Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 18 Münster 1169

Beschreibung

Bleitafel mit Grabbezeugung und Memorialinschrift aus dem Sarg des Propstes Gerhard von Are.1) 1802 aus dem Sarg entfernt, in modernen Holzrahmen gefaßt, mit einer Umschrift versehen2) und an der Nordwand des Westchores angebracht.3) In der Mitte unter der sechszeiligen Inschrift ein gleichseitiges Kreuz. Schrift eingraviert.

Maße: H. 18,8, B. 47,5, Bu. 1,7 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. ANNO · I(N)CARNAT(IONIS) · D(OMI)NICE · M·C·LXVIIII · POSITV(M) · E(ST) · CORP(VS) · / GERARDI · P(RE)POS(ITI) · I(N) · HOC · LOCVLO · Q(V)I · ECL(ESI)A(M)a) · MVLTIS · / EDIFICIIS · ET · LVMINIB(VS) · DECORAV(IT) · (ET)b) P(RE)DIIS · DITA/V(IT) · (ET)b) · CORPORA · S(ANCT)OR(VM) · M(ARTY)R(VM) · TRANTVL(IT)a) · EIS·Q(VE) · ORNAMENTA · MVLTA · C(ON)TVL(IT) · HIC · ARE · CASTELLO4) · NOBILIT(ER) · NAT(VS) · / NOBILI(VS) · VIXIT5) · MISERERE · (CHRISTE)c) · SERVI · TVI · AM(EN) ·/ +

Übersetzung:

Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1169 ist in diesem Sarg niedergelegt worden der Körper des Propstes Gerhard, der die Kirche durch viele Baulichkeiten und Lichter verziert und mit Gütern ausgestattet und die Gebeine der heiligen Märtyrer überführt und für sie viel Zierat beigesteuert hat. Er wurde auf der Burg Are adlig geboren [und] hat [noch] edler gelebt. Erbarme dich, Christus, deines Dieners! Amen.

Kommentar

Der etwas ungelenke Charakter der mit einem Spitzstichel gravierten Schrift ist wohl vor allem auf die unebene Oberfläche der Tafel und die Eigenart des Materials zurückzuführen. Hasten-, Balken- und Bogenenden sowie die Kürzungsstriche schließen mit deutlich ausgeprägten Sporen ab. Das E wird überwiegend in unzialer, runder, aber auch in der kapitalen, eckigen Form mit gleich langen Balken verwendet. Auch M kommt in zwei Formen vor: kapital (mit geraden Hasten, der Mittelteil reicht bis zur Zeilenmitte) und als links geschlossenes unziales M. Die Tendenz zur Aufnahme runder Formen zeigt sich zudem in der Verwendung des unzialen H. Die Worttrennung erfolgt durch Punkte auf der Zeilenmitte. Neben mehreren Kompendienstrichen und dem us-Häkchen werden das übergeschriebene I, ein durchstrichenes L sowie die tachygraphische et-Kürzung benutzt, außerdem eine Reihe von Ligaturen. Aufgrund der verhältnismäßig großen Anzahl von Ligaturen und der Auswahl unzialer Buchstabenformen darf man davon ausgehen, daß die Inschrift nicht von derselben Hand stammt wie die wohl etwa gleichzeitig entstandene steinerne Gedächtnisinschrift für Gerhard von Are (vgl. Nr. 17). Dennoch bietet die Schrift keinen Anlaß, mit Kraus an der Entstehung der Inschrift unmittelbar nach dem Tode Gerhards von Are zu zweifeln.

Der Verstorbene war von 1126 bis zu seinem Tode am 23. Februar 1169 Propst des Cassiusstiftes.6) Die Inschrift erinnert an die umfangreichen Bauarbeiten an den Kirchen- und Stiftsgebäuden, die unter seiner Leitung durchgeführt wurden,7) und an die Erhebung der Gebeine der Stiftspatrone durch Reinald von Dassel im Jahre 1166.8)

Textkritischer Apparat

  1. Sic!
  2. Tironisch.
  3. Buchstabenbestand: XPE.

Anmerkungen

  1. Zum Grab vgl. Nr. 19, Anm. 2.
  2. Ihr Text lautet: „ Tabula plumbea inventa in sarcophago Gerardi a Sayn, huius olim collegiatae et archidiaconalis ecclesiae saeculo XII. praepositi et restauratoris, cuius ossa in sacello s. Cyriaci, ecclesiae contiguo, requiescunt. Erecto ibidem epitaphio insculptum erat: Gerardus comes Seynensis, praepositus bonnensis et archiepiscopus coloniensispostremo hoc titulo condecoratus ob sui electionem ad cathedram archiepiscopalem coloniensem, quamvis eandem, Friderico II. cedens, nunquam ascenderit.“
  3. Im Winter 1944/45 wurde die Tafel ins Rheinische Landesmuseum verbracht (BJbb. 149, 1949, S. 360), einige Jahre später jedoch wieder an der alten Stelle angebracht.
  4. Bei Altenahr. Vgl. U. Bader, Geschichte der Grafen von Are bis zur Hochstadenschen Schenkung (1246) (Rheinisches Archiv Bd. 107), Bonn 1979, S. 117f.
  5. Vgl. zu diesem Topos Nr. 17.
  6. Zu ihm Höroldt, St. Cassius, S. 206.
  7. Clemen, KDM, S. 57f.; siehe auch die Einleitung, S. XXXVI und vgl. Nr. 17.
  8. Chronica regia Coloniensis, MGH SS rer. Germ. in usum schol. [18], S. 116.

Nachweise

  1. aus’m Weerth, Münsterkirche, S. 14, Anm. 36.
  2. Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 54.
  3. Kraus II, Nr. 511.
  4. Maaßen, Dekanat Bonn-Stadt, S. 41, Anm. 4.
  5. Clemen, KDM, S. 89f.
  6. H. Ehrentraut, Bleierne Inschrifttafeln aus mittelalterlichen Gräbern, Diss. phil. masch. Bonn 1951, S. 91f.
  7. Ders., Bleierne Inschrifttafeln aus mittelalterlichen Gräbern in den Rheinlanden, BJbb. 152, 1952, S. 203.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 18 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0001805.