Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 6† Münster um 1060 – 70

Beschreibung

Zwei steinerne Sarkophage mit Grabbezeugung. Nach Burman befand sich der Sarg mit der Inschrift A im Eingang zur Barbarakapelle im nördlichen Querarm, der Sarg mit der Inschrift B neben dem Magdalenenaltar am nördlichen Vierungspfeiler des Langschiffes.1) 1707 wurden die Sarkophage durch eine neue, heute ebenfalls verlorene Tumba mit fast gleichlautenden Inschriften ersetzt.2) Die Disposition der Inschriften auf den Sarkophagen ist nicht überliefert.

Wortlaut nach Burman.

  1. A

    Legio pro Christo mortem subit alma crudelemHuic sociatus ego claudor in hoc tumulo.

  2. B

    Haec socium sacrae me clausit petra cohortisQuam tibi Veronaea) vasta Thebaea dedit.

Übersetzung:

Um Christi willen erleidet die heilige Legion einen grausamen Tod. Als ein ihr Zugehöriger bin ich in diesem Grab eingeschlossen. (A)

Dieser Stein hält mich umschlossen, den Gefährten der heiligen Kohorte, die die vernichtete Thebäische [Legion] dir, Verona, gab. (B)

Versmaß: Elegische Distichen ohne Reim.

Kommentar

Beide Inschriften beziehen sich auf Soldaten der Thebäischen Legion, die der Legende nach unter Führung des Cassius und des Florentius standen und bei Bonn den Märtyrertod erlitten.3) Für die Übersetzung von vasta sind die Bedeutungen ‚ungeheuer groß‘ und ‚zugrunde gerichtet, vernichtet‘ gleichermaßen in Erwägung zu ziehen. Die Passio Gereonis des sog. Helinandus als wichtigste Quelle zum Martyrium der Thebäischen Legion überliefert, daß der römische Kaiser Maximinus „praecepit eam [legionem] semel et iterum decimari, et si adhuc, qui remanerent, mori quam cedere mallent, omnem illam beatissimam legionem, ubicumque fuisset dispersa, missis militibus, statuit trucidari ...“.4) Die Vernichtung der gesamten Legion wird also in der legendarischen Überlieferung besonders betont. Die Größe einer Legion hingegen war festgelegt, ihre Hervorhebung ist mithin nicht naheliegend. Die Übersetzung vasta = ‚vernichtet‘ ist deshalb in diesem Zusammenhang wohl vorzuziehen. Der Versifikator hat sich bemüht, die annähernd gleiche Aussage beider Inschriften sprachlich zu variieren. Während Inschrift A klar formuliert ist, wirkt Inschrift B bemüht und umständlich strukturiert. Sie dürfte daher als zweiter Text nach Inschrift A verfaßt worden sein. Die Wortfamilie ‚sociare/socius‘ wird sicher nicht zufällig für beide Inschriften herangezogen, zumal das Verb ‚sociare‘ in einer weiteren auf die Stiftspatrone bezogenen Inschrift verwendet wird (vgl. Nr. 60). Auch in der Urkunde, mit der die Thebäischen Stifte St. Gereon in Köln, St. Viktor in Xanten und St. Cassius in Bonn 1236 einen Schutzbund begründeten, heißt es, daß „inter patronos etiam ecclesiarum nostrarum una et vera fuerit societas“.5)

Die im Jahre 1929/30 im Münster durchgeführten Nachgrabungen ergaben, daß beim Bau der Krypta um 1060/70 mehrere Gräber entdeckt und geöffnet wurden. In einigen von ihnen meinte man offenbar die Gräber der Patrone zu erkennen.6) Zwei weitere, unter der Kryptanordmauer gelegene Gräber wurden durch ein kleines Gewölbe geschützt, nachdem man die Gebeine daraus entfernt hatte.7) Vermutlich hielt man die in diesen Gräbern Bestatteten für anonyme Angehörige der Thebäischen Legion, bettete sie in steinerne Tumben um und versah diese mit den Inschriften.8) Nichts spricht gegen die Annahme, daß die Inschriften bald nach der Auffindung und Erhebung der Gebeine ausgeführt wurden. Die Tatsache, daß die elegischen Distichen reimlos sind, stellt ein weiteres Indiz für eine Entstehung der Inschriften vor dem 12. Jh. dar.9)

Trifft die Datierung zu, so bietet die Inschrift B eines der frühesten Zeugnisse für die Verwendung des Ortsnamens ‚Verona‘ (statt des antiken ‚Bonna‘).10) Zu den noch älteren Belegen zählt die Passio Gereonis des sog. Helinandus wohl aus dem 10. Jh.11) Diese weit verbreitete Passio ist zugleich die wichtigste Quelle für die Verbreitung der Legende der Thebäischen Legion und damit auch des Cassius und des Florentius im Rheinland.12) Man darf daher sicher davon ausgehen, daß sie auch im Cassiusstift bekannt war.13) Sie könnte dann sachlich und hinsichtlich des Ortsnamens auch sprachlich als Vorlage für die Inschriften gedient haben.14)

Textkritischer Apparat

  1. quam tibi Veronae] quam, Verona, tibi AASS.

Anmerkungen

  1. Burman, S. 70.
  2. Die Tumba scheint noch von Hüpsch gesehen worden zu sein, der den Wortlaut der Inschrift „in tumba Ss. Cassii et Soc. M. Prope altare S. Magdalenae“ überliefert:

    „D.O.M. / IN HONOREM S(ANCTORVM) CASSII ET SOCIORVM THEBAEORVM MARTYRVM.HAEC SOCIVM SACRAE ME CLAVSIT PETRA COHORTISQVAM VERONA TIBI TVRBA THEBAEA DEDIT.LEGIO PRO CHRISTO MORTEM SVBIT ILLA CRVDELEM.HVIC SOCIATVS EGO CLAVDOR IN HOC TVMVLO.“

    (Epigrammatographie II, S. 5, Nr. 6; so auch in HAStK, Slg. Alfter, Bd. 47, Bl. 92r). Pick kannte die Tumba bereits nicht mehr (a. a. O.).
  3. Kentenich, Kult, S. 339 – 350; siehe auch die Einleitung, S. XL.
  4. Migne, PL 212, Sp. 764.
  5. Urkunden-Buch des Stiftes St. Gereon zu Köln, hrsg. v. P. Joerres, Bonn o. J. (1893), Nr. 106.
  6. Lehner/Bader, S. 10 f., 86 ff. und Einleitung, S. XL.
  7. Lehner/Bader, S. 91 – 94, 19, 24 f.
  8. Es ist denkbar, daß auch die Gebeine der heiligen Patrone der Kirche in solchen Sarkophagen aufbewahrt wurden, bevor sie bei ihrer Erhebung am 2. Mai 1166 in Reliquienschreine umgebettet wurden (Chronica regia Coloniensis, MGH SS rer. Germ. in usum schol. [18], S. 116).
  9. Meyer, Abhandlungen zur Rhythmik I, S. 193 und 277 – 283; Bayer, Entwicklung des Reimes, S. 123 f.
  10. W. Levison, Bonn-Verona, RhVjbll. 1, 1931, S. 351 – 357 (352 ff.).
  11. Migne, PL 212, Sp. 759 – 772; Levison, a. a. O., S. 353. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus der Zeit um 1000.
  12. In ihr werden die beiden Patrone des Bonner Stiftes erstmals mit der Thebäischen Legion in Verbindung gebracht. Vgl. Höroldt, St. Cassius, S. 36 (mit Literaturhinweisen).
  13. Bislang ist allerdings keine Handschrift mit dem Text der Passio aus dem Besitz des Stiftes nachgewiesen worden.
  14. Weitere sprachliche Übereinstimmungen zwischen den Inschriften und der Passio sind nicht feststellbar.

Nachweise

  1. StA Bonn, Burman, Historia universalis, S. 70.
  2. AASS Oct. V, S. 16 (B).
  3. L. Lersch, BJbb. 1, 1842, S. 126.
  4. Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 92.
  5. Lehner/Bader, S. 77.
  6. Clemen, KDM, S. 80 (alle nach Burman).

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 6† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0000605.