Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 61† Münster Mitte 12. Jh. – 15. Jh.

Beschreibung

Gewölbe der Chorapsis über dem früheren Hauptaltar mit poetischem Märtyrerlob.1) Zur Zeit Burmans (1656) war die Inschrift bereits durch die Tünchung der Wände verdeckt,2) demnach war sie vermutlich aufgemalt.

Wortlaut nach Burman, dort nach den Aufzeichnungen Simons von Ahrweiler (1485).

  1. Vos sal dulcorum, lux estis praevia morum,3)flores4) candorum sanxit quos unda ruborum,gloria coelorum,5) decus orbis6) spesque piorum.7)

Übersetzung:

Ihr seid das Salz in der Süße, das vorausscheinende Licht der Sitten, blendend weiße Blüten, die die Woge der Röte (d. h. des Blutes) heiligt, Ruhm des Himmels, Zierde der Erde und Hoffnung der Frommen.

Versmaß: Hexameter mit Reim (Unisoni).

Kommentar

Der mögliche Entstehungszeitraum der Inschrift ergibt sich aus der Bauzeit des Chores einerseits und der Zeitstellung der Quelle andererseits: Simon von Ahrweiler ist 1455 bis 1485 als Kanoniker des Cassiusstiftes belegt.8) Es ist zwar naheliegend, aber nicht nachweisbar, daß die Inschrift in zeitlichem Zusammenhang mit der Fertigstellung des Chores und der Translation der Gebeine der Heiligen Cassius, Florentius und Mallusius (1166) abgefaßt wurde. Es besteht ein thematischer Zusammenhang mit den Inschriften auf zwei Balken seitlich des Hauptaltares (vgl. Nr. 60). Als gedanklicher Hintergrund der Inschrift sind zwei Bibelstellen anzusehen.9) Der erste Vers knüpft an Mt 5,13–14 an, wobei unter der ‚Süße‘ wohl die Gesamtheit der Heiligen oder gar der Christen zu verstehen ist. Der zweite Vers dürfte in Zusammenhang mit der apokalyptischen Schilderung der Weißgewandeten vor dem Thron Gottes zu sehen sein, die ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen haben.10) Zur spes piorum werden die verehrten Märtyrer durch ihre unmittelbare Nähe zu Gott und die daraus resultierende Möglichkeit, Fürbitte für die Gläubigen einzulegen.11)

Anmerkungen

  1. „Carmen vetustissimum, quod antehac licebat conspicere in fornice supra summum altare in hac Ecclesia ...“ (Burman).
  2. „sublatum per renovationem et dealbationem templi eiusdem“.
  3. Vgl. Mt 5,13–14: „vos estis sal terrae, ... vos estis lux mundi“.
  4. Vgl. Sir 39,19: „Florete flores quasi lilium et date odorem et frondete in gratiam et collaudate canticum et benedicite Dominum in operibus suis“. Vgl. auch den Hymnus „Salvete, flores martyrum“ (Anal. hymn. 50, S. 25).
  5. Zu den zahlreichen Beispielen für die Junktur „gloria caeli“ siehe Hex.-Lex. 2, S. 434.
  6. Das Epitheton „decus orbis“ gehört zum Formelgut christlicher Dichtung. Vgl. z. B. Prudentius, Peristephanon 13,2 (für Cyprian); Aachen, Karlsschrein (für Karl d. Gr., DI 31, Nr. 34) und Saint-Genis-de-Fontaines/Pyrénées-Orientales (für Abt Gausbert, CIFM 11, Nr. 121).
  7. Vgl. Prudentius, Liber Apotheosis 393: „o nomen predulce, mihi lux et decus et spes“.
  8. Höroldt, St. Cassius, S. 261.
  9. Ein liturgischer Ursprung des Textes ist nicht feststellbar. Vgl. Peters, Liturgische Feiern.
  10. Apc 7,14: „hii sunt qui veniunt de tribulatione magna et laverunt stolas suas et dealbaverunt eas in sanguine agni.“
  11. Scholz, Grab, S. 272f. (mit weiteren Literaturhinweisen).

Nachweise

  1. StA Bonn, Burman, Historia universalis, S. 71.
  2. Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 79.
  3. Clemen, KDM, S. 80.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 61† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0006106.