Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 37 Baden-Baden, altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) 1366, 1624, 1634

Beschreibung

Grabplatte eines Albert unbekannter Abstammung, wiederverwendet für den Ötigheimer Pfarrer Melchior Keil und später nochmals für den badischen Hofmaler Willem Panneels. 1801 von Franz Josef Herr im Chor der Kirche bezeugt.1 Während der Kirchenrenovierung von 1865 im westlichen Langhausjoch als dritte Platte von Osten aufrecht an die Nordwand gestellt.2 Im Zuge der Verkürzung des Kirchenschiffes von 1963 in das östliche Langhausjoch versetzt.3 Hier seither die vierte Platte von Osten an der Nordwand. Rötlicher Sandstein. Am Rand zwischen zwei rahmenden Ritzlinien der umlaufende Sterbevermerk (A); der Beginn der Inschrift heute links unten. Die unteren zwei Drittel des Binnenfeldes füllt der zeilenweise ausgeführte Sterbevermerk (B). Darunter ein flach reliefierter Meßkelch. Der obere Plattenbereich wurde abgespitzt, um hier den ebenfalls zeilenweise wiedergegebenen Sterbevermerk (C) unterzubringen. Dabei hat man einen Teil von Inschrift (A) zerstört. Sämtliche Inschriften eingemeißelt. Der Plattenrand stellenweise beschädigt.

Maße: H. 209, B. 90, Bu. 7 (A), 5–6 (B), 4–5 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A), Kapitalis (B, C).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. A

    ANNO D(OMI)NI M° C°C°C°LX[°]/VI°a) · IN · CRASTINAb) · ANNVNCIACIONIS · MARIE · O(BIIT) · / ALBEHT · D[. . . . . / . . . . . . . . . . . . .]C̣E · FRATENc) · CAPELLANI ·

  2. B

    REVERENDVS · DOM/INVS · MELCHIOR KEIL ·d) / DE EMPSINGENe) · PAST/OR · INETINGHEIMf) · CV/RAM PALNEIg) · AD / RECVPERANDAS / CORPORIS · VIRES A/DHIBENS · OBIIT IN · DOM/TNOh) · DECIMO · NONOi) · AP/RILIS · ANNO · SALVT/IS · 1624 · CVIVS · / ANIMA · REQVIE·RATk) / IN PACEl)

  3. C

    A(NN)Om) D(OMI)NI · M · DCXXX/IIII · I° IVLIJ · EXCELLE=/NTISSIM(VS) · D(OMI)NVS · WIL/HELM(VS) · PANNELS · ANT=/VERPIENSIS · PICTOR / AVLICVS · BADENAE ·n) / AETATIS · SVAE · XXIX / OBIJTo)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1366 verstarb am Tag nach Mariae Verkündigung Albert von (…), der Bruder des Kaplans. (A) – Der ehrwürdige Herr Melchior Keil aus Empfingen (?), Pfarrer in Ötigheim, verstarb im Herrn am neunzehnten April im Jahr des Heils 1624 während einer Badekur zur Wiedererlangung seiner Körperkräfte. Dessen Seele möge in Frieden ruhen. (B) – Im Jahr des Herrn 1633 am ersten Juli verstarb der vortreffliche Herr Wilhelm Panneels aus Antwerpen, Hofmaler zu Baden, seines Alters 29 (C).

Datum: 26. März 1366 (A).

Kommentar

Die Gotische Majuskel in (A) ist überwiegend schmal proportioniert und integriert zahlreiche unziale bzw. runde Buchstabenformen, die deutliche Bogenschwellungen aufweisen. Dazu zählen das geschlossene E, F, H, das links geschlossene M, N, sowie das T, dessen Deckbalken mit einer spitz ausgezogenen Schwellung versehen ist. Das flachgedeckte A hat einen geschwungenen linken Schaft und überwiegend einen sehr schmalen gebrochenen Mittelbalken, der an den oberen Schaftenden ansetzt. Auf halber Zeilenhöhe sind die Bogenenden des B nach innen eingerollt und berühren weder einander noch den Schaft. Den Balken des L ersetzt ein Balkensporn, der Linksschrägschaft des X ist im unteren Bereich stark geschwungen. Die freien, auf der Grundlinie endenden Bögen, geschwungenen Schäfte und Caudae münden in waagerechte, teilweise mit kleinen Schwellungen versehene oder auch umgebogene Zierlinien. Die Sporen an C, E und S sind zu langen Zierlinien ausgezogen. Als Worttrenner dienen kleine Kreise auf halber Zeilenhöhe. Die Schrift ist mit den Buchstabenformen der Grabplatte für Adelheid von Eberstein eng verwandt und läßt in einigen Details, wie z. B. im B oder den Worttrennern, Straßburger Einfluß erkennen.4

Die Buchstaben in (B) weisen gleichbleibend schmale Kerben auf und werden durch unauffällige Sporen begrenzt. Bemerkenswert sind vor allem das unziale A, dessen rechter, senkrecht gestellter Schaft unten stark verkürzt ist. Der Mittelteil des konischen M bleibt auf das obere Zeilendrittel begrenzt. Der sonst geschlossene Bogen des P ist in CORPORIS offen und ragt weit über die obere Zeilenlinie hinaus. Die stachelförmige Cauda des R endet fast immer oberhalb der Grundlinie. Das S ist rechtsschräg gestellt. Als Worttrenner dienen Quadrangel auf halber Zeilenhöhe.

Die Inschriften (B) und (C) sind in einigen Buchstabenformen sehr ähnlich. Dazu zählen vor allem das R und das S. Hingegen ist das A in (C) spitz und das M gerade ausgeführt. Als Worttrenner dienen kleine Dreiecke auf halber Zeilenhöhe.

Der älteste Verstorbene Albert bzw. Albrecht läßt sich in Ermangelung des Nachnahmens nicht nachweisen. Auch Melchior Keil ist als Pfarrer in Ötigheim anderweitig nicht bezeugt.5 Allerdings dürfte er dieses Amt nur kurze Zeit bekleidet haben, da die Gemeinde erst mit dem Regierungsantritt Markgraf Wilhelms 1622 rekatholisiert worden war. Damals wurde die Seelsorge vorwiegend Jesuiten aus Speyer übertragen.5

Der Rubensschüler Willem Panneels war während seiner Reisen 1631 auch in die Stadt Baden gekommen.6 Er fand hier eine Anstellung als Hofmaler und fertigte mehrere Porträts von markgräflichen Familienmitgliedern an.7 Anhand des bisher kaum beachteten inschriftlichen Sterbevermerkes läßt sich sowohl das Todesdatum des Künstlers präzisieren als auch sein Geburtsjahr auf 1605 (+/– 1) eingrenzen.8 Damit wird die Authentizität mancher ihm bisher zugeschriebener Werke, wie z. B. das mit der Künstlersignatur und der Jahreszahl 1640 versehene Gemälde „Diana, die Schwangerschaft Callistos entdeckend“ im Musée des Beaux Arts in Nantes, neu zu diskutieren sein.9

Textkritischer Apparat

  1. M° C°C°C°LX[°]/VI°] Die Ablativendungen über den jeweiligen Zahlzeichen außerhalb der Rahmenleiste. Über LX durch die abgesprungene obere rechte Ecke verloren.
  2. So für CRASTINO.
  3. So wohl für FRATER.
  4. Der Worttrenner sitzt auf der senkrecht verlaufenden Rahmenlinie.
  5. DE EMPSINGEN] In scriptura continua. Gemeint ist vermutlich Empfingen (Lkr. Freudenstadt).
  6. So für IN ÖTIGHEIM. Vgl. die zumindest teilweise übereinstimmenden Belege des Ortsnamen in Topogr. Wb., Bd. 2, Sp. 447f.
  7. So für BALNEI. Vor dem Wort eine tiefe Beschädigung der Plattenoberfläche.
  8. So für DOM/INO.
  9. DECIMO · NONO] So statt VNDEVICESIMO.
  10. REQVIE·RAT] So für REQVIESCAT.
  11. Hinter dem Wort der Kelch.
  12. Das O klein und hochgestellt.
  13. Drei Punkte im Dreieck angeordnet.
  14. Das Wort zentriert in Zeilenmitte.

Anmerkungen

  1. Vgl. GLA Karlsruhe Hfk–Hs nr. 509, Herr (wie unten), hier neben der Grabplatte des Moritz Heckner lokalisiert, vgl. nr. 388.
  2. Vgl. Kdm. Baden-Baden 216, 217 nr. 7; zu den Renovierungsmaßnahmen von 1865 s. a. RP Karlsruhe (Denkmalpflege) I/281, Spitalkirche, passim.
  3. Vgl. Stadtkreis Baden-Baden 139.
  4. Vgl. nr. 35; s. a. Einl. Kap. 5.1, LXXVII.
  5. Vgl. Adolf Kühn, Volksschauspielgemeinde Ötigheim. Geschichte eines badischen Hardtdorfes, Karlsruhe 1937, 101 (hier die Liste der für Ötigheim namentlich überlieferten Pfarrer im 17. Jh.). Allg. zur Rekatholisierung der Markgrafschaft Baden-Baden unter Wilhelm I. von Baden-Baden vgl. Köhler, Obrigkeitliche Konfessionsänderung 25–35.
  6. Vgl. zu Willem Panneels Dictionnaire des peintres belges, vol. 2, 789; J. de Maere / M. Wabbes, Illustrated dictionary of 17th century Flemish painters, ed. Jennifer A. Martin, vol.: Text, Brussels 1994, 314; Rubens Cantoor. The drawings of Willem Panneels. A critical catalogue by Jan Garff and Eva de la Fuente Pedersen with an introduction by Jan Garff, Copenhagen 1988, vol. 1, 10–20, 193–197 (Lit.); Kircher, Zähringer Bildnissammlung 69f. nr. 297; ThB, Bd. 26, 198f.
  7. Vgl. nrr. 517520.
  8. Vgl. die Lebensdaten in Dictionnaire des peintres belges, vol. 2, 789: „vers 1600 – après 1640“. Das Formular aetatis suae kann die vollendeten Lebensjahre, aber auch die Lebenszeit mitsamt dem unvollendeten Sterbejahr angeben, vgl. zu diesem Problem DI 61 (Helmstedt) 35f.
  9. Vgl. Dictionnaire des peintres belges, vol. 2, 789.

Nachweise

  1. BLB Karlsruhe K 218, Herr, Materialien 427.
  2. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 509, Herr, Merkwürdigkeiten, fol. 54r.
  3. E. Looser, Briefe über Karlsruhe, Pforzheim, Baden-Baden und Mannheim, Karlsruhe 1833, 139 (nur C erw.).
  4. GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 123v.
  5. Kdm. Baden-Baden 217 nr. 7 (Abb. 164).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 37 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0003709.