Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 62 St. Ulrici-Brüdern 1398

Beschreibung

Grabstein der Mechtild von Ostery. Er befindet sich heute an der Ostseite des Kreuzganges, in der Mauer befestigt, unterhalb des im Format etwas kleiner gehaltenen Grabsteins einer Unbekannten von 1372 (Nr. 52). Der an den Rändern und besonders an der Datumsangabe in der rechten oberen Ecke beschädigte, nach dem Zweiten Weltkrieg restaurierte Stein wurde von Beck noch intakt und mit dem von ihm gelesenen Datum 1248 „in der Nordseite [der Kirche], schräg neben der Kanzel über an dem ersten Pfeiler der Mauer neben der Tür so zum Kreuzgange führet“ gesehen und abgezeichnet, nachdem er erst 1780 bei Umbauten im Kirchenfußboden gefunden worden war. Der Stein zeigt im fast quadratischen Mittelfeld unter einem von zwei Säulen sich aufschwingenden Spitzbogen eine halbfigürlich eingeritzte Frauengestalt, die in einen mit einer Fibel geschlossenen Mantel und Kräuselhaube gekleidet ist. Die Hände sind mit hohen Manschettenärmeln versehen und zum Gebet zusammengelegt. Vom Kleid sind vier große Knöpfe sichtbar. Die Inschrift, beginnend mit einem Kreuz in der linken oberen Ecke, befindet sich auf dem breiten umlaufenden Rand und setzt sich in den beiden letzten Zeilen unterhalb der Figur fort.

Maße: H.: 64,5 cm; Br.: 52,5 cm; Bu.: 3,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Bernhard Boockmann [1/1]

  1. + anno · d(omi)ni · m . c[cc·xc] / viii · obiit · mechtildis · de / ostery · [d]i[e] v · k(a)l(endas) · / ap(ri)l(is) · cui(us) · corp(us) · hic · sepult(um) / est · et · a(n)i(m)a · ei(us) · req(ui)·/escat · i(n) · pace · am(en) ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1(39)8 (?) am 5. Tag vor den Kalenden des April (28. 3.) starb Mechtild von Ostery, deren Leichnam hier begraben ist, und ihre Seele ruhe in Frieden. Amen.

Kommentar

Der von Sack mit großer Sicherheit auf 1248 datierte Grabstein ist unter diesem Datum unbezweifelt in die Literatur zur Braunschweiger Kunstgeschichte eingegangen1). Vom Schriftbild her kann jedoch kein früherer Zeitpunkt als etwa 1360 angenommen werden. Die Ritzzeichnung einer weiblichen Halbfigur hat in Braunschweig sonst keine Parallele. Auffällig ist aber die Ähnlichkeit mit der aus dem Braunschweiger Dom erhaltenen hölzernen Tafel aus der Zeit um 1400 (Nr. 72). Insbesondere der mit Kreuzblumen versehene, von zwei Pfeilern oder Säulen sich aufschwingende Spitzbogen mit dreiteiliger durch einen Riegel zusammengefaßter Blattbekrönung ist fast identisch. Die matronenhafte Kleidung der Mathilde, Gemahlin Heinrichs des Löwen, ist auf der Ritzzeichnung des Grabsteins der Mechtild wiederzuerkennen in der gekräuselten Haube, dem kruseler, dem pelzgefütterten Mantel, von dem die Seitenteile gefällig aufgeschlagen sind, und den über die Handgelenke reichenden Manschetten. Große runde Schmuckknöpfe, bezeichnend für die Mode um 1400, befinden sich am Kleid der Mechtild wie am Verschluß des Mantels der Beatrix auf der Tafel.

Ein Adelsgeschlecht von Ostery ist im niedersächsischen Umkreis nicht nachweisbar. Zweifellos handelt es sich nach der Darstellung auf dem Grabstein aber um eine verheiratete adelige Frau, die in der Tracht ihres Standes abgebildet wurde. Ungewöhnlich bleibt die halbfigürliche Darstellung, und fraglich bleibt auch die Jahreszahl, da die Beschädigung des Steins keine zweifelsfreie Lesung mehr zuläßt. Am ehesten ließe sich nach dem geschlossenen m noch cccxc erklären. Mit der viii auf dem rechten Rand ergäbe sich 1398; Zeichnung und Schriftbild wären damit übereinstimmend datiert. Dem steht die Sacksche Lesung entgegen, der den Stein noch unversehrt sah. Der Gedanke an eine spätere Imitation des Grabsteins verbietet sich aufgrund der sorgfältig gezeichneten modischen Kleidung und der charakteristischen Andachtshaltung der Verstorbenen.

Anmerkungen

  1. Zuletzt in Kat. Stadt im Wandel 4, S. 386; dort wird als Datum 1249 genannt.

Nachweise

  1. Abb.: Beck, H III 1, 15, S. 200; Sack, H V, 133, S. 24a; ders., 1861, S. 4; Spies, 1976, S. 121.
  2. Lit.: Sack, H V, 90, S. 125; Schmidt, 1819, S. 724f.; Schiller, 1849, S. 162; ders., 1852, S. 151; Schultz, 1963, S. 76; wie Anm. 1.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 62 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0006205.