Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 32† St. Remigius (ehem. Minoritenkirche) nach 1317

Beschreibung

Bau- und Weiheinschrift auf unbekanntem Träger an einem nicht näher bezeichneten Platz im Innenraum. 1689 mit der Kirche zerstört. Material und Ausführung unbekannt.

Wortlaut nach dem Liber memoriarum (18. Jh.).1)

  1. Anno milleno2) bis centum septuagenoPost Christum quarto fratrum pius ordo minorumExceptus Bonnae, Siffrido praesule, templumAd forum coepit, nunc fratrum strada vocatur.Annos insumpsit plures. Clarissima paretFabrica, praecelso splendet per sydera tecto,Quam sacrat antistes sancto demum LudovicoCoelitus adscripto iussu pontificis. ErgoOrdo Minoriadum iubilet celebretque beatum.

Übersetzung:

Im Jahre tausendzweihundertvierundsiebzig nach Christus hat der fromme Orden der Minderbrüder, in Bonn aufgenommen, als Siegfried Erzbischof war,3) einen Tempel begonnen in der Nähe des Marktes (jetzt nennt man es Straße der Brüder).4) Mehrere Jahre hat er darauf verwendet. Er erscheint als ein überaus heller Bau, er leuchtet unter den Sternen durch sein erhabenes Dach; welchen (Bau) schließlich der Bischof dem hl. Ludwig weiht, der jüngst auf Befehl des Papstes den Himmeln beigeschrieben (d. h. kanonisiert) wurde. So möge der Minoritenorden den Seligen preisen und verehren.

Versmaß: Hexameter ohne Reim.

Kommentar

Der Text enthält mehrere prosodische Verstöße, etwa im vierten Vers bei forum, dessen erste Silbe kurz gemessen wird, oder im vorletzten Vers bei pontificis, wo die zweite Silbe ebenfalls kurz gemessen wird, obwohl in beiden Fällen eine Länge erforderlich ist.

Eine sechs Hexameter umfassende Bau- und Gründungsinschrift der Kölner Minoritenkirche befand sich dort auf einem Balken unter dem Gewölbe des Seitenschiffes.5) Möglicherweise war die Bonner Inschrift ähnlich ausgeführt. Dafür spricht auch, daß beim Wiederaufbau der Kirche nach der Zerstörung 1689 eine verkürzte (heute ebenfalls nicht mehr vorhandene) Fassung der Inschrift auf Balken in der Kirche angebracht wurde.6) Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß die Verse auf einer Tafel standen.

Als Terminus post quem für die Weihe der Kirche und die Abfassung der Inschrift kann die Heiligsprechung des 1297 verstorbenen Ludwig von Anjou, Bischof von Toulouse, am 7. April 1317 herangezogen werden. Seine Mitgliedschaft im Minoritenorden hatte er gegen heftige Widerstände durchsetzen müssen. Aufgrund seines regen Kontaktes zu den Spiritualen blieb er allerdings auch nach seinem Tode innerhalb seines Ordens umstritten.7) Die Weihe einer Kirche zu Ehren Ludwigs kurz nach der Kanonisation bedeutet daher eine klare Stellungnahme im Armutsstreit. In archivalischen Quellen wird erstmals 1313 die Lage eines Hauses als „iuxta fratres minores“ angegeben,8) doch erst für 1348 läßt sich in der Überlieferung die Bezeichnung „Brudergassin“ nachweisen.9) Die Inschrift bietet demnach den frühesten Beleg für den Straßennamen.

Anmerkungen

  1. PfA St. Remigius I, Nr. 18, S. 3f.
  2. Anno milleno ist sehr häufig als Beginn metrischer Gedichte belegt (vgl. Walther, Initia, Nr. 1140–1231).
  3. Siegfried von Westerburg, Ebf. von Köln 1274–1297.
  4. Zur Topographie siehe Dietz, Topographie I, S. 293f.
  5. Rahtgens/Roth, Kirchl. Denkmäler, S. 405. Zu Inschriften und Darstellungen tragenden Holzbalken des 14. Jh. in Kölner Kirchen, bei denen es sich um Kerzenbalken handelte, siehe B. Lambert, Der Schneiderbalken im Hohen Dom zu Köln, Kölner Domblatt 58, 1993, S. 145–226. Der Inschriftbalken der Minoritenkirche befindet sich nicht unter den dort behandelten, von Zünften oder Bruderschaften gestifteten Balken.
  6. „in trabibus Ecclesiae“ (PfA St. Remigius, Liber memoriarum, S. 4). Der Text lautete:

    „Anno milleno bis centum septuagenoPost Christum quarto coepit Seraphico ordoConstruere hoc amplum Sigefrido praesule templum“.

  7. A. Vauchez, Art. „L. v. Anjou“, LexMA 5, Sp. 2202f.
  8. Ähnlich in einer Quelle von 1320: „apud fratres minores“. 1337 nimmt die Angabe „iuxta ecclesiam fratrum Minorum“ ausdrücklich Bezug auf die Kirche. Dietz, Topographie, S. 293.
  9. Ebd.

Nachweise

  1. PfA St. Remigius I, Nr. 18 (Liber memoriarum), S. 3f.
  2. Pick, AHVN 43, S. 93 (nach Liber memoriarum).
  3. Clemen, KDM, S. 134 (nach Pick).

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 32† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0003205.