit vertieften Buchstabenbestandteilen und erhabenen Binnenflächen der Buchstaben ausgehauen.
  11. Das Graffito steht in einem durch Linien begrenzten Schriftband. Unterhalb des Schriftbandes ein weiteres Graffito, das nicht zu lesen ist.
  12. Links davon ein Rad mit Speichen und zwischen den Speichen geritzte Zeichen.
  13. Das S in das H gestellt. Darunter: MARWE[..] / VOLKSE / 1865.
  14. Lesung der drei letzten Buchstaben unsicher, bei dem letzten Zeichen könnte es sich auch um eine us-Kürzung handeln.

Anmerkungen

  1. 5. Juni.
  2. Vgl. NDB, Bd. 5, S. 501.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, A3, Nr. 57A (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009a30057A9.