Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 620 Gewandhaus, Altstadtmarkt 1 1589, 1590, 1591

Beschreibung

Bauinschriften. Viergeschossiger Steinbau mit zwei giebelständigen Schauseiten und Treppengiebeln. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und in den Jahren 1948 bis 1954 wiederaufgebaut. Der heutige Eindruck des großen mit der langen Traufenseite zum Altstadtmarkt hin stehenden Gebäudes täuscht insofern, als dem Bau früher auf der Nordseite eine Anzahl kleinerer Gebäude vorgelagert war, wie es heute noch das mit Holzteilen des Rüninger Zollhauses1) errichtete Haus Altstadtmarkt 2 zeigt. Das untere Geschoß des Gewandhauses öffnet sich zur prunkvolleren Ostfassade hin in drei großen Bögen, die drei Obergeschosse weisen jeweils in der Mitte einen großen Bogen auf, links und rechts davon je zwei Fenster. Dieselbe Gliederung findet sich auch in den beiden unteren Giebelgeschossen der Ostfassade. Die Jahreszahl A an der Westfront des Hauses im mittleren der drei Giebelgeschosse unter dem Stadtwappen. Während der Giebel auf der Westfront vergleichsweise schlicht gestaltet ist und die einzelnen Geschosse lediglich außen in Voluten enden, weist der Giebel der Ostfassade reiche Verzierungen auf. Die vier Giebelgeschosse sind durch hohe Friese voneinander getrennt. Neben den den äußeren Abschluß bildenden Voluten stehen im zweiten Giebelgeschoß zwei männliche Wächterfiguren, im vierten Giebelgeschoß links die Figur der Spes mit Anker, rechts Fortitudo mit der gebrochenen Säule. Der seitlich von zwei Obelisken begleitete rundbogige Giebelaufsatz trägt als Bekrönung die geflügelte Figur der Iustitia mit Schwert und Waage. Die Fenster der Giebelgeschosse sind durch der Architektur vorgesetzte Pfeiler voneinander getrennt, die im ersten, dritten und vierten Obergeschoß als Karyatiden gestaltet und durch Fruchtgehänge und anderes Ornament plastisch verziert sind. Die erhaben ausgeführte Inschrift B steht auf zwei Tafeln im linken und rechten Feld des unteren Giebelgeschosses. Im mittleren Feld des dritten Giebelgeschosses ein Medaillon mit dem plastisch herausgearbeiteten Stadtlöwen. Auf dem Fries darüber im mittleren Feld die Inschrift C in eingehauenen Buchstaben. Hier befand sich früher auch die Hausmarke des in der Inschrift C genannten Bauherrn der Stadt, Hans Lampe (H18). Im linken und im rechten Feld eine Inschrift, die auf die Zerstörung des Hauses im Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau verweist. Am Giebel der Ostfassade befanden sich früher verschiedene Initialen von Steinmetzen (D) sowie ein weiteres Meisterzeichen (M9). Das eine Inschrift tragende Portal auf der Nordseite des Gewandhauses wurde hier erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingebaut; es stammt aus dem Haus Hagenmarkt 20 (vgl. Nr. 634).

Inschrift D nach Beck und Meier.

Maße: Bu.: ca. 25 cm (A, B), ca. 20 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis.

Sabine Wehking [1/4]

  1. A

    1 ··5 8 9

  2. B

    QVOD TIBI / HOC / ALTERI · // ANNO / 1590

  3. C

    HANS LAMPE CAEMMERER IN DER / ALTTEN WIECK VND DERZEIT BAVHER / DER STAT ANNO 1591

  4. D†

    M K a) // B K // V · M · B b)

Übersetzung:

Was dir (recht) ist, ist dem anderen (billig). (B)

Kommentar

Der Bau des Gewandhauses ist durch Quellen gut dokumentiert.2) Der in der Inschrift C genannte Hans Lampe war von 1589 bis 1593 Generalbaumeister der gesamten Stadt Braunschweig. In dieser Funktion übernahm er im Frühjahr 1589 die Bauleitung des Gewandhauses.3) Die Vermutung Steinackers, Lampe habe nicht nur die obere Bauaufsicht gehabt, sondern er sei zugleich der Architekt und Baumeister des Gewandhauses gewesen, gründet sich lediglich auf die Inschrift C und die in ihrem Zusammenhang angebrachte Marke, die Steinacker nicht als Hausmarke sondern als Steinmetzzeichen interpretiert. Auch Steinacker muß allerdings einräumen, daß eine Tätigkeit Lampes als Architekt sonst nicht belegt ist.4) Daß sich der für die Durchführung des Baus, die Beschäftigung von Handwerkern und die Beschaffung von Materialien Verantwortliche inschriftlich als Urheber nennt, obwohl er auf die künstlerische Gestaltung des Hauses abgesehen von der Beschäftigung entsprechend qualifizierter Leute kaum Einfluß hatte, ist nicht ungewöhnlich – zumal auch die Inschrift keinerlei Hinweis auf eine praktische Tätigkeit Lampes am Bau gibt. Die detailliert überlieferten Rechnungen zum Bau des Gewandhauses zeigen deutlich, daß nicht Lampe, sondern der Steinmetzmeister Balthasar Kircher der ausführende Baumeister war. Die Initialen BK (D) stehen für den aus Süddeutschland stammenden Steinmetzen, der über die gesamte Bauzeit hinweg in den Rechnungen als Meister entlohnt wird und in seiner Tätigkeit von einer ganzen Anzahl von Gesellen unterstützt wurde, von denen viele wie er süddeutscher Herkunft waren. Die Initialen MK bezeichnen die Tätigkeit des Maurermeisters Magnus Klinge, der ebenfalls während der gesamten Bauzeit als Meister der Maurer entlohnt wird. Auch der Bildhauer Georg Röttger arbeitete an dem Bau mit; er stellte einen Teil der Schmuckelemente für die Ostfassade her.5)

Textkritischer Apparat

  1. MK] K Meier.
  2. V M B] V B Beck. Die Initialen lassen sich mit Hilfe der Baurechnungen nicht auflösen.

Anmerkungen

  1. Daran die Jahreszahl ANNO · CHRISTI · 1643.
  2. Vgl. dazu vor allem Steinacker, Lampe, passim, und die detaillierten Baurechnungen Sta Braunschweig, B IV 9, Nr. 35.
  3. Vgl. die Bestallungsurkunde, gedr. bei Steinacker, Lampe, S. 132–135.
  4. Ebd., S. 123, u. ders., Dekorationskunst, S. 68f.
  5. Vgl. Sta Braunschweig, B IV 9, Nr. 35, fol. 144v, 149v u. 151v, sowie Meier, Kunsthandwerk, S. 27f. u. Steinacker, Dekorationskunst, S. 73.

Nachweise

  1. Beck, H III, 1,15, fol. 32 (B–D).
  2. Steinacker, Lampe, S. 122 (C).
  3. Meier, Kunsthandwerk, S. 26 (D).

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 620 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0062001.