Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 294† Dom St. Blasii E. 15. Jh.

Beschreibung

Gedenktafeln für Herzog Wilhelm d. Ä.; Holz und Leinwand. Im nördlichen Seitenschiff am ersten Pfeiler vor dem Hohen Chor waren bis etwa Anfang des 18. Jahrhunderts1) drei hölzerne Tafeln befestigt, die dem Andenken des Erbauers dieses Seitenschiffes gewidmet waren und seine Begräbnisstätte markieren sollten. Den obersten Teil des Ensembles bildete ein wohl auf einen hölzernen Schild gemaltes fürstlich braunschweigisches Wappen. Darunter hing eine kleine hölzerne Tafel, die den Todestag des Herzogs mitteilte (A), darunter ein mit Leimfarben auf Linnen gemaltes Abbild des Herzogs. Sein Name und Titel (B) standen auf dem oberen Rand der Tafel2). In voller Rüstung, mit aufgeklapptem Visier, erhob er mit der rechten Hand sein Schwert über den Kopf, die linke Hand hielt in Hüfthöhe eine Standarte, von der ein auf roten Grund gemaltes fürstlich braunschweigisches Wappen wehte. An seiner linken Seite stieg ein roter3) Löwe bis zur Höhe seiner Armbeuge auf. Hinter dem Kopf des Löwen wurden Stadtmauer und Türme der Stadt Braunschweig sichtbar. Zur Seite und zu Füßen des Herzogs links drei, rechts vier Wappen, die mit Schriftbändern (C–G)4) umgeben waren. Wappen und Beischriften nahmen auf seine sieben Hauptschlachten Bezug. In der linken oberen Hälfte der Bildtafel stand in einer angedeuteten Hügellandschaft ein Baum, an dessen Ästen fünf Wappen, die von Herzog Wilhelm erworbenen Herrschaften bezeichnend, aufgehängt waren. Als Bildunterschrift eine Devise (H).

Inschriften nach Rehtmeyer5).

  1. A

    Anno Dom(ini) 1482a) am Donnerstage Jacobi starff de Hochgeborn Förste Her Wilhelm de Elder to Brunswik un Lüneburg Hertoghe

  2. B

    WILHELMVS DEI GRATIA CVIVS GENITORES QVONDAM SVEVIAE / BAVARIAE SAXONIAE ANGARIAE ET WESTPHALIAE DVCESb) / FVERE MODO BRVNSVICENSIS ET LVNEBVRGENSIS DVX

  3. C

    ME ENSE STRAVIT WIL/HELM NEMORIS SALT(IBVS) / APVD BO(EMOS)c)

  4. D

    LEO ME COMPVLIT STOLIDAM / HEV CERNERE TERRAM APVD GALLICOS

  5. E

    TRIVMPHANS IVSTE ME SVBDI/DIT DVRA COLLA

  6. F

    QVALIBET OFFENSA NON SVM LASCIVVS / AD IRAMET TAMEN SOLEO PERVERTERE

  7. G

    ILLVSTRIS SIGNIFER ME / DIRE LACERAVIT

  8. H

    IN TERRA PROPRIA APVD SVOS

Übersetzung:

25. Juli 1482. (A)

Wilhelm, von Gottes Gnaden, dessen Vorfahren einst Herzöge von Schwaben, Bayern, Sachsen, Engern und Westfalen waren, jetzt Herzog von Braunschweig und Lüneburg. (B)

Mich streckte Wilhelm mit dem Schwert nieder im Waldgebirge bei den Böhmen. (C)

Mich zwang der Löwe, ach! das barbarische Land zu sehen bei den Galliern. (D)

Als triumphierender Sieger hat er zu Recht meinen harten Nacken ins Joch gezwungen. (E)

Ich bin nicht leichtfertig zum Zorn geneigt, doch von allen Seiten bedrängt, pflege ich zu verheeren. (F)

Der berühmte Bannerträger hat mich schlimm zugerichtet. (G)

Im eigenen Land, bei den Seinen. (H)

Versmaß: Hexameter (D) mit einigen prosodischen Fehlern (E), Hexameter (F, 2. Hexameter unvollständig).

Wappen:
Königreich Böhmen (C), Burgund (D), Grafschaft Homburg (E), Grafschaft Oldenburg, Grafschaft Hoya (G). – Mit leeren Schriftbändern: Königreich Dänemark, Erzbistum Mainz. – Wappen der erworbenen Herrschaften: Wunstorf, Everstein, Hallermunt, Homburg, Wölpe. – Auf dem Banner: Braunschweig-Lüneburg.

Kommentar

Die sieben Hauptschlachten des weitgereisten und kriegerischen Herzogs Wilhelm d. Ä. von Braunschweig (geb. um 1400, seit 1473 Herzog von Braunschweig-Lüneburg) werden in der Chronistik des 15. bis 18. Jahrhunderts oft erwähnt6), sind aber zumeist in voneinander abweichender Reihenfolge aufgeführt. 1421 kämpfte er vor Brüx in Böhmen gegen die Hussiten; im gleichen Jahr nahm er mit mehreren Verbündeten und mit Hilfe der Stadt Braunschweig7) im Streit mit Bischof Johann von Hildesheim dessen Schloß Grohnde ein; als dritte Schlacht wird diejenige vor Flensburg vom 1. November 1428 gerechnet, die er als Verbündeter des Herzogs von Schleswig gegen den dänischen König Erich anführte. 1431 zog er, verbündet mit Herzog Friedrich von Österreich, gegen Herzog Philipp von Burgund; 1434 setzte er seinen Anspruch in der Grafschaft Hoya gegen die Grafen Spiegelberg durch. Er erneuerte diesen Anspruch 1449 durch einen Feldzug gegen die Grafen von Hoya. Der siebte Streit war das ‚Treffen bei Siborch‘ (Siedenburg) 1462 gegen die mit Bremen verbündeten Grafen von Oldenburg8). Die Erwerbung der fünf Herrschaften, an die durch fünf im Hintergrund des Gemäldes an einem Baum aufgehängte Wappen erinnert wird9), geht nicht in jedem Falle auf Herzog Wilhelm zurück: Everstein, Homburg und Wölpe kamen schon am Anfang des Jahrhunderts durch Heirat, Erbvertrag und Kauf an die Landesherren10), jedoch mußten die Besitzrechte von Herzog Wilhelm erst erstritten werden.

Der in erster Ehe mit Cecilia, Markgräfin von Brandenburg, in zweiter Ehe mit Mechtild von Schwarzburg, Witwe Herzog Bernhards d. J. von Lüneburg, verheiratete Wilhelm, der offenbar schon am Ende seines langen Lebens11) zu einer sagenhaften Gestalt wurde, trug den nicht zu erklärenden Beinamen Goddes Ko (‚Gottes Kuh‘?).

Textkritischer Apparat

  1. 1482 Rehtmeyer, Kirchen-Historie 1, S. 95; er gibt die Jahreszahl in arabischen Ziffern wieder, obgleich anzunehmen ist, daß sie auf der Tafel in römischen Ziffern vermerkt war.
  2. DVCES fehlt bei Rehtmeyer, Chronica, Tab. VI (vor S. 1), während das Zitat in der Kirchen-Historie 1, S. 95, vollständig ist. Ribbentrop 1, Vorrede (o. S.) hat DUCES.
  3. SALT(IBVS), BO(EMOS) Die letzten Buchstaben jeweils hinter dem eingerollten Spruchband.

Anmerkungen

  1. „... woselbst noch sein Epitaphium auf einer Tafel, so an einem Pfeiler gehangen, zu dessen glorwürdigsten Andencken aufgehoben wird“; Rehtmeyer, Chronica, S. 753. Der ebd., Tab. VI (vor S. 1), abgedruckte Kupferstich hat die große Tafel zur Vorlage.
  2. Ribbentrop 1, Vorrede, fand nur noch die große Bildtafel vor und bezeichnete sie als „verdorben“.
  3. Rehtmeyer, Kirchen-Historie 1, S. 95; Ribbentrop, a. a. O.
  4. Zwei der sieben Schriftbänder sind auf dem Kupferstich in Rehtmeyers Chronica leer.
  5. Die Inschrift A auf der hölzernen Tafel sehr wahrscheinlich in gotischer Minuskel, auch die Schriftbänder C–G auf dem auf Leinwand gemalten Bildnis des Herzogs Wilhelm d. Ä. waren möglicherweise nicht in Kapitalis, wie auf dem Kupferstich, sondern in gotischer Minuskel ausgeführt. Eine genaue Bestimmung ist jedoch nicht möglich.
  6. Z.B. Conrad Bothe, Chronicon Brunsvicense picturatum, SrB 3, S. 419f.; ‚Schichtboik‘ Hermen Botes, in: Chroniken der deutschen Städte 16, S. 269-493; hier S. 478–493 (‚Wappenbuch‘), bes. S. 482–484.
  7. Vgl. die Siegesinschrift neben dem Portal der Brüdernkirche, Nr. 59.
  8. Rehtmeyer, Chronica, S. 741f.; Heinemann 2, S. 209f.; Havemann 1, S. 671ff.; Chroniken der deutschen Städte 16, S. 482, Anm. 7; S. 483, Anm. 1–4; S. 484, Anm. 1–3.
  9. Ein ähnlicher Wappenbaum auch im Chronicon Brunsvicense picturatum, SrB 3, S. 403.
  10. Heinemann, S. 174ff.; ergänzend: ‚Schichtboik‘ (wie Anm. 6), hier S. 482, Anm. 3, 4.
  11. Vgl. auch die im Dom aufgehängte Fürstentafel (Nr. 356). Heinemann 2, S. 212, nimmt ein Todesalter von etwa 82 Jahren an. Ältere Nachrichten meinen, er sei 90 Jahre alt geworden, vgl. Rehtmeyer, Chronica, S. 753.

Nachweise

  1. Abb.: Rehtmeyer, Chronica, Tab. VI (vor S. 1).
  2. Lit.: wie Anm. 1, 2, 6, 8.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 294† (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0029404.