Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 76 Braunschweigisches Landesmuseum nach 1401

Beschreibung

Grabstein des Tile Knokenhower und seiner Frau Merge; Sandstein. Heute eingemauert in die östliche Wand des ehemals zum Ägidienkloster gehörenden Kreuzgangflügels innerhalb des Braunschweigischen Landesmuseums. Das vertiefte Mittelfeld zeigt im oberen Teil als Halbrelief den auferstandenen Christus; neben dem geöffneten Grab zwei schlafende Kriegsknechte. Der Auferstandene steht mit beiden Füßen auf dem klaffenden Deckel des sargartigen Grabes, in der rechten Hand den Kreuzstab mit der Siegesfahne, in der linken Hand einen schrägrechts geneigten viergeteilten Wappenschild haltend, aus dem die Arma Christi in großer Vielfalt herausskulptiert sind1). Der Wappenschild wird an der linken oberen Ecke bekrönt von einem Topfhelm, auf dem die Dornenkrone liegt, darüber erhebt sich ein nimbierter Arm, der eine aufgerichtete Lanze hält. Unterhalb der Lanzenspitze eine Standarte mit der Vera Icon. Von den beiden oberen Ecken neigen sich je ein Rauchgefäß schwingender Engel als Halbfigur herab. Die Inschrift A, umlaufend auf dem breiten vorstehenden Rand, beginnt neben einer der vier auf die Ecken gesetzten Hausmarken links oben. Im kleineren unteren Teil des Reliefs vier kniende Stifterfiguren, links zwei Mönche, rechts ein Mann und eine Frau, wahrscheinlich das Ehepaar Knokenhower, die Hände betend erhoben. Die Köpfe der Figuren sind von vier Spruchbändern (B) überfangen, deren Buchstaben nicht mehr vorhanden sind. Schon Beck konnte sie nur bruchstückhaft lesen2).

Inschrift B nach Slg. Sack.

Maße: H.: 111 cm; Br.: 61 cm; Bu.: 4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Bernhard Boockmann [1/1]

  1. A

    anno · d(omi)ni · m · ccc · x · cvii · in · / · die · ualetinia) · mrgeb) · uxor · mc) · ccccid) · in · die · scolasticee) · Tilef) · / knokenhower · maritus · / · obierunt · quorum · a(n)i(m)eg) · in · pace · requiescant · amen ·

  2. B

    [...] vite rectoh) · liber(a) nosi) a [malo][...] hoc · vite p(er)petue destrib(ue) gaudiak)[...] v St us benedicatl) nos deusm) [...][...] da nobisn) tua munerao) sp(iritu)sp) amen

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1397, am Tag des hl. Valentin (14. 2.), starb die Ehefrau Merge und im Jahr 1401, am Tag der hl. Scholastica (10. 2.), ihr Ehemann Tile Knokenhower. Ihre Seelen mögen in Frieden ruhen. Amen. (A)

(...) befreie uns vom Bösen. (...) teile Freuden aus im ewigen Leben. (...) segne uns Gott. (...) gib uns deine Gnade (...). Amen. (B)

Versmaß: Bruchstücke von vier Hexametern (B).

Wappen:
Hausmarke des Tile Knokenhower; Elers (Ehefrau Merge)3).

Kommentar

Das für Braunschweig nicht besonders frühe Beispiel einer gotischen Minuskel bei diesem Grabstein zeigt noch erhebliche Unsicherheit in der Ausformung der Buchstaben. Eine eindeutige Lesung ist deshalb nicht immer möglich. Die sehr schlanken Schäfte treffen sich nicht bei n, o, u und v, so daß die Buchstaben offen bleiben. Offen ist auch das in der Größe hervorragende a; die Formen von r, s und t sind in der Länge unausgeglichen und weitgehend identisch. – Tile Knokenhower war seit 1355 Neubürger der Altewiek, Ratsherr der Altstadt seit 1383 und Küchenkämmerer der Altstadt 1387–14014). Er hatte vier Kinder, einer der Söhne ist als Mönch im Ägidienkloster nachzuweisen5). Scheffler sah die auf dem Grabstein dargestellte Auferstehungsszene im deutlichen Zusammenhang mit der zeitgenössischen Altarmalerei, davon abweichend jedoch und ohne regionale Parallele die Auferstehung in Kombination mit den Arma Christi auf einem Wappenschild mit Helmzier6). Bezeichnend für die Vollständigkeit der Passionswerkzeuge und gleichzeitig als Benediktion des Betrachters steht die Abbildung der Vera Icon an der höchsten Stelle der Skulptur7).

Textkritischer Apparat

  1. valeiani Römer.
  2. Fehlt Römer. Die Lesung ist sehr unsicher; insbesondere ist Sacks Lesung Merge zu bedenken, da eine Ligatur nicht ausgeschlossen erscheint. Die erhaltenen Buchstabenreste erlauben indes keine letztgültige Feststellung des Wortlauts.
  3. m mit Zierstrich zwischen der ersten und zweiten Haste.
  4. cccc Römer.
  5. eulallice Römer.
  6. Großes T mit senkrechtem Doppelstrich.
  7. die Römer.
  8. vice recto(r) Sack. Macks aus dieser Lesung abgeleitete Annahme, daß Tile Knokenhower Vizerektor der Ägidienschule gewesen sei (wie Anm. 4), teile ich nicht. Emendation und Ergänzungen der von Sack gelesenen Inschrift verdanke ich Fidel Rädle, Göttingen.
  9. vos Sack.
  10. gaius Sack.
  11. on Sack.
  12. d(eu)s titus Sack.
  13. ao danue Sack.
  14. munca Sack.
  15. spc mit Kürzungsstrich Sack.

Anmerkungen

  1. Vgl. Rudolf Berliner, Arma Christi, in: Münchner Jb. der bildenden Kunst 6, 1955, S. 35–152, hier Abb. 11, S. 57.
  2. Beck, H III 1, 15, S. 161.
  3. Kämpe, Wappenbuch V, S. 16, 23.
  4. Vgl. Mack, Testamente 2, S. 301; vgl. auch Spieß, 1970, S. 147.
  5. Vgl. Mack (wie Anm. 4); Pfaffenbuch, Anhang 2, in: Chroniken der deutschen Städte 16, S. 81.
  6. Scheffler, S. 100–103. Seine Deutung, daß hier der Grabstein auch als Andachtsbild konzipiert sei, könnte mit anderen zeitgenössischen Skulpturen noch zu belegen sein, vgl. Einleitung, Kapitel 3.1.3 Grabplatten, Epitaphien, Totenschilde, Andachtsbilder. Die Helmzier auf dem Christuswappen, die aus der Dornenkrone aufsteigende Segenshand Gottes, verbunden mit der Lanze, an der eine Fahne mit der Vera Icon befestigt ist, ist seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert in gleichbleibenden Formen belegt, vgl. Berliner (wie Anm. 1), Abb. 15, S. 62 und Abb. 31, S. 97; Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, 5 Bde und Reg.-bd., Gütersloh 1968–1990, hier Bd. 2, S. 198ff.
  7. Vgl. dazu: Wolfgang Erdmann, Fragen zur Baugeschichte und Wandmalereien der Lübecker Franziskanerkirche St. Katharinen, in: Zs. des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 67, 1987, S. 31–58, hier S. 53f. und Anm. 97.

Nachweise

  1. Abb. (mit Textwiedergabe): Römer, S. 23 Abb. 14.
  2. Lit.: Sack, H V, 127, o. S.; Meier/Steinacker, 1926, S. 10; Ute Römer-Johannsen/Christof Römer, 800 Jahre St. Aegidien. Liebfrauenmünster der katholischen Propsteigemeinde St. Nicolai zu Braunschweig, Braunschweig 1979 (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums, Bd. 22), S. 25; wie Anm. 6.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 76 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0007609.