Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 588(†) St. Martini 1583

Beschreibung

Epitaph des Johann Rosbeck und der Sabina Stitzing. Holz, farbig gefaßt, darin ehemals zwei Gemälde. Das mehrteilige Epitaph, das 1999/2000 restauriert wurde, ist heute an der westlichen Wand des nördlichen Seitenschiffs angebracht. Im Mittelteil befand sich früher ein oben rundbogig abgeschlossenes Gemälde, das im Vordergrund Caritas mit Kindern zeigte, rechts in den Hintergrund verschoben ein Kruzifix mit dem Titulus A daran; oben in den Wolken Gottvater und der Heilige Geist in Gestalt der Taube, darunter ein Schriftband mit der Inschrift B, am Fuß des Kreuzes eine gemalte Tafel mit der Inschrift C. Über den Verbleib des nach dem Zweiten Weltkrieg verschwundenen Gemäldes ist nichts bekannt; heute ist es durch eine Photographie ersetzt. Darunter, die gesamte Breite des Gemäldes einnehmend, eine von Rollwerk gerahmte querrechteckige Tafel mit der in zwei Spalten angeordneten Inschrift D in gemalten goldenen Buchstaben auf dunklem Grund. Oben über dem Gemälde in den Zwickeln geschnitzte Frauenfiguren, die Kränze halten. Der Mittelteil wird von zwei vorspringenden Säulen begrenzt, die ein Gesims tragen. Auf dem Gesims in der Mitte eine Tafel mit der Inschrift E über einem Engelskopf. Oberhalb des Gesimses ein ebenfalls seitlich durch Säulen abgeschlossener Aufsatz, der oben durch Gesims und Giebel abgeschlossen ist; in seinem quadratischen Innenfeld befand sich vermutlich früher ebenfalls ein Gemälde, das jedoch schon vor dem Jahr 1914 fehlte.1) Im Fries des Aufsatzes die Jahreszahl F. Nach außen wird der Mittelteil des Epitaphs durch eine senkrechte architektonische Gliederung mit Sockel, einem hochrechteckigen Feld und einem quadratischen Feld darüber sowie Gesims abgeschlossen, die sich in den seitlich begrenzenden mit Karyatiden besetzten Vorsprüngen fortsetzt. In den Nischen der hochrechteckigen Felder links die Figur des Johannes Evangelista, rechts die Figur des Paulus mit Schwert, beide ursprünglich mit Beischriften (G) auf dem Sockel darunter versehen, von denen aber nur diejenige des Johannes teilweise erhalten ist. In den quadratischen Feldern darüber zwei kleine vollplastische Bischofsbüsten. Oben auf dem Epitaph stand früher die Figur der Iustitia, links auf dem Gesims über dem Mittelteil die Figur der Fortitudo, rechts die Figur der Prudentia.2) Über den Platz der ursprünglich am Epitaph angebrachten beiden Wappen, die die Zeichnung in der Sammlung Sack überliefert, ist nichts bekannt. Sie könnten sich vor den beiden den Mittelteil rahmenden Säulen befunden haben. Den unteren Abschluß des Epitaphs bildet eine von Beschlagwerk, Engelsköpfen, Gehängen und anderem Renaissanceornament umgebene Kartusche, darauf die Inschrift H, darunter die Künstlersignatur I (M5). Unter der Kartusche ein Medaillon, darin ein Putto mit einem Totenkopf. Die Inschriften sind in goldenen Buchstaben auf schwarzem Grund gemalt, die u der Inschrift H sind durch übergeschriebene Bögen gekennzeichnet.

Inschriften A–C nach Photographie, Inschriften D und G ergänzt nach Photographie.

Maße: H.: 381 cm; B.: 194 cm; Bu.: 1,2 cm (D), 0,8 cm (E), 3,5 cm (F), 2,1 cm (G), 2 cm (H).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, G), mit Versalien (E); Mischschrift mit Merkmalen der humanistischen Minuskel und Fraktur mit Kapitalisversalien (D); Fraktur mit Frakturversalien und Kapitalis (C, H).

Sabine Wehking [1/5]

  1. A†

    · I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM) · 3)

  2. B†

    WER AN DEN SON GLEWBT / DER HAT DAS EWIGE LEBEN 4)

  3. C†

    Gott ist die Liebe Vnnd / wer inn der Liebe bley/bet der bleybt Jnn Gott / Vnnd Gott Jnn Jhm · / 1 · IOHANNES · 4 · 5)

  4. D

    En magnum et doctum quem nulla insignia pat[rum] / Sed virtus potuit nobilitare uirum , / urbs pataui erudijt mentem Celebrisq(ue) Tubinga / Doctoris titulos Itala terra dedit . / Os doctum et prudens mirata est Caesaris aula / Aula palatinus post Comes inquit eris . // Magne heros Guihelme tibi gratissimus ille / Et toti domui post tua fata fuit / Ille tuum Brunsuiga decus fuit , optimus ille / Iustitiae Cultor Criminis osor erat / Corpore paruus erat , sed paruo in Corpore uirtus / Magna fuit , Corpus mors rapit haec remanet

  5. E

    INCLYTA VIRTVTIS ROSBECCI PRAEMIA / NOVIT / SAXONIA , ET MAGNI CAESARIS / IMPE= RIVM · a)

  6. F

    · 1583 ·

  7. G

    S · [I]O[H]ANNES // [ S · PAVLVS]

  8. H

    ANNO DOMINI · 1581 · Am Tage ANDREAE / Wahr der 30 NOVEMBRIS Jn der Nacht Umb eilff / Uhren Jst der Ernuest achtbar vnd hochgelartter herr Johan Rosbeck / der Rechten Doctor vnd Stadt Braunschweig SYNDICVS , seines altersz im / 50 Jare in Gott seliglichen entschlaffen auch alhie Begraben vnd desselben / hinter verlaszene Wittwe die Erbare vnd Tugentsame frauwe sabi=/na stitzing nach dem sie sich von hier zu / Jrer tochter begeben kurtz hernacher zu edle/hoffen in der Pfaltz verschieden , gott der / almechtige wolle Jnen eine froliche / aufferstehung vorliehen , amen

  9. I

    FM

Übersetzung:

Siehe den großen und gelehrten Mann, den nicht Wappen der Väter haben adeln können, sondern (nur) die Tugend. Die Stadt Padua und das berühmte Tübingen bildeten seinen Verstand aus, das Land Italien gab die Titel des Doktors. Der Kaiserhof staunte über die gelehrte und kluge Rede. Der Hof sagte, du wirst später Pfalzgraf sein. Dir, großer Held Wilhelm, war jener hochwillkommen und deinem ganzen Haus nach deinem Tod. Jener war deine Zier, Braunschweig, jener war der beste Bewahrer der Gerechtigkeit und Hasser des Verbrechens. Körperlich war er klein, aber in dem kleinen Körper wohnte große Tugend; den Körper raubt der Tod, diese bleibt. (D)

Sachsen und das Reich des großen Kaisers haben die berühmten Vorzüge der Rosbeckischen Tugend gekannt. (E)

Versmaß: Elegische Distichen (D, E).

Wappen:
Rosbeck6)Stitzing7)

Kommentar

Besonders interessant ist die Verwendung ganz unterschiedlicher Schriftarten auf einem hölzernen Epitaph mit gemalten Inschriften, d. h. auf einem Inschriftenträger, der in Braunschweig wie auch andernorts in der einschlägigen Zeit zumeist in engem Zusammenhang mit der Verwendung von Frakturschriften steht. Die deutsche Prosagrabschrift H auf der Kartusche ist in einer Fraktur mit teilweise sehr aufwendig gestalteten Frakturversalien ausgeführt, für die lateinischen Bestandteile dieses Textes wurde jedoch die Kapitalis verwendet. Ebenso fand die Kapitalis Verwendung für die lateinische Versinschrift E und für das deutsche Bibelzitat B, bei dem man allerdings eher eine Fraktur als die passende Schriftart erwartet hätte. Besonders eigenwillig ist die für die lateinische Versinschrift D ausgewählte Mischschrift, die Merkmale der humanistischen Minuskel und der Fraktur in sich vereint, und mit Kapitalisversalien kombiniert ist. Auffällig ist das durchgehend für u und v verwendete u aus zwei senkrechten Hasten mit Verbindungsstrich.

Der an der Herstellung des Epitaphs beteiligte Maler ist aufgrund der Künstlersignatur FM als Floris von der Mürtel zu identifizieren. Der Maler, der seine Herkunft mit Antwerpen angab, bat den Rat der Stadt Braunschweig am 27. Februar 1583 um die Verleihung der Bürgerschaft. Er begründete diesen Antrag damit, daß er bereits seit drei Jahren in der Stadt arbeitete und wies zugleich auf seine Qualifikation für die Anfertigung von Porträts, Epitaphien und anderer Arbeiten hin. Nach Aussage Mürtels hatten ihm die Städte Hannover und Hildesheim zuvor angeboten, sich dort niederzulassen.8) Er bevorzugte es jedoch, in Braunschweig ansässig zu werden. Zahlreiche Rechnungsakten der Braunschweiger Kirchen belegen die handwerkliche und künstlerische Tätigkeit Mürtels in der Stadt.9) Mürtel besaß bei seinem Tod zwei Häuser am Bohlweg, deren Inventaraufstellung erhalten ist.10) Er starb im Jahr 1609 an der Pest.11)

Die Matrikel der Universität Tübingen verzeichnet im Januar 1548 die Immatrikulation eines Johannes Roschbeck aus Reckingen bei Öttingen.12) Da Rosbeck seiner Grabschrift zufolge um 1533 geboren sein muß, könnte es sich um ihn handeln. Mit dem in der Grabschrift erwähnten großen Helden namens Wilhelm ist Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar gemeint, in dessen Diensten Rosbeck seinem Testament13) zufolge lange Zeit stand. Bevor er in die Dienste der Stadt Braunschweig trat, fungierte er als Rat der verwitweten Herzogin Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar. Im Jahr 1574 wurde Johann Rosbeck als Syndikus der Stadt Braunschweig berufen.14) Nach seinem Tod legte seine Ehefrau Sabina Stitzing Protest gegen das Testament ihres Ehemanns ein, in dem dieser ihr lediglich 40 Taler hinterließ und das einbehielt, was sie in die Ehe mitgebracht hatte, während er eine Dienerin des Hauses mit einer deutlich höheren Summe ausstattete.15)

Bezüglich seiner Grablege traf Rosbeck in seinem Testament genaue Vorkehrungen: Zum andern soll man meinen todten Corper ehrlich unnd Christlich, wie sichs meinem stand nach gehort, in S. Martins Kirchen alhir begraben unnd mir einen Grabstein uff das grab legen, auch eine steinerne Taffel oder Epitaphium zu rechts darbeij an einem sichtbarn ortt mit einer Evangelischen Histori, so sich uff di vorgehenden trostspruch ziehet unnd reimet, uffmachen, unnd soll beides der grabstein und Epitaphium mit meinem namen, auch stand unnd Wapen gewertigt sein, unnd da es sich immer schicken will etzliche carmina, in denen angedeutet werde, in was guten ehrlichen ansehen Ich bei der Key: Mayst. unnd dem Haus Sachssen Weymarschen theils gewesen, unnd was ich auch beij dieser Stad Braunschweig gethan, daran gemacht werden.16) Bei den angesprochenen Trostsprüchen handelt es sich um eine ganze Reihe von Bibelzitaten vorwiegend aus den Briefen des Neuen Testaments, die im Testament Rosbecks wiedergegeben sind. Unter ihnen findet sich die Inschrift B, während die Inschrift C dort nicht aufgeführt ist. Rosbeck regte in seinem Testament auch an, daß die Witwe des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar ihm in der Pfarrkirche von Weimar ein Epitaph nach ihrem Gutdünken setzen könnte.

Textkritischer Apparat

  1. Das letzte Wort wird durch den in die Inschrift hereinragenden Engelskopf unterbrochen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Photographie aus dem Jahr 1914, NLD Hannover, BS 18304.
  2. Angaben nach der Zeichnung in der Sammlung Sack.
  3. Io. 19,19.
  4. Jh. 3,36.
  5. 1. Jh. 4,16.
  6. Wappen Rosbeck (geteilt, oben Hund, unten drei anstoßende Rauten). Wappenbeschreibungen nach der Zeichnung in der Sammlung Sack, Nr. 138, Bd. 1, Teil 1 (o. P.).
  7. Wappen Stitzing (zwei gekreuzte Forken).
  8. Sta Braunschweig, B IV 10c, Nr. 428.
  9. Vgl. Register 2., s. v. ‘Mürtel’.
  10. Sta Braunschweig, A I 4, Nr. 7.
  11. Zur Biographie Mürtels vgl. Scherer, Röttger, S. 196–198.
  12. Matrikel Tübingen, Bd. 1, S. 335, 129,43. Ein Aufenthalt an der Universität Padua ist nicht nachzuweisen.
  13. Sta Braunschweig, B I 23, Bd. 4, fol. 24v–30v.
  14. Sta Braunschweig, B III 10, Bd. 4a, fol. 28f.
  15. Ebd., fol. 33.
  16. Wie Anm. 13.

Nachweise

  1. Photographie: NLD Hannover, BS 18554.
  2. Sammlung Sack, Nr. 138, Bd. 1, Teil 1 (o. P., Zeichnung, D, E, G, H); Bd. 3, p. 81f. (D, E, H).
  3. Schmidt, Martinskirche, S. 93f. (D, E, H).
  4. Abb.: Meier, Kunsthandwerk, Abb. 56. Jünke, Zerstörte Kunst, S. 236.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 588(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0058801.