Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 274 Bremen, Landesmuseum (Focke-Museum) 15. Jh.

Beschreibung

Agnus Dei-Kapsel. Die silberne, runde Kapsel zeigt auf der Vorderseite, von einer schmalen Perlborte gesäumt, die umlaufende Inschrift A auf schraffiertem Grund. Im schraffierten runden Mittelfeld das Agnus Dei mit Siegesfahne und Kelch, in den das Blut strömt. Auf der mit einem Scharnier befestigten Rückseite in gleicher Weise Inschrift B, im runden Mittelfeld die hl. Veronika, die das Schweißtuch mit dem Antlitz Christi hält. Als Worttrenner zwischen den beiden ersten Worten ein Kreuz, sonst vierblättrige Kreuzblumen und Ranken. Auf dem Außenrand ein gestanzter Kreuzrautenfries und, aufgesetzt, eine Öse, an der eine kurze Kette befestigt ist. Die Kapsel wurde aus dem Welfenschatz nach 1930 vom Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte erworben.

Maße: Dm.: 6,4 cm; Bu.: ca. 0,6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    angnusa) · dei · qui · tollis · peccata · mu(ndi)1) ·

  2. B

    Salve + Sancta Facies · nostri · rede(mp)toris ·

Übersetzung:

Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt hinwegnimmst. (A)

Sei gegrüßt, heiliges Antlitz unseres Erlösers. (B)

Versmaß: Vagantenzeile (B).

Kommentar

Die Kapsel enthält zwei Päckchen mit Reliquien der in Braunschweig verehrten Kirchenpatrone Blasius und Thomas Becket, wie die beiliegenden Pergamentstreifen ausweisen. Ein weiterer Pergamentzettel, der die Schenkung der Reliquienkapsel durch Gerwerdt, Witwe des Heinrich Suring, an die Braunschweiger Stiftskirche bestätigte, ist vor 1890 verlorengegangen2). Er war unterschrieben per me Bernhardum und datiert auf ‚Pfingsten [..]35‘. Eine zweite von der ‚Suringeschen‘ gestiftete Kapsel präzisiert den Namen des Priesters und das Datum der Stiftung durch die Unterschrift actum per me Bernhardum Tellemann3). Bernhard Tellemann ist seit 1533 als Vikar des Trinitatisaltars im Dom nachweisbar, dem er noch Meßstiftungen zuwendete ungeachtet der Tatsache, daß der Braunschweiger Rat 1528 für die Stadt die Bugenhagensche Kirchenordnung in Kraft gesetzt hatte. Tellemann starb 15514). Die Suringsche Stiftung beider Reliquienkapseln muß also auf 1535 datiert werden. Es ist anzunehmen, daß die bereits lutherischen Erben der Gerwerdt Suring die beiden Reliquienkapseln ablehnten und daß Gerwerdt sie deshalb einem der noch dem alten Glauben anhängenden Stiftspriester anvertraute.

Die zweite silberne Agnus Dei-Kapsel, die sich ebenfalls im Bremer Landesmuseum befindet5), zeigt auf der Vorderseite ein kreisrundes Perlmuttrelief in einen Zackenkranz gefaßt. Es stellt den toten Christus mit vor dem Leib gekreuzten Armen dar, ihm zu Seiten zwei Engel, die das Grabtuch vor ihn halten. Die Rückseite bildet eine gravierte Silberscheibe mit einer Darstellung der Trinität. Im Innern befindet sich ein Wachsmedaillon, wie sie an der Römischen Kurie jeweils zu Ostern aus dem Wachs der Osterkerze und anderem geweihten Wachs gegossen und den Gläubigen geschenkt oder verkauft wurden6). Ihm ist auf der Vorderseite das Agnus Dei mit Siegesfahne aufgeprägt und die Anrufungsformel der Messe Agne dei miserere mei qui tollis peccata mundi. Auf der Rückseite ist der Name des amtierenden Papstes Paul II. (1464–1471) und das Datum 1470 eingedrückt: PAVLVS VENETVS · P(A)·P(A) · II · MCCCCLXX.

Beide Reliquienkapseln sind nicht im Reliquienverzeichnis von 1482 genannt, da sie sich, wie dargelegt, zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Kirchenschatz von St. Blasii befanden. Die bisher aufgrund des ersten Pergamentzettels angenommene Datierung des Stücks auf vor 14357) ist damit hinfällig. Beide Kapseln stammen wahrscheinlich aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts8).

Textkritischer Apparat

  1. Sic.

Anmerkungen

  1. Io. 1,29.
  2. Neumann, S. 311.
  3. Ebd., S. 313.
  4. Döll, S. 68 mit Anm. 249 und 250.
  5. Neumann, Nr. 77; Falke/Schmidt/Swarzenski, Nr. 46; de Winter, Nr. 71 und Abb. S. 159. Die darin befindliche Wachsoblate wird nicht in einem eigenen Artikel behandelt, da es sich wohl um eine seriell gefertigte Prägung handelt und mithin keine Inschrift vorliegt.
  6. LThK 1, Sp. 203f.; RGG 1, Sp. 176f.
  7. Zuletzt in Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 660, S. 745.
  8. Vgl. ebd. den Hinweis auf die verwandte, aus der Braunschweiger Paulinerkirche stammende Agnus Dei-Kapsel (Nr. 292).

Nachweise

  1. Abb.: Falke/Schmidt/Swarzenski, Taf. 102, 103; Johann Michael Fritz, Gestochene Bilder. Gravierungen auf deutschen Goldschmiedearbeiten der Spätgotik, Köln/Graz 1966 (Beihefte der Bonner Jahrbücher, Bd. 20), Nr. 104, Abb. 122; Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 660, S. 746.
  2. Lit.: Neumann, Nr. 74; Falke/Schmidt/Swarzenski, Nr. 69, S. 17, 88, 204; Kat. Stadt im Wandel 2, S. 745f.; de Winter, S. 174.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 274 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0027405.