Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 60† Münster nach 1166–15. Jh.

Beschreibung

Balken mit Reliquienbezeugung und Literaturzitat. Wie sich die Balken, die sich zu beiden Seiten des früheren Hauptaltars in der Apsis befunden haben sollen,1) in den Bau einfügten, ist nicht bekannt. Material vermutlich Holz, Ausführung unbekannt. Die Inschriften (und die Balken?) waren zur Zeit Burmans (1656) nicht mehr vorhanden bzw. sichtbar.

Wortlaut nach Burman, dort nach den Aufzeichnungen Simons von Ahrweiler (vor 1485).

  1. A

    Spes et nostra salus hic pausat Cassius almus,Quos par mors sociat2), par hic reverentia servat.

  2. B

    Cognatum fratremque cave carumque sodalem,Prodebit vero haec tibi turba metus.3)

Übersetzung:

Unsere Hoffnung und unser Heil ruht hier, der Segen spendende Cassius; welche der gleiche Tod vereint, bewahrt hier die gleiche Verehrung. (A)

Hüte dich vor dem Verwandten, dem Bruder und vor dem lieben Gefährten, diese Schar wird dir tatsächlich zur Bedrohung werden! (B)

Versmaß: Hexameter mit einsilbigem leoninischen Reim (A); elegisches Distichon ohne Reim (B).

Kommentar

Der mögliche Entstehungszeitraum ergibt sich aus der Bauzeit des Chores einerseits und aus der Zeitstellung der Quelle andererseits: Simon von Ahrweiler ist 1455 bis 1485 als Kanoniker des Cassiusstiftes belegt.4) Es ist zwar naheliegend, aber nicht nachweisbar, daß die Inschriften in zeitlichem Zusammenhang mit der Fertigstellung des Chores und der Translation der Gebeine der Heiligen Cassius, Florentius und Mallusius (1166) abgefaßt wurden. Jedenfalls setzt die Inschrift A den Translationsakt und die Niederlegung der Gebeine im Reliquienschrein, der auf dem Cassiusaltar aufgestellt wurde, voraus. Ein thematischer Zusammenhang mit einer gemalten Inschrift über dem Hauptaltar (vgl. Nr. 61) ist offensichtlich, ohne daß sich daraus zwangsläufig die gleichzeitige Entstehung der Inschriften ergibt. Überraschend ist, daß von den drei Patronen der Kirche nur Cassius namentlich erwähnt wird, zumal der zweite Vers der Inschrift A offensichtlich auf Florentius und Mallusius anspielt. Inschrift B, ein Ovid-Zitat, wurde vermutlich im Zuge der doppelten kopialen Überlieferung bei Simon von Ahrweiler bzw. Burman falsch abgeschrieben, so daß praebebit zu prodebit und veros zu vero verändert wurde.5) Natürlich ist auch eine fehlerhafte Ausführung der Inschrift nicht auszuschließen. Das Zitat eines heidnischen Dichters an einer hervorragenden Stelle im Kirchenraum überrascht zunächst. Der gedankliche (christliche) Hintergrund ist aber wohl im Neuen Testament zu suchen: „Cavete autem ab hominibus ... tradet autem frater fratrem in mortem et pater filium et insurgent filii in parentes et morte eos adficient ...“6) Diese Warnung vor Verfolgung, die Jesus bei der Aussendung der Apostel aussprach, wird mittels des Ovid-Zitats auf die Märtyrer der Thebäischen Legion bezogen.

Anmerkungen

  1. „In antiquis Asseribus circa altare S. Cassii“ (B); „In altero latere“ (C) (Burman).
  2. Das Verb „sociare“ wird in einer weiteren auf die Thebäischen Märtyrer bezogenen Inschrift verwendet (vgl. Nr. 6).
  3. Ovid, Ars amatoria 1, 753f.: „Cognatum fratremque cave carumque sodalem: / Praebebit veros haec tibi turba metus.“
  4. Höroldt, St. Cassius, S. 261.
  5. Die einschlägigen Ovid-Editionen verzeichnen keine Variante, die mit der Bonner Version übereinstimmt.
  6. Mt 10,17, 21f.; vgl. Mc 13,12; Lc 21,12–19.

Nachweise

  1. StA Bonn, Burman, Historia universalis, S. 71.
  2. Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 79.
  3. Clemen, KDM, S. 80.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 60† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0006009.