Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 71† Bonn, genauer Standort unbekannt 2. H. 15.–1. H. 16. Jh.

Beschreibung

Quaderstein1) mit Städtelob an einem nicht identifizierbaren Gebäude bei der Propstei in der Nähe des kurfürstlichen Schlosses.2) Die Inschrift war bereits zu Alfters Zeiten nicht mehr vorhanden,3) vermutlich ist sie 1689 zerstört worden.

Wortlaut und Interpunktion nach Alfter.

  1. Bonnaa) solum felix, celebris locus, inclyta tellus,Florida4) martyrio, terra sacrata Deo.Exulibus requiesb), asylumc) mite5) fuisti,Semper et externi6) te reperere suam.

Übersetzung:

Bonn, glückliche Stätte, gefeierter Ort, berühmtes Land,

blühend durch das Martyrium als Gott geweihte Erde.

Den Verbannten bist du Ruhestätte und friedvolle Zuflucht gewesen,

und die Fremden haben dich stets als die Ihre erfahren.

Versmaß: Elegische Distichen ohne Reim.

Kommentar

Über diese vier Verse hinaus überliefern Alfter und Hüpsch – voneinander abhängend – ein weiteres Distichon: Inde suas nobis turres, optendit opesque / templaque cum laribus Bonna superba suis.7) Da diese Verse mit den vorhergehenden durch Versmaß und Wortwahl sowohl inhaltlich als auch sprachlich eine Einheit bilden, ist ihre Zugehörigkeit zur Inschrift nicht auszuschließen. Dagegen spricht allerdings, daß es sich um eine singuläre Textüberlieferung handelt, während die beiden ersten Distichen vielfach zitiert werden. Zudem bezeichnet Bürvenich die Inschrift ausdrücklich als Tetrastichon, also als vierzeiliges Gedicht.8) Man wird daher bei Alfter und Hüpsch, die die Inschrift nicht mehr gesehen haben, von einer erweiterten literarischen Version des Textes ausgehen müssen.9)

Das Versmaß und die antikisierende Wortwahl lassen darauf schließen, daß der Text in einem humanistischen Umfeld entstanden ist. Damit bietet sich für die Datierung vor allem das 16. Jh. an,10) wobei die erste kopiale Überlieferung in den 1572 erschienenen „Civitates orbis terrarum“ von Braun/ Hogenberg den Terminus ante quem liefert. Braun und Hogenberg fanden den Text bereits als Inschrift vor, und zwar „in antiquo saxo“, also auf einem alten Stein. Roth, der sich auf Bürvenich und damit auf eine Quelle des 17. Jh. stützt,11) gibt an, die Inschrift sei „in altertümlichen Schriftzügen“ ausgeführt gewesen. Beide Quellen geben hinsichtlich der Datierung der Inschrift zu denken. Mag man in dem ‚antiquum saxum‘ noch eine topische Wendung vermuten, so gilt das sicher nicht für die Schriftbeschreibung. Man darf wohl aus ihr schließen, daß die Inschrift nicht in der gut lesbaren, seit dem 16. Jh. zunehmend verbreiteten und gerade für humanistisch geprägte Inschriften üblichen frühhumanistischen oder Renaissance-Kapitalis, sondern in einer schwerer lesbaren, im 17. Jh. nicht mehr allgemein verwendeten Schrift ausgeführt war, vermutlich einer gotischen Minuskel. Wenn das zutrifft, muß man allerdings auch das 15. Jh. als Entstehungszeit der Inschrift in Betracht ziehen. Angesichts zahlreicher Belege für frühhumanistische Tendenzen an der Kölner Universität etwa seit der Mitte des 15. Jh.12) ist nicht auszuschließen, daß auch das Lobgedicht auf Bonn bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jh. verfaßt wurde.

Die literarische Gattung des Städtelobes war sowohl im Mittelalter als auch in der frühen Neuzeit weit verbreitet. Im Unterschied zu der üblicherweise feststellbaren deutlich topischen Prägung13) scheinen der dritte und vierte Vers des Bonner Städtegedichtes nicht an Vorbildern orientiert, sondern individuell formuliert zu sein. Vielleicht spielt der dritte Vers auf die Bestattung mehrerer Kölner Erzbischöfe im Bonner Münster an.14) Die ersten beiden Verse weisen sprachlich und vor allem inhaltlich Anklänge an einen Hymnus auf Rom auf: „O Roma felix, quae tantorum principum es purpurata15) pretioso sanguine...“.16) Sie greifen den erstmals bei Tertullian formulierten Gedanken auf, daß das Blut der christlichen Märtyrer den Boden fruchtbar macht.17) Diese seit frühchristlicher Zeit lebendige Vorstellung fand in das Gebet „Via sanctorum“ aus der Liturgie des Cassiusstifts Eingang,18) aus dem der Verfasser des Städtegedichtes geschöpft haben mag.

Textkritischer Apparat

  1. Bonnae Bürvenich.
  2. et fügt Strevesdorff hinzu.
  3. Die erste Silbe des aus dem Griechischen übernommenen Wortes wird hier lang gemessen. Asylon Strevesdorff.

Anmerkungen

  1. „in antiquo saxo“ Braun/Hogenberg.
  2. Roth, S. 158.
  3. Er überliefert die Inschrift unter der Überschrift „Elogium oppidi Bonnensis, quod olim ibi extabat“.
  4. Wohl als Anspielung auf Florentius, einen der Patrone der Münsterkirche, zu verstehen.
  5. Bei der Junktur asylum mite scheint es sich um ein Zitat zu handeln, das allerdings nicht nachgewiesen werden konnte.
  6. Vgl. Paulinus von Nola, carm. 13, 22f.: „semper et externum nobis celebrata per orbem...“.
  7. „Daher zeigt uns das stolze Bonn seine Türme und Reichtümer und die Tempel mit seinen Wohnstätten.“ Zu „optendere“ i. S. von ‚zeigen, darbieten‘ siehe Novum glossarium O, Sp. 201.
  8. Siehe dazu Anm. 11.
  9. Auch Strevesdorff bietet einen fünften und sechsten Vers: Principibus Sedes hinc Electoribus illa est / Iustitiae Patribus qua Themis alma viget. („Sitz der Kurfürsten ist jene, in der durch die Väter der Gerechtigkeit die segenspendende Themis in hohem Ansehen steht“). Er nimmt bei seiner Wiedergabe jedoch keinerlei Bezug auf eine inschriftliche Ausführung des Textes, sondern präsentiert die Verse als „Carmina“, welche „de Bonna haec ipsa leguntur“.
  10. So auch die Datierung bei Neuhausen.
  11. Roth zitiert Bürvenich an dieser Stelle ohne Quellenangabe. In den von Bürvenich abgefaßten Bänden der Annalen der kölnischen Franziskanerprovinz wird die Inschrift nicht überliefert.
  12. E. Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte, hrsg. von der Senatskommission für die Geschichte der Universität zu Köln, Bd. I), Köln/Wien 1988, S. 205ff.
  13. Siehe etwa C. J. Claassen, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des 12. Jh. (Beiträge zur Altertumswissenschaft 2), Hildesheim/New York 1980; P. G. Schmidt, Mittelalterliches und humanistisches Städtelob, in: A. Buck (Hrsg.), Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 1), Hamburg 1981, S. 119–128.
  14. Vgl. die Inschriften für Engelbert von Falkenburg († 1274, Nr. 41), Siegfried von Westerburg († 1297, Nr. 31) und Ruprecht von der Pfalz († 1480, Nr. 50).
  15. Auch: consecrata (Blaise, Vocabulaire, S. 225).
  16. Anal. hymn. 2, S. 54, Nr. 57.
  17. Tert., Apolog. L, 13: „semen est sanguis Christianorum“ (CChL 1, S. 171).
  18. „... qui locum istum sanctorum martyrum tuorum Cassii, Florentii, Malusii sociorumque eorum sanguine consecrasti ...“ (Peters, Liturgische Feiern, S. 15f.).

Nachweise

  1. Braun/Hogenberg, Civitates orbis terrarum 1572–1618, ND in 6 Teilen, Bd. I, T. 1/2, Kassel/Basel 1965, S. 33.
  2. M. Zeiller, Teutsches Reyßbuch durch Hoch- und Nider-Teutschland, Straßburg 1632, S. 466.
  3. M. H. von Strevesdorff, Descriptio Coloniensis, 1662, S. 112.
  4. HAStK, Slg. Alfter, Bd. 47, Bl. 91v.
  5. Hüpsch, Epigrammatographie II, S. 4, Nr. 5.
  6. Roth, Franziskaner-Rekollekten, S. 158.
  7. H. J. Frings/K. A. Neuhausen, Neue lateinische Gedichte zum Lobe der Stadt Bonn, BGbll. 39, 1989, S. 529–547 (532).

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 71† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0007102.