Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)
Nr. 648(†) Gymnasium Martino-Katharineum, Breite Straße / Hinter Liebfrauen 1b 1592, 1593, 1595
Beschreibung
Inschriften an dem Gebäudekomplex des Gymnasiums Martino-Katharineum am Ziegenmarkt.1) Der aus einem an der Straße gelegenen Steinhaus und einem Hinterhaus aus Fachwerk bestehende Gebäudekomplex, der im Jahr 1870 verkauft wurde, weil er für den Schulbetrieb zu klein geworden war, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erhalten blieb das ehemalige steinerne Eingangsportal, das heute der Schule an der Breiten Straße als Eingang zur Aula dient. Es befand sich früher in der Mitte des dreigeschossigen traufenständigen Steinhauses, das bis zum Jahr 1820 ein mit drei Steingiebeln besetztes Dach aufwies.2) In Nischen zwischen den Fenstern des ersten und zweiten Obergeschosses standen jeweils vier weibliche Figuren, die Tugenden darstellten. Das aufwendige Rundbogenportal wird gerahmt von mit Fruchtgehängen geschmückten Pfeilern, aus denen Hermen hervorwachsen. Diese tragen einen Giebel, in dessen Mitte ein von zwei Putten gehaltener Wappenschild mit dem Wappen der Altstadt angebracht ist, links und rechts davon die Inschrift A. An dem Portal sind die Figuren der sieben Artes angebracht: In den Bogenzwickeln unter dem Fries liegen zwei früher durch Beischriften (B) bezeichnete weibliche Figuren auf dem Bogen, links die Grammatik, rechts die Astrologie. Die Bezeichnung der Grammatik stand auf einem Täfelchen, das diese in der linken Hand hält, die der Astrologie oben über dem Bogen. Außen links und rechts auf dem Giebel die Figuren der Dialektik und Geometrie auf Sockeln, in der Mitte – gerahmt von den Figuren der Rhetorik und Arithmetik – ein oben mit einem Bogen abgeschlossenes Relief, das die Szene der Mantelteilung aus der Vita des heiligen Martin zeigt; darüber als bekrönende Figur die Musik begleitet von zwei Trompete spielenden Putten.
Die Inschrift C verlief auf einem Fries über dem zweiten Obergeschoß unterhalb der Dachtraufe. Fragmente dieser Inschrift sind heute am Haus Hinter Liebfrauen 1b angebracht. Die Inschrift D im Westgiebel des Vorderhauses, die Inschrift E auf dem Schwellbalken des ersten Obergeschosses, die Inschrift F auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses an der Rückseite des Vorderhauses. Die Inschrift G am Schwellbalken des ersten Obergeschosses des Hinterhauses an der dem Schulhof zugewandten Seite. Sie war schon vor der Zerstörung des Gebäudes durch Anbauten weitgehend verdeckt. Am selben Gebäude auf dem Schwellbalken des zweiten Obergeschosses die Inschrift H. Die Inschrift I am südlichen Giebel des Hinterhauses, die Inschrift J am nördlichen Giebel. Die Inschriften K und L befinden sich auf zwei Steintafeln, die früher am Hintergebäude links und rechts oberhalb des Portals angebracht waren; heute hängen die beiden Tafeln außen am Schulgebäude in der Breiten Straße neben dem Portal zur Aula. Auf der Rückseite des alten Schulgebäudes befand sich auf einem Quader noch eine Inschrift aus jüngerer Zeit.3) Die erhaltenen Inschriften sind erhaben ausgeführt.
Inschrift B nach Photographie, Inschrift C nach Photographie ergänzt, Inschriften D–J nach Steinacker.
Maße: H.: 60 cm; B.: 118 cm (Inschriftentafeln K und L); Bu.: ca. 13 cm (A), ca. 20 cm (C), 5,8 cm (1. Zeile K), 3,7 cm (2.–7. Zeile K), 5,5 cm (8. Zeile K), 4,2–5,5 cm (L).
Schriftart(en): Kapitalis, mit Versalien (K, L).
- A
ANNO CHRI(STI) / M · D · XCII
- B†
GRAMMATICA // ASTROLOGIA
- C
SINITE PVEROS , ET NE PR[O]HIBE[AT]IS EOS A[D ME VENIRE · TALIVM EST ENIM REGNVM] COELORVM · MA[TTH · XIX] 4)
- D†
AN(N)O 1593
- E†
ET QVIA AB INFANTIA SACRAS LITERAS NOVERIS QVAE TE POSSVNT ERVDIRE AD SALVTEM PER FIDEM QVAE EST IN CHRISTO IESV 2 TIM . III 15 5) ANNO DOMINI M DXC II
- F†
QVARE LIBERALIBVS STVDIIS FILIOS ERVDIMVS NON QVIA VIRTVTEM DARE POSSVNT SED QVIA ANIMVM AD ACCIPIENDAM VIRTVTEM PRAEPARANT SENECA 6)
- G†
[ – – – ]INI CVM ANIMAE VE[ – – – ] VEHEMENTER
- H†
STVDIA ADOLESCENTIAM ALVNT : SENECTVTEM OBLECTANT SECVNDAS RES ORNANT : ADVERSIS PERFVGIVM AC SOLATIVM PRAEBENT DELECTANT DOMI : NON IMPEDIVNT FORIS : PERNOCTANT NOBISCVM : PEREGRINANTVR : RVSTICANTVR . CICERO 7)
- I†
GYMNASIVM / S . MARTINI / EXTRVCTVM / ANNO / 1593
- J†
GYMNASIVM / S . MARTINI EX/EDIFICATVM / AN(NO) M D XCIII
- K
D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) T(RINO) E(T) V(NO) S(ACRVM) / SVMPTIB(VS) AMPLISS(IMI) SENATVS , ET AEDIS SAC(RAE) / D(IVI) MART(INI) , LIBERALITATE QVOQ(VE) CIVIVM , ET / MVNIFICENTIA ARTES LIBERALES FOVENTIVM , / CONRAD(VS) DORRING CAM(ERARIVS) ET HENR(ICVS) AB ADENSTEDT / (DECEM)VIR , AEDIL(IS) SAC(RARII) HOC GYMNASIVM LITERARIVM / A FVNDAMENTIS INTRA TRIENNIVM F(IERI) C(VRAVERVNT) / AN(NO) M . D .a) XCV .
- L
AMPLISS(IMVS) SENATVS HVIVS REIPVB(LICAE) / CVM R(EVERENDO) MINISTERIO ET D(OMI)N(IS) SCHOLARCHIS / HOC GYMNASIVM IMPLORATO DEI / PRAESIDIO , PIETATI , MVSISQ(VE) DICATVM , / TOTO COETV SCHOLASTICO PRIMVM / INTRODVCTO , SOLENNITER INAVGVRAVIT , / X KAL(ENDAS) NOVEMB(RIS) 8) AN(NO) M · D ·a) XCV ·
Übersetzung:
Die Grammatik. Die Astrologie. (B)
Laßt die Kinder und hindert sie nicht, zu mir zu kommen, denn solchen gehört das Himmelreich. (C)
Und weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, können diese dich durch den Glauben zum Heil unterweisen, das in Christus Jesus ist. (E)
Warum unterweisen wir die Söhne durch standesgemäße Studien? Nicht weil sie Tugend verleihen können, sondern weil sie den Geist vorbereiten, die Tugend zu empfangen. Seneca. (F)
Die Studien nähren die Jugend, sie erheitern das Alter, sie schmücken das Glück, sie gewähren Zuflucht und Trost in widrigen Situationen, sie erfreuen zuhause, sie sind in der Öffentlichkeit nicht hinderlich, sie verbringen die Nacht mit uns, sie gehen (mit uns) in die Fremde, sie halten sich (mit uns) auf dem Lande auf. Cicero. (H)
Das Gymnasium St. Martini (wurde) errichtet im Jahr 1593. (I)
Das Gymnasium St. Martini (wurde) erbaut im Jahr 1593. (J)
Dem höchsten größten dreifaltigen und einen Gott geweiht. Auf Kosten des hochehrwürdigen Rates und der Kirche St. Martini, auch durch die Freigebigkeit der Bürger und die Mildtätigkeit derjenigen, die die freien Künste fördern, haben der Kämmerer Konrad Doring und der Zehnmann und Baumeister der Kirche, Heinrich von Adenstedt, dieses Gelehrten-Gymnasium in einem Zeitraum von drei Jahren von den Fundamenten an errichten lassen. (K)
Der hochehrwürdige Rat dieser Stadt hat zusammen mit dem ehrwürdigen (Geistlichen) Ministerium und den Herren Scholarchen dieses Gymnasium, das nach Anrufung der Hilfe Gottes der Frömmigkeit und den Musen geweiht ist, mit dem erstmaligen Einzug der gesamten Schulversammlung feierlich eingeweiht am zehnten Tag vor den Kalenden des November im Jahr 1595. (L)
Textkritischer Apparat
- Neulateinische Zahlzeichen.
Anmerkungen
- Nro. 464.
- Vgl. Karl Steinacker, Die Schauseite der Martinsschule in Braunschweig und ihr Baumeister. In: Braunschweigisches Magazin, 1921, S. 53–57, hier S. 54.
- FVNDAMENTVM RENOVATVM 1706. Steinacker (wie Anm. 2) vermerkt zudem, daß hier zahlreiche Schülernamen eingeritzt waren.
- Nach Mt. 19,14.
- 2. Tm. 3,15.
- Vgl. Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 88, 20.
- Vgl. Cicero, Oratio pro Archia poeta 7 (Zählung der Ausgabe: M. Tulli Ciceronis scripta quae mansuerunt omnia, Fasc. 19, hg. v. H. Kasten, Leipzig 1966; sonst auch: 16).
- 23. Oktober.
- Vgl. dazu Meier, Kunsthandwerk, S. 26–33, u. Steinacker, wie Anm. 2, passim.
- Zit. nach Steinacker (wie Anm. 2), S. 54.
Nachweise
- Photographien: NLD Hannover (A–C). Städtisches Museum, Topographische Sammlung (A–C).
- Sammlung Sack, Nr. 138, Bd. 1, Teil 1 (o. P., I, J).
- Steinacker, Dekorationskunst, S. 82f.
- Steinacker, Häuserkatalog.
- Gymnasium Martino-Katharineum Braunschweig, Festschrift zur 500-Jahr-Feier, hg. v. Richard Elster, Braunschweig 1926, S. 67 (C).
- Abb.: Meier/Steinacker, Kunstdenkmäler, Abb. 86 (A). Meier, Kunsthandwerk, Abb. 44 (A). 1415–1965 Gymnasium Martino-Katharineum Braunschweig, hg. v. Johann-Dietrich Bödeker. Braunschweig 1965, S. 20f. (K, L).
Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 648(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0064809.
Kommentar
Mit dem Neubau der Schule wurde im Jahr 1592 der Baumeister und Steinmetz Balthasar Kircher beauftragt, der in den folgenden drei Jahren die Bauleitung hatte. Unter seiner Führung arbeiteten weitere Braunschweiger Meister, unter ihnen Georg Röttger, Weimar Heinemann und Floris von der Mürtel.9)
Weimar Heinemann wurde am 27. Oktober 1595 entlohnt vor die uffschrift uff beiden seitten uber der döre an der newen schuelen drey thaler.10) Es handelte sich dabei vermutlich um die beiden Tafeln mit den Inschriften K und L.