Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 27 Karlsruhe, Badisches Landesmuseum 5. Jz. 14. Jh.

Beschreibung

Figuren eines Marienaltärchens.1 Noch 1881 als Eigentum des Klosters Lichtenthal auf der Kunstgewerbeausstellung in Karlsruhe der Öffentlichkeit präsentiert.2 Danach an die Sammlung Gimbel, Baden-Baden, veräußert.3 1892 von Friedrich I. von Baden für die Großherzoglichen Sammlungen erworben und 1919 vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe übernommen.4 Elfenbein, ehemals vergoldet und farbig gefaßt.

Die neun erhaltenen Figuren sind im Halbrelief geschnitzt und teilweise auf Sockel gestellt. Sie gehörten zu einem hölzernen Polyptychon, das vermutlich vier Flügel besaß und horizontal in zwei Register unterteilt war.5 Die dargestellten Szenen sind dem Marienleben und der Kindheit Christi entnommen. Nach den bisherigen Rekonstruktionsversuchen ist die Verkündigung im oberen Register des linken Flügels zu lokalisieren. Der auf einem besonders hohen Podest stehende Erzengel weist mit der Rechten gen Himmel und hält in der Linken ein senkrecht nach unten entrolltes Schriftband mit dem aufgemalten Beginn des Englischen Grußes in roten Buchstaben zwischen zwei grünen Zeilenlinien. Maria hebt die Rechte zu einem Ergebenheitsgestus und trägt in der Linken ein Buch. Rechts daneben folgt die Begegnung mit Elisabeth. Auf der anderen Seite des Schreines in demselben Register die Geburt Christi. Zu Füßen der im Bett aufrecht sitzenden und das Kind mit beiden Armen vor sich haltenden Gottesmutter steht Josef. Im linken Flügel unten die Anbetung durch die Hl. Drei Könige (nur noch zwei Könige erhalten). Gegenüber die Darbringung Christi im Tempel vor dem Priester Simeon. Der Schrein gänzlich verloren.6 Die Vergoldung bzw. farbliche Gestaltung nur noch in geringen Resten erhalten.

Maße: H. 9,5 B. 2,5, Bu. 0,4 cm.7

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Badisches Landesmuseum Karlsruhe [1/3]

  1. AVE ·8)

Übersetzung:

Gegrüßt seist du (…).

Kommentar

Die Buchstaben tragen waagerecht angesetzte und nur als Haarlinien ausgeführte Sporen. Die Schrägschäfte des trapezförmigen A sind nach unten, die des V nach oben keilförmig stark verbreitert. Das A besitzt einen gebrochenen Mittel- und einen beiderseits überstehenden Deckbalken, die beide nur sehr schmal gezeichnet sind. Das unziale E ist geschlossen und zeigt eine deutliche Bogenschwellung. Der dornartig sich verjüngende Balken durchkreuzt den Abschlußstrich. Als Worttrenner dienen drei übereinandergesetzte Punkte.

Stilistische Vergleiche mit ähnlichen Figuren auf einer Tafel in Luton Hoo (GB, Bedfordshire) oder von Di- bzw. Polyptychen im Londoner Victoria-and-Albert-Museum, im Vatikan und im New Yorker Metropolitan Museum rechtfertigen die Vermutung, daß das Altärchen in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts entstanden ist.9 Der Schriftbefund läßt sich mit dieser Zeitstellung gut vereinbaren.10

Anmerkungen

  1. Inv.-nr. C 6194.
  2. Vgl. Kat. d. Bad. Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung 71 nr. 647.
  3. Vgl. Grimm, Landesmuseum 98.
  4. Vgl. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Mittelalterliche Elfenbeinarbeiten (wie unten) 71.
  5. Vgl. zur Rekonstruktion des Altärchens wie auch zu den folgenden Angaben ebd. 71–79, insbes. 71, 73f.
  6. Möglicherweise gehört eine vor wenigen Jahren im Kunsthandel aufgetauchte Marienkrönung in den Schrein, vgl. ebd. 76.
  7. Die Maßangaben beziehen sich auf die Figur des Erzengels Gabriel.
  8. Lc 1,28.
  9. Vgl. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Mittelalterliche Elfenbeinarbeiten (wie unten) 76f., hier auch zu den Vergleichsstücken.
  10. Vgl. z. B. bezüglich der keilförmigen Verbreiterungen der Schrägschäfte sowie der schmaler ausgeführten Balken nr. 16.

Nachweise

  1. Kat. d. Bad. Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung 71 nr. 647 (erw.).
  2. Marc Rosenberg, Alte kunstgewerbliche Arbeiten auf der badischen Kunst- und Gewerbeausstellung in Karlsruhe, Frankfurt 1882, o. S. (Abb.).
  3. Raymond Koechlin, Les ivoires gothiques français, Paris 1924, tome 1, 159 Anm. 1 (erw.), tome 2, 119 nr. 270.
  4. Sauer, Kunst 372 (erw.).
  5. Schneider, Bildwerke 23 nr. 80, Taf. 36f. (Abb.).
  6. Kdm. Baden-Baden 499 (erw.).
  7. Ausst. Mittelalterliche Kunst 21 nr. 118 a–e (erw.).
  8. Rudolf Schnellbach, Unser Haus ist abgebrannt … Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Badisches Landesmuseum Karlsruhe), Karlsruhe ca. 1952, nr. 18 (Abb.).
  9. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Meisterwerke aus den Sammlungen des wiedereröffneten Museums, bearb. v. Friedrich Garscha (Badisches Landesmuseum Karlsruhe), Karlsruhe 1959, nr. 44 (Abb.).
  10. Badisches Landesmuseum. Bildkatalog. Eine Auswahl aus den Schausammlungen (Badisches Landesmuseum Karlsruhe), Karlsruhe 1968, nr. F 109.
  11. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 8: Plastik, fol. 4r (Abb.).
  12. Die Zisterzienser 554–556 nr. F 22 (Abb.).
  13. Grimm, Landesmuseum 98 (erw.).
  14. 750 Jahre Lichtenthal 264–266 nr. 99 (Abb. 99).
  15. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Mittelalterliche Elfenbeinarbeiten aus der Sammlung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, bearb. v. Klaus G. Beuckers u. a. (Bestandskataloge des Badischen Landesmuseums Karlsruhe), Karlsruhe 1999, 71–79 nr. 10 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 27 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0002703.