Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 71a Rhein. Landesmuseum 2. H. 15.–1. H. 16. Jh.?

Beschreibung

Fragment einer Steinplatte aus unbekanntem Zusammenhang (ohne Inv.-Nr.). Gefunden 1957 am Leinpfad in Höhe des Römerlagers. Kalksinter. Der erhaltene untere Teil der Platte läßt ihre ursprünglich runde Form erkennen. Vom rechten und linken Rand aus führt eine Bruchlinie schräg nach links bzw. rechts oben, die Bruchränder stoßen im Winkel von wenig mehr als 90° aufeinander. Die Oberseite weist Mörtelreste auf, die Rückseite ist glatt gebrochen. Die mehrzeilige Inschrift ist der ungewöhnlichen Form der Platte angepaßt, die Buchstaben sind tief eingehauen.

Maße: H. 19, B. 33, T. 8,2, Bu. 4–4,4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien aus der romanischen Majuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. [- - - D]a Pạ[...]a) / Animabu[s] / Cunctis

Übersetzung:

... gib allen Seelen [Frieden]!

Kommentar

Vor dem ersten sicher lesbaren Buchstaben ist auf der Grundlinie ein nach oben offener Bogen erkennbar, der vermutlich zu einem unzialen D zu ergänzen ist. Der A-Versal mit breitem Deck- und gebrochenem Mittelbalken findet zwar häufig in der frühhumanistischen Kapitalis Verwendung, entstammt aber bereits, wie der runde C- und der P-Versal, der romanischen Majuskel. Der vom oberen Hastenende aus schräg nach oben gezogene Bogen des P wird nur wenig oberhalb des unteren Hastenendes wieder an die Haste herangeführt. Die Versalien ragen ebenso wie die Oberlängen der Minuskelbuchstaben kaum über den Mittellängenbereich hinaus. Zweimal wird ein symmetrisches, kastenförmiges a verwendet, das unten offen ist. Parallelbeispiele für diese Form lassen sich im letzten Viertel des 15.1) und im 16. Jh.2) finden. Auch der zweite Buchstabe des zweiten Wortes könnte als a zu lesen sein, obwohl die Form von dem üblichen zweistöckigen a abweicht: Vom oberen Ende einer Haste führt ein kurzer Schrägbalken nach links; dieser Balken geht in einen Bogen über, der auf halber Buchstabenhöhe wieder an die Haste herangeführt wird. Am Berührungspunkt zwischen Haste und Bogen setzt ein weiterer Schrägbalken an, der nach links unten auf die Grundlinie führt. Vermutlich beabsichtigte der Steinmetz, ein zweistöckiges a zu hauen, das – im Übergang von der gotischen Minuskel zur Fraktur – wieder runde Formen aufnimmt. Dabei hat er den gerundeten Teil ungewöhnlich kräftig gehauen und die untere Buchstabenhälfte offenbar ganz mißverstanden. Vor allem die a-Formen, aber auch die Versalien sprechen dafür, daß die Inschrift in der zweiten Hälfte des 15. oder in der ersten Hälfte des 16. Jh. entstanden ist. Der Text ist nicht mit Sicherheit rekonstruierbar, doch liegt die Ergänzung zur Fürbitte [- - - D]a Pa[cem] Animabus Cunctis nahe. Sicher stammt die Inschrift aus dem kirchlichen Bereich, vielleicht aus der Dietkirche.

Textkritischer Apparat

  1. Vielleicht zu ergänzen zu Pacem.

Anmerkungen

  1. Vgl. etwa DI 29 (Worms), Nr. 293, 294 von 1483.
  2. Vgl. etwa DI 49 (Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau), Nr. 238 von 1578, 1579, dort allerdings in einer Frakturschrift.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 71a (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k00071a8.