Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 8 Berlin, Kunstgewerbemuseum vor 1100

Beschreibung

Tragaltar mit getriebenen Silberfiguren; Silberblech auf Nußbaumholz, Niello; Bodenplatte Kupfer, vergoldet. Auf den Langseiten des rechteckigen Kästchens stehen je fünf Apostel als getriebene Reliefs zwischen Pilastern mit Blattkapitellen; drei Figuren und die Pilaster sind zerstört. Auf der rechten Schmalseite sitzt Christus als Weltrichter auf dem Regenbogen zwischen den stehenden Aposteln Petrus und Paulus. Auf der anderen Schmalseite ist von drei weiblichen Figuren nur noch eine erhalten1). Auf die Bodenplatte sind in der Mitte in einem Doppelkreis das Agnus Dei, in kleineren Doppelkreisen in den Ecken die vier Evangelistensymbole graviert. Die niellierte Inschrift befindet sich auf der den Altarstein aus grauweißem Marmor umgebenden Silberleiste und beginnt mit einem Kreuz über der Mitte der rechten Schmalseite; die Inschriftleiste ist stark beschädigt, die Fehlstellen sind mit Silberblech ausgebessert. Der Tragaltar gelangte zusammen mit den anderen Reliquiaren des Welfenschatzes 1935 durch Kauf des Preußischen Staates an das damalige Schloßmuseum in Berlin (Kunstgewerbemuseum).

Maße: L.: 19,5 cm; Br.: 12 cm; H.: 7,2 cm; Bu.: 0,8 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

  1. + DEXTRA / [SACERDO]TISa) COMM[ENDAT] [MU]/NERA VOTIS+ Q(UO)D DA[TUR / H]OC LAPIDE DE PANE FI[T HOSTIA] / VITAEb)

Übersetzung:

Die rechte Hand des Priesters übergibt die Gaben durch die Gebete. Was auf diesem Stein vom Brot dargebracht wird, das wird zur Hostie des Lebens.

Versmaß: Zweisilbig gereimte leoninische Hexameter.

Kommentar

Die Inschrift nimmt unmittelbar Bezug auf das Meßopfer, das auf dem Altar durch den Priester vollzogen wird. Durch die Hand des Priesters wird kraft der Gebete die Hostie zum Brot des Lebens, dem geopferten Leib Christi. Der Altar wird wegen seiner Form, der Gliederung der Seitenwände und der Modellierung der Figuren in die Nähe des zeitlich früheren Gerdrudis-Tragaltars (Nr. 3) gerückt, erreicht aber nicht dessen vollkommene Ausführung2). Die Entstehung des Altars wird in Niedersachsen vermutet und in die zweite Hälfte oder das dritte Viertel des 11. Jahrhunderts datiert3).

Die Inschrift ist in einer schmalen romanischen Majuskel ausgeführt, in der eckige C und E neben einem runden E stehen. M tritt in spitzer wie auch in runder Form (mit zum O geschlossenen vorderen Hasten) auf. Da bereits am Beispiel des Blasius-Arms (Nr. 5) gezeigt werden konnte, daß M mit vorderen geschlossenen Hasten schon im 11. Jahrhundert zu beobachten ist, bestätigt der schriftgeschichtliche Befund die stilkritische Datierung auf die Zeit vor 1100. Der Tragaltar ist im Reliquienverzeichnis von 1482 enthalten4).

Textkritischer Apparat

  1. Die ergänzten Buchstaben sind durch Ausbesserungen mit Silberblech verdeckt.
  2. Die Emendation des ersten Hexameters folgt der von Bernhard Bischoff (in: Kötzsche, Nr. 7, S. 67) vorgeschlagenen Fassung. Der zweite Hexameter lautet dort: Q(UO)D DA[S IN H]OC LAPIDE DE PANE FI[ET TIBI] VITAE. Die oben angegebene Fassung des zweiten Hexameters verdanke ich Fidel Rädle, Göttingen. Eine ähnliche Inschrift befindet sich auf einer von Kaiserin Beatrix († 1184) gestifteten Reliquienbüchse im Dom zu Speyer; neben der inhaltlichen Übereinstimmung (das Meßopfer aus der rechten Hand des Priesters) fällt ein vergleichbarer Hexameterschluß in der letzten Zeile auf: DVLCIA PERPETVE VENIANT AD GAVDIA VITE; vgl. Kraus 2, Nr. 149.

Anmerkungen

  1. Falke/Schmidt/Swarzenski, S. 107, sahen als Attribute der drei weiblichen Figuren Bücher und Rollen. Kötzsche, S. 25, identifizierte sie hingegen als die drei Frauen am Grabe Christi mit Salbgefäßen.
  2. Gosebruch, 1979, S. 31.
  3. Falke/Schmidt/Swarzenski, S. 107; Kötzsche, S. 25.
  4. Reliquienverzeichnis von 1482, S. 9.

Nachweise

  1. Abb.: Falke/Schmidt/Swarzenski, Taf. 15, 16; Kötzsche, Abb. 9.
  2. Lit.: wie Anm. 1–3; Neumann, Nr. 15.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 8 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0000801.