Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 163 St. Magni 1468

Beschreibung

Andachtsbild; Sandstein. Zweitverwendung des Grabsteins Nr. 70 aus der Zeit um 1400. Auf dessen Rückseite befindet sich ein Halbrelief des kreuztragenden Christus. Er schreitet nach rechts, das Gesicht ist dem Betrachter zugewandt. In der rechten unteren Ecke, zu seinen Füßen, befinden sich ein Totenkopf und zwei Knochen. Durch Kriegseinwirkungen und Umweltschäden ist die Figur an einigen Stellen fast abgetragen. Die Umschrift ist weitgehend zerstört bzw. es sind nur noch einzelne Wortteile vorhanden. Der Text wird deswegen nach Sacks Aufzeichnungen ergänzt. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts waren offenbar Teile der auf dem Rande umlaufenden, links unten beginnenden Inschrift B nicht mehr vorhanden, die heute zerstörte Umschrift A auf dem Nimbus war jedoch noch erkennbar. Der rechteckige Stein war bis zum Wiederaufbau der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg an der südlichen Turmaußenwand befestigt. Er ist jetzt im Innenraum freistehend rechts neben dem westlichen Hauptportal aufgestellt.

Inschrift B ergänzt nach Slg. Sack.

Maße: H.: 174 cm; Br.: 89,4 cm; Bu.: 4,5–4,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Bernhard Boockmann [1/1]

  1. A

    (iesus)a) van naxaretb)

  2. B

    [o] · vos · o(mn)es · quic) · transitisd) · p(er) · v(i)a(m) · attenditee) · et / videtef) · [sig) · est · dolor] · / s(i)c(u)th) dolor · meus1) · Ecce · quo · mor[te mea]i) / [anno · d(omi)ni m · cccc · lxviii]

Übersetzung:

O ihr alle, die ihr vorübergeht auf dem Wege, schaut auf und seht, ob es einen solchen Schmerz gibt wie meinen Schmerz. Seht, wie (...). Im Jahr des Herrn 1468. (B)

Kommentar

Der Text aus den Lamentationes Ieremiae ist als Anklage der sündigen Menschheit und als Aufforderung zur compassio seit dem 14. Jahrhundert den verschiedensten Passionsdarstellungen beigegeben worden2). Er fand auch vielfach Verwendung in der Liturgie, im geistlichen Schauspiel und in der Predigt3). Häufig erschien der Text in Varianten und Paraphrasen, die auf das jeweilige Bildmotiv (Kreuzigung, Beweinung, Marienklage) Bezug nahmen. Auch in der vorliegenden Inschrift ist ein das Bibelzitat erweiternder Satz hinzugefügt, der als emotionaler, mit ecce eingeleiteter Appell den Betrachter direkt anspricht. Die Aussage dieses Zusatzes ist nach Sacks Aufzeichnungen jedoch nur noch ungefähr in dem Sinne ‚seht, wie ich meinem Tod entgegengehe‘ zu deuten. – Ein in den Maßen und in der Bildgestaltung sehr ähnliches Epitaph befindet sich an der südwestlichen Außenwand des Domes (Nr. 193). Eine kleinere, stark beschädigte Darstellung der Kreuztragung ohne Inschrift ist im Braunschweigischen Landesmuseum im Hof des ehemaligen Ägidienklosters aufgestellt.

Textkritischer Apparat

  1. ihs. Die Oberlänge des h durch Querstrich zu einem Kreuz gestaltet.
  2. Sic für nazaret.
  3. me Sack.
  4. an..itis Sack.
  5. arte(m) · morte Sack.
  6. morte Sack.
  7. sic Sack.
  8. sc..is Sack.
  9. Lesung ist zweifelhaft.

Anmerkungen

  1. Ier. Lam. 1,12.
  2. Vgl. Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 1981, S. 288–295, hier S. 289.
  3. Vgl. ebd., S. 292ff.

Nachweise

  1. Abb.: Sack, H V, 137, S. 158.
  2. Lit.: Sack, H V, 137, S. 53; Scheffler, S. 234; Meier/Steinacker, 1926, S. 33; Brutzer, S. 34.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 163 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0016307.