Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 37 Rhein. Landesmuseum spätes 14. Jh.?

Beschreibung

Fragment einer Grabplatte (Inv.-Nr. 71.0601). 1971 bei der Ergrabung der ehemaligen Dietkirche im Bauschutt der Krypta gefunden.1) Schiefer. Die Platte wurde in der Mitte senkrecht durchgeschnitten. Erhalten ist die linke Hälfte mit dem ersten Wort und dem Schluß der zwischen Linien umlaufenden Inschrift. Rand an einigen Stellen abgeblättert.

Maße: H. 188, B. 60, Bu. 5,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

  1. ANN[O - - -]a) / [PAT]ER · NOSTER · VND[.]b) [A]VEc) · MARIA · GR[A]CIA ·

Kommentar

Die Grabplatte nimmt hinsichtlich Material,2) Schrift und Formular eine Sonderstellung im Bonner Bestand ein. Sie stellt das einzige überlieferte nennenswerte Beispiel für eine in Stein gehauene, ausgereifte gotische Majuskel dar.3) Die Balken und horizontal verlaufenden Bogenteile der Buchstaben sind sehr fein geritzt, die Hasten und senkrechten Bogenabschnitte hingegen tief und breit eingehauen. Dieser Gegensatz betont den schon durch die deutlichen Bogenschwellungen bedingten flächigen Charakter der Schrift. Bei den trogförmig gehauenen Buchstabenteilen ist die Oberfläche der Rillen zickzackförmig gearbeitet. Möglicherweise waren die entsprechenden Buchstabenteile ursprünglich farbig gefüllt.4) Das unziale E ist durch einen feinen, leicht gebogenen Haarstrich geschlossen, ebenso das symmetrische unziale M. Bogen und Cauda des R sowie der Bogen des runden N berühren die Haste nicht. V ist spitz, das A pseudounzial mit breitem Deckbalken. Die Schriftform deutet ins 14. Jh., wobei einschränkend darauf hinzuweisen ist, daß aus dem Bonner Raum kein Vergleichsmaterial vorliegt. Die Verwendung halbkugelig vertiefter Punkte als Worttrenner stützt nach dem bisherigen Erkenntnisstand die Datierung ins 14. Jh.5) Der les- bzw. rekonstruierbare Teil der Inschrift besteht zwar aus lateinischen Wörtern, doch muß dies in diesem Falle nicht bedeuten, daß die Inschrift insgesamt in lateinischer Sprache abgefaßt war. Der Text der Grabinschrift endet nicht mit der üblichen Fürbittformel, sondern wohl mit der Bitte, ein (oder mehrere) Vaterunser und Ave-Maria zu beten. Beide Gebete werden selbstverständlich in der Sprache der Liturgie, also lateinisch, bezeichnet. Auch das die Datierung einleitende anno findet sich nicht nur in lateinischen, sondern auch in deutschsprachigen Inschriften. Lediglich das verbindende VND[.] besitzt keinen Formularcharakter und ist insofern für die Feststellung der Sprache aufschlußreich. Das lateinische Adverb „unde“ ergibt an dieser Stelle keinen Sinn, wohl aber das deutsche „unde“ = ‚und‘. Es dürfte sich daher um eine deutschsprachige, mit einigen lateinischen Ausdrücken versehene Inschrift gehandelt haben. Das legt allerdings nahe, daß die Inschrift eher im späten als im frühen 14. Jh. entstanden sein dürfte.6)

Textkritischer Apparat

  1. Fehlstelle: obere Schmalseite, rechte Langseite, untere Schmalseite.
  2. Vom letzten Buchstaben ist ein Stück eines nach rechts offenen Bogens erkennbar; wahrscheinlich handelte es sich um ein E.
  3. Der untere Teil der beiden Hasten des pseudounzialen A ist noch erkennbar.

Anmerkungen

  1. Zur Grabung siehe Rhein. Landesmus. 1971, S. 81ff.
  2. Es sind nur drei weitere Grabplatten aus Schiefer erhalten (vgl. Nrn. 55, 56, 218).
  3. Die ebenfalls in gotischer Majuskel ausgeführte Inschrift Nr. 40 besteht lediglich aus vier Buchstaben.
  4. Auf mehrere Beispiele für diese Technik bei Grabplatten des 14. Jh. verweisen E. Nikitsch, DI 34 (Landkreis Bad Kreuznach), S. XLVI, und Bauer, Mainzer Epigraphik, S. 37f.
  5. Nikitsch hat für das inschriftliche Material des Landkreises Bad Kreuznach festgestellt, daß bis zur Mitte des 14. Jh. ausschließlich halbkugelig vertiefte Punkte als Worttrenner verwendet werden, die vereinzelt noch bis zum Ende des Jahrhunderts nachweisbar sind (DI 34, S. LIII).
  6. Siehe Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache, S. 81.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 37 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0003700.