Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 40 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle um 1372

Beschreibung

Tischgrabmal für Markgraf Rudolf VI. von Baden. Ehemals vor dem Chor an zentraler Stelle des Kapellenschiffes über der noch heute vorhandenen Grabplatte.1 Hier erstmals zwischen 1732 und 1761 bezeugt.2 Im Zuge der 1829/32 vorgenommenen Umgestaltung der Fürstenkapelle mit vier neu angefertigten Kandelabern umstellt.3 1966 als Pendant des in die Fürstenakpelle überführten Tischgrabmals für die Klosterstifterin Irmengard an die heutige Stelle im nördlichen Bereich des Kapellenschiffes versetzt.4 Sandstein. Die hochrechteckige Platte ruht auf vier Löwenskulpturen. Im Feld die überlebensgroße, fast vollplastisch ausgehauene Gestalt des Verstorbenen in Kettenpanzer und Waffenrock. Das Haupt ist durch eine Hirnhaube geschützt. Neben seiner linken Schulter ein über den Plattenrand kragender Wappenschild, neben der rechten ein mit der Helmzier versehener Kübelhelm. Die Rechte liegt auf einem am Dupsing befestigten Dolch, die Linke auf dem an der Seite abgelegten Schwert. Zu Füßen der Figur ein ruhender Löwe. Neben dem rechten Bein die nachträglich angefertigte und in eine Aussparung der Platte eingelassene Skulptur eines liegenden Hundes. Auf dem angeschrägten Plattenrand der umlaufend eingemeißelte Sterbevermerk mit Grabbezeugung und Fürbitte. Er setzt auf der Schmalseite der Platte unter dem Wappenschild ein und ist von außen lesbar. Geringfügige Beschädigungen in den Gesichtszügen der Figur, am Schild und an der Helmzier wurden teilweise ausgebessert.

Maße: L. 277, B. 144, Bu. 9 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien und einem einzelnen Buchstaben der Gotischen Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/10]

  1. + M · tria · c · d(omi)ni ·a) l · et · decem · sv(n)t · soci/ati ·a) Hiis · bis · seX · ivnge ·a) vi(r)g(in)isb) · annv(ncia)cio · die ·a)5) Decessit · p(r)incepsc) · badensis ·a) / marchio · rvodolffd) ·a) Cvi(vs) · in · hac · foss/a ·a) cineres · clavdvnt(vr) · et · ossa ·a) det(vr) · ei · pietate · dei · donv(m) · reqviei · amene) ·a)

Übersetzung:

Nachdem tausend, dreihundert, fünfzig und zehn (Jahre) des Herrn zusammengezählt sind, setze diesen zweimal sechs hinzu: (Damals) verschied am Tag (der) Verkündigung an die Jungfrau der badische Fürst Markgraf Rudolf, dessen Asche und Gebeine in diesem Grab geborgen werden. Möge ihm durch die Gnade Gottes das Geschenk der Ruhe zuteil werden. Amen.

Versmaß: Fünf teilweise prosodisch unreine Hexameter, einsilbig leoninisch gereimt (V. 1–2), zweisilbig leoninisch gereimt (V. 4), als trininus saliens gereimt (V. 5).

Datum: 25. März 1372.

Wappen:
Baden.

Kommentar

Die Buchstaben sind tief und qualitätsvoll geschlagen sowie in regelmäßigen Abständen über das gesamte Schriftfeld verteilt. Sämtliche Ober- und Unterlängen wurden noch in das Zweilinienschema gezwängt. Der Bogen des h, die Fahne des r, die Bögen des s und der ungewöhnlich tief ansetzende Balken des t sind mit schmalen Zierhäkchen versehen. Die geschwungenen Schrägschäfte des X zeigen ebenso starke Bogenschwellungen, wie sie an den Versalien zu beobachten sind. Das C ist vollständig, das M links geschlossen und wie das H unzial geformt. Bei den Majuskeln münden die freien, die Grundlinie berührenden Enden von Bögen und geschwungenen Schäften in nach oben eingerollte Zierlinien. Überdies sind die Sporen der senkrechten Schäfte und Abschlußstriche beiderseits zu Zierhäkchen ausgezogen. Als Worttrenner dienen Quadrangel auf halber Zeilenhöhe, die am Ende eines jeden Verses, überwiegend auch in den Zäsuren (Penthemimeres) sowie in der Dihärese des dritten Verses von vier kleinen Punkten umgeben sind.

Nach einer Periode zahlreicher Aufteilungen des badischen Territorialbesitzes vereinigte Markgraf Rudolf VI., der Sohn Friedrichs III. von Baden, wieder sämtliche Gebiete in einer Hand.6 In einer Urkunde Kaiser Karls IV. von 1356 wird die Markgrafschaft erstmals als Fürstentum bezeichnet.7 Diese bedeutende Standeserhöhung greift auch die Inschrift in ihrem zentralen mittleren Vers auf (princeps badensis). Rudolf heiratet am 13. Juli 1346 Mechthild von Sponheim.8 Aus dieser Ehe gingen die Söhne Bernhard I. und Rudolf VII. sowie eine Tochter Mechthild hervor. Der auf dem Grabmal überlieferte Todestag stimmt nicht ganz mit dem Eintrag im Lichtenthaler Nekrolog überein, der den 21. März 1372 angibt.9 Doch scheint der spätere Termin durchaus vertrauenswürdig zu sein, da Rudolfs Witwe am 31. Mai 1378 für sich im Speyerer Kloster Unserer Lieben Frau eine Jahrzeit einrichtete, die zu ihren Lebzeiten just an Mariae Verkündigung (25. März), nach ihrem Tod aber gemeinsam mit der Jahrzeit ihres Ehemannes am Palmabend begangen werden sollte.10 Die Koinzidenz der Zeitangaben dürfte ihren Grund im Ableben des Ehemannes haben. Hingegen bezieht sich das Tagesdatum des Nekrologs vermutlich nur auf das Lichtenthaler Anniversar des Markgrafen.

Die formale Gestaltung des Tischgrabmals deutet darauf hin, daß es schon bald nach dem Hinscheiden Rudolfs entstanden sein dürfte.11 Schildform und Kübelhelm sind in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gut belegt.12 Auch die Rüstung findet zeitnahe Parallelen, so z. B. auf der Grabplatte des Eberhard Schenken von Erbach und seiner Frau (1373)13 oder auf der des Hennel Landschad von Steinach und seiner Gemahlin (1377).14 Da es für die Verwendung der Gotischen Minuskel im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Belegen gibt, spricht bisher nichts gegen eine Datierung nach dem Todesjahr.15 Die vielfach verwendeten langen und eingerollten Zierlinien deuten auf einen in Straßburg geschulten Bildhauer.16

Textkritischer Apparat

  1. An den Ecken mit vier Punkten ausgestattetes Quadrangel.
  2. Das erste i klein über das v gestellt; die zweite Kürzung durch einen Balken über dem s gekennzeichnet.
  3. Das i klein über das p gestellt.
  4. Das o klein über das v gestellt.
  5. Außerhalb des metrisch verfaßten Textes.

Anmerkungen

  1. Vgl. zur Lokalisierung GLA Karlsruhe G Lichtenthal nr. 2, Grundriß Fürstenkapelle Bu. G–K (wie unten); Kdm. Baden-Baden 443 (Abb. 342). Die Grabplatte wurde durch Franz Josef Herr nach dem Eintrag im Nekrolog identifiziert (vgl. GLA Karlsruhe 64/47, Nekrolog Lichtenthal III, fol. 6r: „xij kalendas [Aprilis] M° ccc° lxxij° Ruodolfus Marchio de Baden ante altare Andree.“; s. a. Necrologium 166) und mit folgender Inschrift versehen: + XII. CAL(ENDAS) · APRIL(IS) · MCCCLXXII / O(BIIT) ILLVST(RIS) RVDOLF(VS) VI. / DER . LANG . / MARG(RAUE) ZV . BADEN; vgl. Einl. Kap. 6 nr. *70; Kdm. Baden-Baden 514 nr. XIII und Franz Josef Herrs Textvorgabe in GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr (wie unten).
  2. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher (wie unten): „(…) dises ist das in der mitte stehende grossze Epitaphium.“
  3. Zur Anfertigung der Kandelaber durch die Steinmetzfirma Belzer, Weisenbach, vgl. Krimm, Fürstenkapelle 153; 750 Jahre Lichtenthal 396 nr. 276. Zu den Baumaßnahmen um 1829/32 im Einzelnen vgl. Stober, Denkmalpflege 116–128.
  4. Vgl. Krimm, Fürstenkapelle 153. Siehe die gegenwärtige Innenraumgestaltung der Fürstenkapelle in Abtei Lichtenthal 17 (Abb.). Zum Grabmal der Klostergründerin Irmengard vgl. nr. 23.
  5. Die zweite Vershälfte mit prosodischen Fehlern.
  6. Vgl. Schwarzmaier, Baden 186. Allg. zu Markgraf Rudolf VI. von Baden s. a. Schwarzmaier, Baden (2005) 89, 95–98; Sütterlin, Geschichte 257f.; Merkel, Studien 101–106; NDB, Bd. 2, 109; ADB, Bd. 29, S. 524; Weech, Badische Geschichte 41–60; Preuschen, Badische Geschichte 503f.; Sachs, Einleitung, T. 2, 157–176; Schoepflinus, Historia, tom. 2, 57–64.
  7. Vgl. Schwarzmaier, Baden (2005) 97f.; Schoepflinus, Historia, tom. 5, 466f. nr. 276.
  8. Vgl. Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF, Bd. 1.2, Taf. 267.
  9. Vgl. GLA Karlsruhe 64/47, Nekrolog Lichtenthal III, fol. 6r (siehe Wortlaut in Anm. 1); Necrologium 166 (hier der Eintrag irrtümlich für den 20. März); RMB, Bd. 1, nr. 1295 (hier irrtümlich der 20. März angegeben).
  10. Vgl. RMB, Bd. 1, nr. 1319; Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 94 Anm. 409.
  11. Vgl. dagegen die späteren Datierungsvorschläge in Kdm. Baden-Baden 504 nr. I. („nach 1400“) und Schwarzmaier, Baden (2005) 95 („um 1400“).
  12. Vgl. Bildwörterbuch 104–111; zum sich im oberen Drittel leicht verbreiternden und unten relativ spitz zulaufenden Schild vgl. Neubecker, Heraldik 76 (Abb. zu 1350 in Deutschland).
  13. Vgl. Drös/Wahl, Bestattungen 637 (Abb. 7), zur Datierung der Ausführung 638; Uli Steiger, „Hie ljgt begraben der wohlgeborn Her Eberhart Gravf zv Erpach...“ Die Grablegen des Hauses Erbach bis zum Tode Graf Eberhards († 1539), in: Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften 7 (2005) 147–150 nr. 14 (Abb. 9). S. a. die aufgeführten Beispiele in Rady, Kostüm 48f.
  14. Vgl. DI 38 (Bergstraße) nr. 33 (Abb. 23).
  15. Vgl. an Beispielen aus dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts im Bereich des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg DI 30 (Calw) nr. 42 (1378); DI 22 (Enzkreis) nr. 33 (1377); DI 20 (Karlsruhe) nrr. 9 (1366), 11 (um 1370); DI 16 (Rhein-Neckar-Kreis II) nr. 18 (1356); DI 12 (Heidelberg) nr. 57 (1379). Für Mainz ist die Verwendung der Gotischen Minuskel bereits ab 1320 belegt, vgl. DI 2 (Mainz) nrr. 33 (1320), 37 (1328), 41 (1357) u. a.
  16. Vgl. Einl. Kap. 5.1–2, LXXVIf.

Nachweise

  1. Georg Habich, Das Gebetbuch des Matthäus Schwarz [1521] (Sitzungberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philos.-philolog. u. hist. Kl. 8), München 1910, 6, Taf. III (Abb. 2, ohne Inschr.).
  2. BLB Karlsruhe D 162, Junglerus, Stemmatis (…) radix, fol. 28v. (erw.).
  3. BLB Karlsruhe D 113, Junglerus, Vera et genuina origo, fol. 23v (erw.).
  4. Ladislaus Sunthemius, Familia marchionum Veronensium nunc de Baden dictorum, in: Scriptores rerum boicarum (…), ed. Andreas Felix Oefelius, Augustae Vindelicorum 1763, tom. 2, 583 (= WLB Stuttgart Cod. hist. 2° 249, Ladislaus Sunthemius, Collectanea historico genealogica, fol. 91r).
  5. KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik 92.
  6. Stadtgesch. Slg. Baden-Baden Inv.-nr. 10822/77, Slg. Johann Stanislaus Schaffroth, Feder- u. Bleistiftzeichnung vom 21. Okt. 1820 (Photo mit Neg.-nr. 80–19/13).
  7. GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 31, Anlage L (Abb.).
  8. GLA Karlsruhe G Lichtenthal nr. 2, Grundriß Fürstenkapelle Bu. G–K, abgedr. in Kdm. Baden-Baden 515 (Abb. 421).
  9. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 17r.
  10. Guise, Kloster Lichtenthal, o. S. (Taf. 14).
  11. Herr, Kloster Lichtenthal 55.
  12. Grieshaber, Grabmäler 180.
  13. Bildertafeln, Taf. II, III (Abb.).
  14. Gutgesell, Kloster Lichtenthal 75.
  15. Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 321.
  16. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 0521, 0522, 73747.
  17. Stoesser, Grabstätten 66 (Abb.), 68.
  18. Wild, Bilderatlas 12 (Fig. 4).
  19. Deodata, Frauenkloster Lichtental 209.
  20. Kdm. Baden-Baden 504 nr. I, 512 (Abb. 418).
  21. Wolters/Baur, Zisterzienserinnen-Abtei 12 (erw.).
  22. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 3: Fürstenkapelle 72–74 (Abb.).
  23. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 94 Anm. 409 (erw.).
  24. Schwarzmaier u. a., Geschichte 77 (Abb.).
  25. Zorn, Kloster Lichtenthal 71 (Abb.).
  26. Cistercienserinnen-Abtei Lichtenthal 15 (erw.).
  27. 750 Jahre Lichtenthal 152 (Abb. 6).
  28. Abtei Lichtenthal 21 (erw.).
  29. Kohnle, Geschichte 57 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 40 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0004006.