Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 320 Dom St. Blasii 1506

Beschreibung

Glocke Anna, im Glockenhaus. Auf den mit Tau- und Perlstäben verzierten Kronenbügeln befindet sich je ein bärtiger Kopf. Um die Schulterinschrift zieht sich ein breites Ornamentband aus stehendem Bogenfries mit Kreuzblüten auf einem Perlstab mit Steg. Darunter verläuft ein schmaler Blattrankenstab zwischen zwei Rundstegen. Die sich unterhalb anschließende Inschrift ist zwischen zwei schmale Stege gefaßt. Als Worttrenner dienen abwechselnd Lilien und blütenartige Ornamente, als Abschlußzeichen ein Medaillon in Buchstabengröße1), ein Blütenornament und das nackte Jesuskind mit der Weltkugel in der Hand, dem ein steigender Löwe zugewandt ist2). Unterhalb der Inschrift die gleiche Schulterzier wie darüber, aber mit hängendem Kreuzblumenfries. Auf der einen Seite der Flanke ist eine von einem runden Kreuzblumenkranz eingefaßte Kreuzigungsgruppe sichtbar, auf der gegenüberliegenden Seite, ähnlich gerahmt, die Hl. Sippe mit Anna selbdritt im Mittelpunkt. Ein oberhalb der hl. Anna befindliches Schriftband ist nicht lesbar3).

Inschrift nach Peter4).

Maße: Dm.: 105 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. · Noscite · terrigene · q(ue)a) · nu(n)cupor · annaq(ue) · uere ·D · capit · M · numero · misb) · factio · sex · loquor · annos ·Magister · hinricus · campis · me · fecit ·

Übersetzung:

Erfahrt, Erdgeborene, daß ich rechtens Anna heiße. Meine Erschaffung fällt in das Jahr 1506 (umfaßt der Zahl nach 1506 Jahre). Meister Heinrich von Kampen machte mich.

Versmaß: Die ersten beiden Zeilen zwei Hexameter.

Kommentar

Die Glocke Anna, die in nachreformatorischer Zeit als Dominicalglocke bezeichnet wurde, ist die größte der insgesamt sieben im Jahr 1506 von Heinrich von Kampen für den Braunschweiger Dom gegossenen Glocken (vgl. Nr. 321326). Gußtechnisch und bei der Verwendung von Glockenzier und Schriftformen lehnte er sich in dieser frühen Zeit seiner selbständigen Tätigkeit noch stark an seinen Meister Gerdt Wou an und verwendete weitgehend von ihm übernommene Modeln. Die sechs erhaltenen Braunschweiger Glocken stehen bezüglich der Gußqualität hinter seinen später gegossenen zurück. Sowohl die figürlichen Darstellungen wie die Buchstaben sind nicht immer klar ausgeformt5). Auch bei den späteren Glockengüssen verwendete Heinrich von Kampen die Buchstabenmodeln aus der Werkstatt Gerdt Wous, jedoch sind die Versalien kleinteiliger verziert, zum Teil in fast barocker Manier verschnörkelt. Während Wou die Buchstaben eng zwischen zwei dünne Hilfslinien setzt, ist die Schrift Heinrichs von Kampen zwischen den eher schmückenden als begrenzenden Stegen freier, weniger streng gegliedert. Mit der phantasievollen Gestaltung der Minuskel korrespondiert die Verwendung von figürlichen Worttrennern.

Heinrich von Kampen ist als Glocken- und Geschützgießer seit 1505 an verschiedenen Orten Norddeutschlands und auf den dänischen Inseln nachweisbar6). Seit 1512 war er in Lübeck ansässig, wo er 1521 oder 1522 starb7).

Textkritischer Apparat

  1. q(uod) Pfeifer.
  2. Diese Form bei Sack und Pfeifer. Peter wollte sich vorerst auf keine Lesung festlegen. Möglicherweise ist das Wort verschrieben oder als archaisierende Form des possessiven Genitivs (statt mei) zu verstehen. Die beiden Verse sind im Gegensatz zu Gerdt Wous metrischen Texten sprachlich überaus unbeholfen.

Anmerkungen

  1. Nach der Abb. bei Hach, Nr. 136, als Maria mit Kind erkennbar, jedoch von Peter als Pietà gedeutet.
  2. Zum Motiv des nackten Jesuskindes mit der Weltkugel vgl. Schilling, Abb. 475, S. 236.
  3. Vgl. Hach, Abb. 118, 150. Beide Medaillons in gleicher Größe, jedoch ohne Kreuzblumenkranz weist Schilling, Nr. 338, 406, 407, auch auf Glocken von Heinrich Ciegeler in Oberoppburg bei Pößneck und Pleismar bei Naumburg nach (1520 und 1522). Dort lautet ein Schriftband rechts vom Kreuz: hic filius Dei erat. Das Schriftband oberhalb der heiligen Anna lautet in Pleismar gloria in excelsis deo. Möglicherweise wurden in die Spruchbänder der Annenglocke die gleichen Worte gegossen.
  4. Alle von Heinrich von Kampen gegossenen Glocken hängen im Glockenhaus des Braunschweiger Doms in etwa sechs Meter Höhe und sind nach Auskunft von Claus Peter, Hamm-Rhynern, ohne Spezialgerüst nicht zugänglich. Für Mitteilungen über den Zustand der Glocken und seiner Lesungen der Glockeninschriften bin ich Herrn Peter zu Dank verpflichtet.
  5. Nach Auskunft von Herrn Peter.
  6. Vgl. die Liste der Gußorte und der einzelnen Glocken bei Hach, S. 198f.; vgl. auch Pfeifer, 1927/1928, S. 54ff.
  7. Vgl. ebd., S. 67; Hach, S. 200.

Nachweise

  1. Abb. (nur Teilansichten): wie Anm. 1, 3.
  2. Lit.: wie Anm. 1, 3, 6, 7; Sack, H V, 129, o. S.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 320 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0032002.