Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig von 1529 bis 1671

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 56: Stadt Braunschweig II (2001)

Nr. 411 Herzog Anton Ulrich-Museum 1529?

Beschreibung

Sogenannte Hochzeitsschüssel.1) Lindenholz, farbig gefaßt und bemalt. Im Boden der Schüssel ein großes rundes Medaillon mit einer Darstellung der Geburt Christi, im Nimbus der Maria die Inschrift A. Auf dem breiten Rand vier kleinere runde Medaillons. Darin oben Gottvater umgeben von einem Spruchband mit der Inschrift B. Im linken Medaillon Moses mit den Gesetzestafeln, auf denen hebräische Schriftzeichen angedeutet sind, die sich jedoch nur in wenigen Fällen eindeutig mit bestimmten hebräischen Buchstaben identifizieren lassen und keinen lesbaren oder sinnvollen Text ergeben.2) Über der Darstellung des Moses ein gewundenes Schriftband mit der Inschrift C, die dazugehörige vollständige Angabe der Bibelstelle unterhalb des Schriftbandes. Im rechten Medaillon Jesaja umgeben von einem gewundenen Schriftband mit der Inschrift D, die dazugehörige Angabe der Bibelstelle darunter. Die u, v und w der Inschriften sind durch übergeschriebene kleine v gekennzeichnet. Im unteren Medaillon zwei Vollwappen. Zwischen den Medaillons auf dem Rand Köpfe, Putten und Fabelwesen sowie Rankenornament mit Früchten und Blumen. Das untere Medaillon wird von einem geflügelten männlichen und einem geflügelten weiblichen Fabelwesen gehalten. Im Medaillon des Schüsselbodens auf dem Fußboden der dargestellten Szene eine Künstlersignatur (E).

Maße: Dm.: 77,5 cm; Bu.: 0,35 cm (A), 0,7–0,9 cm (B–D), 0,2 cm (B–D, Angabe der Bibelstellen), 0,4 cm (E).

Schriftart(en): Kapitalis (A, E), gotische Minuskel mit Versalien (B–D).

Herzog-Anton-Ulrich Museum, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen [1/4]

  1. A

    A · M · A · R · I · A · E · M · C ·a)

  2. B

    Dat is min leveb) son in welcke(n)c) ick ein wolgefalled) 3)

  3. C

    Eine(n) prophete wert iv got iuwe(n) here erwecke(n) vth iuwe(n) broderen 18 // Deut · 18 · 4)

  4. D

    sie ein iu(n)gfruwe wert entfange(n) vn(de) gebe(ren) eine) son se werdt i(n) sine(n) name(n) hete(n)f) emanuel // esaie · 7 · 5)

  5. E

    BH 1529g)

Wappen:
Rogge6)Dörrien7)

Kommentar

Die Benennung dieser und einiger ähnlich gestalteter Holzschalen, die zum überwiegenden Teil aus Braunschweig stammen (vgl. a. Nr. 424 u. A1 1544), beruht auf der Annahme, daß die repräsentativen Schalen zunächst als Gerät zur Einsammlung der meist in Form von Geld überreichten Hochzeitsgeschenke dienten und später als Erinnerungsstücke und Raumschmuck im Haushalt Verwendung fanden.8)

Die Künstlersignatur verweist möglicherweise auf den in Braunschweig ansässigen Barthold von der Heyde, der Mitglied der Beckenwerkergilde war, dieses Handwerk aber nicht ausübte.9) Urkundlich läßt er sich als Maler von Wappenschilden und Fahnen nachweisen.10) Die Ausführungen bei Fink und im Katalog ‘Stadt im Wandel’11), wonach die Hochzeitsschüssel für den Braunschweiger Magister Hans Rogge und Sophie Dörrien bestimmt war, können nicht zutreffen. Sophie Dörrien, die am 31. Januar 1580 verstarb und auf dem Kirchhof von St. Michaelis in Hildesheim beigesetzt wurde, war aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Hildesheimer Ratsherrn Hans Rogge verheiratet, der 1583 und 1587 in Hildesheim als Ratsmitglied nachzuweisen ist.12) Der Braunschweiger Magister Hans Rogge, den Fink meint, starb im Jahr 1538. Aus seinem im gleichen Jahr verfaßten Testament ist eindeutig zu entnehmen, daß er zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments unverheiratet und kinderlos war. Das Testament enthält auch keinerlei Hinweis auf eine frühere Ehe.13) Damit können der Magister Hans Rogge und Sophie Dörrien eindeutig als Adressaten der Hochzeitsschüssel ausgeschlossen werden, weil sie niemals miteinander verheiratet waren. Fest steht aufgrund der auf der Schale angebrachten Wappenschilde lediglich, daß es sich bei dem Ehemann um ein Mitglied der Familie Rogge und bei der Ehefrau um ein Mitglied der Familie Dörrien gehandelt haben muß.

Textkritischer Apparat

  1. Der erste Buchstabe ist möglicherweise als A(VE) aufzulösen, die drei letzten eventuell als E(S) M(ATER) C(HRISTI).
  2. Die beiden letzten Buchstaben teilweise von der Windung des Schriftbandes verdeckt.
  3. Auf welc folgt noch der Teil einer geraden Haste, deren oberer Teil ebenso wie der folgende Teil des Schriftbandes vom Kopf Gottvaters verdeckt ist. Rechts des Kopfes ist die Inschrift mit ke(n) fortgesetzt.
  4. Der Text bricht am Medaillonrand ab.
  5. Die letzten drei Buchstaben von gebe(ren) durch eine Schlinge im Schriftband verdeckt, ein teilweise von der Windung des Schriftbandes verdeckt.
  6. Das Schriftband ist hier so nah an den Medaillonrahmen herangeführt, daß kein Platz für ein Nasalkürzel oberhalb des zweiten e blieb.
  7. Die Jahreszahl ist nur noch schemenhaft zu erkennen und nicht ganz sicher lesbar; bei der letzten Ziffer könnte es sich auch um eine 8 handeln.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. Hol. 152.
  2. Freundliche Auskunft von Prof. Berndt Schaller (Göttingen). Nach Mitteilung von Herrn Prof. Schaller finden sich auf Gegenständen aus dem christlichen Kulturkreis häufig derartige ‘hebraisierende’ Inschriften, die keine sinnvolle Deutung zulassen.
  3. Mt. 3,17.
  4. 5. Mo. 18,15.
  5. Jes. 7,14.
  6. Wappen Rogge (Agnus Dei auf drei Ähren zuschreitend). Zur Identifizierung des Wappens vgl. die Grabplatte der Sophie Dörrien, St. Michaelis, Hildesheim, in der Inschriftensammlung Hildesheim, AdW Göttingen, Arbeitsstelle der Inschriftenkommission.
  7. Wappen Dörrien (drei Kleeblätter auf Hügel, darüber ein Ring). Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 8, S. 13 u. Tafel 8.
  8. Vgl. dazu Fink, Hochzeitsschüsseln, passim.
  9. Vgl. Fuhse, Schmiede, S. 131.
  10. Vgl. Fink, Hochzeitsschüsseln, S. 97.
  11. Ebd. u. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 1, Nr. 278, S. 355.
  12. Vgl. die Grabplatte der Sophie Dörrien von 1580, St. Michaelis, Hildesheim, in der Inschriftensammlung Hildesheim, AdW Göttingen, Arbeitsstelle der Inschriftenkommission.
  13. Sta Braunschweig, B I 23, Bd. 8, fol. 199v–202r.

Nachweise

  1. Riegel, Herzogliches Museum, Nr. 122, S. 114.
  2. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 1, Nr. 278, S. 355, Abb. ebd.

Zitierhinweis:
DI 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 411 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di056g009k0041100.