Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 478† St. Jakob 1557

Beschreibung

Epitaph des Ludolf von Wenden. Das hölzerne Epitaph war Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden.1) Oben auf der hochrechteckigen Tafel befand sich eine Darstellung des Jüngsten Gerichts und der Auferstehung Christi. Im mittleren Teil die Inschriften A und B auf Schriftbändern links und rechts über einem Feld mit der Inschrift C. Darunter links und rechts Darstellungen des Verstorbenen und seiner Ehefrau in Bethaltung, zwischen den Figuren zwei Wappen. Im unteren Drittel eine querrechteckige Tafel mit der Inschrift D.2)

Inschriften nach der Zeichnung in der Sammlung Sack.

Schriftart(en): Fraktur.

  1. A

    Herr himlischer Vater in deine / hende bevilelch ich meine(n) Geist 3)

  2. B

    Christus Jesus ist mein Leben / Sterben ist mein Gewin 4)

  3. C

    Gleich wie der Blixen aus/gaet aus den Osten Jn das / Westen Also sol auch sein die / Zukunfft des Mensche(n) Sone / Matthei XXV . 5)

  4. D

    Anno d(o)m(i)ny Jm LV Jahre des Ersten Sonawendes In der Fasten6) ist der Erbar / und Ernvest Ludelff vo(n) Wendena) boßlichb) vom Leben zum tod gebracht un / Leitt hier begraben dem der allmechtige Gott wolle genedig und / barmherzig seijn Amen 1557c)

Wappen:
Wenden7)Bortfeld8)

Kommentar

Die Inschrift D läßt darauf schließen, daß das Epitaph erst zwei Jahre nach dem Tod des Ludolf von Wenden am 3. März 1555 errichtet wurde.

Ludolf von Wenden wurde von Tönnies von Kerssenbrock getötet, der daraufhin die Stadt Braunschweig vorübergehend verlassen mußte. Er durfte erst zurückkehren, nachdem er 1000 Gulden gezahlt und weitere 500 Gulden bei dem Wolfenbütteler Hofmarschall Heinrich Grosse hinterlegt hatte, die der Martinikirche als für den Begräbnisort des Ludolf von Wenden zuständiger Gemeinde gezahlt werden sollten. Der Ermordung des Ludolf von Wenden war einige Jahre zuvor ein Zusammentreffen des Ludolf von Wenden mit Arnd von Kerssenbrock voraufgegangen, bei dem letzterer von Ludolf von Wenden und seinen Leuten erschossen worden war. An der betreffenden Stelle setzte die Familie Kerssenbrock einen Stein, auf dem zu lesen war, daß Arnd von Kerssenbrock erbärmlich vom Leben zum Tode gekommen sei. Nach der Ermordung seines Bruders Ludolf ließ ihm Hans von Wenden das Epitaph in der zu St. Martini gehörenden Jakobskirche setzen. Die Vorsteher von St. Martini erhielten für den Begräbnisplatz die bei dem Hofmarschall in Wolfenbüttel hinterlegten 500 Gulden. Im Jahr 1564 legte der inzwischen nach Braunschweig zurückgekehrte Tönnies von Kerssenbrock Beschwerde beim Braunschweiger Rat ein, weil er das Wort boßlich in der Inschrift des Epitaphs als ehrenrührig empfand, und verlangte dessen Tilgung. Hans von Wenden wandte daraufhin ein, daß dann auch das Wort erbaermlich auf dem Stein im freien Feld zu tilgen sei. Vor dem Rat der Stadt wurde eine entsprechende Übereinkunft getroffen, und Hans von Wenden ließ das Wort des Anstoßes umgehend von dem Epitaph seines Bruders entfernen. Da Tönnies von Kerssenbrock nun aber seinerseits keinerlei Anstalten machte, auch das Wort erbaermlich zu tilgen, ließ Hans von Wenden das Wort boßlich auf dem Epitaph erneut ausführen. Hierüber beschwerte sich Tönnies von Kerssenbrock im Juli 1564 und verlangte die Rückzahlung seiner 500 Gulden. In dem sich daran anschließenden Schriftwechsel, der von Tönnies von Kerssenbrock und dem Wolfenbütteler Hofmarschall Heinrich Grosse auf der einen Seite und von Hans von Wenden und dem Rat der Stadt Braunschweig auf der anderen Seite geführt wurde, betonte Kerssenbrock, daß die Tilgung des Wortes boßlich und die Entfernung der Wortes erbaermlich gar nicht in einem Zusammenhang stehen könnten, weil erbaermlich lediglich die Art des Todes bezeichne, aber nicht die Art von dessen Herbeiführung. Aufgrund dieser Argumentation ließ Hans von Wenden im Jahr 1565 das Wort boßlich erneut tilgen und an seine Stelle auch auf dem Epitaph das Wort erbaermlich setzen. Damit war für den Rat der Stadt die Sache zu einem für beide Seiten akzeptablen Abschluß gelangt. Trotzdem forderte Tönnies von Kerssenbrock noch 1568, das nun erbaermlich lautende Wort auf dem Epitaph des Ludolf von Wenden zu tilgen; andernfalls wollte er seine 500 Gulden auf dem Gerichtsweg einklagen. Der Braunschweiger Rat stellte daraufhin seine Auffassung gegenüber dem Wolfenbütteler Hofmarschall noch einmal ausführlich dar und bat diesen, Tönnies von Kerssenbrock davon zu überzeugen, daß die Sache nun für keinen der beiden Beteiligten mehr ehrenrührig sei. Anscheinend hatte er damit Erfolg, denn es sind keine weiteren Schreiben in der Angelegenheit überliefert.9)

Textkritischer Apparat

  1. Wenden] Weyden Oeynhausen.
  2. boßlich] Das Wort wurde 1565 getilgt und durch erbaermlich ersetzt. Vgl. Kommentar.
  3. 1557] Die Jahreszahl fehlt bei Oeynhausen. Oeynhausen lokalisiert das Grabdenkmal an St. Martini.

Anmerkungen

  1. Schmidt, Martinskirche, S. 243.
  2. Beschreibung nach der Zeichnung in der Sammlung Sack, Nr. 134, p. 54.
  3. Lk. 23,46.
  4. Phl. 1,21.
  5. Mt. 24,27. Es ist nicht zu entscheiden, ob die Angabe der Bibelstelle auf dem Epitaph falsch überliefert ist oder falsch ausgeführt war.
  6. 3. März.
  7. Wappen Wenden (zwei mit sechs Lindenblättern besetzte Sparren). Wappenbeschreibungen nach der Zeichnung in der Sammlung Sack, Nr. 134, p. 54. Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 5, S. 103 u. Tafel 63.
  8. Wappen Bortfeld (zwei gekreuzte Lilienstäbe). Vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 18 u. Tafel 43.
  9. Sta Braunschweig, B IV 11, Nr. 169. Ein ähnlicher Vorgang ist für die Pfarrkirche St. Marien in Danzig überliefert. Vgl. Gregorius Frisch, Der Sankt Marien Pfarrkirchen in Dantzig inwendige Abriss. Hg. v. Katarzyna Cieslak, Danzig 1999 (Bibliotheca Historica Gedanensis Vol. 1), S. 98f.

Nachweise

  1. Sammlung Sack, Nr. 134, p. 54 (Zeichnung) u. p. 55 (D).
  2. Beck, Auffschriften, Sp. 1282 (D).
  3. Schmidt, Martinskirche, S. 244.
  4. Oeynhausen, Grabinschriften, fol. 95r.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 478† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0047808.