Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 23 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle 1341–1344
Beschreibung
Tischgrabmal für Markgräfin Irmengard von Baden, geb. Pfalzgräfin bei Rhein. Ursprünglich wohl zentral vor dem Hochaltar der Klosterkirche über der Grabstätte.1 Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts an der inneren Nordwand des Chores bezeugt.2 An dieser Stelle 1893 etwas weiter nach Osten versetzt, um dem Seitenaltar des hl. Johannes Evangelista mehr Raum zu geben.3 1947 in der Chormitte aufgestellt und gereinigt; zugleich die beiden fehlenden Füße in der Gestalt von Löwen auf der rechten Seite ergänzt.4 1968 im Zuge der Kirchenrenovierung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die Fürstenkapelle ausgelagert und dort im Südwestbereich des Langhauses aufgestellt.5 Sandstein. Im Binnenfeld der hochrechteckigen Platte, die auf vier Löwenskulpturen ruht, die fast vollplastisch ausgehauene Liegefigur der Verstorbenen. Sie wird von zwei Dreikantstäben flankiert, die oben durch einen krabbenbesetzten Eselsrückenbogen verbunden sind und in Fialtürmchen enden. Die Figur liegt auf einem von zwei Engeln aufgespannten Bahrtuch und umfaßt vor der Brust mit beiden Händen ein Kirchenmodell. Das Haupt ist in eine Hulle gehüllt und auf zwei übereinandergelegte Kissen gebettet. An den Füßen halten zwei Hunde einen senkrecht stehenden Wappenschild. Drei Viertel des Plattenrandes sind mit einer umlaufenden Rahmenleiste versehen, in der zwischen begleitenden Ritzlinien das eingemeißelte Totenlob (A) verläuft. Der Text ist von außen her zu lesen, beginnt zur Rechten der Figur und setzt sich gegen den Uhrzeigersinn bis in die gegenüberliegende obere Ecke fort. Die linke Bogenstütze trägt auf der nach außen weisenden Schräge die ebenfalls eingemeißelte Meistersignatur (B). Zahlreiche kleinere Beschädigungen an den Händen und Kleidern sowie am Plattenrand ausgebessert bzw. ergänzt.
Maße: H. 271,5, B. 136, Bu. 6 (A), 2,5 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A
+ ANNIS · IN VENTISa) · XLV · MILLE · DVCENTIS · ALMA · PALATINA · FVNDAVIT · LAVDE · / SVPINA · TVNC · JRMENGARDIS · HOC / · CLAVSTRV(M)b) · LVCIDA · VALLIS · LVCET · P(ER) MORESc) · VI(R)TUTESd) · RES · ET · HONORES ·
- B
+ DIS · WERC · MAHTE · MESTER · WLVELIN · VON · STRASBVRC ·
Übersetzung:
Als das Jahr Tausend zweihundert 45 erreicht worden war, da stiftete die wohltätige Pfalzgräfin Irmengard in stolzer Ruhmestat dieses Kloster Lichtenthal. Sie leuchtet durch Sitten, Tugenden, Werke und Ehren.
Versmaß: Vier Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A).6
Pfalz. |
Textkritischer Apparat
- IN VENTIS] Nach dem ersten N Ansätze eines irrtümlich gesetzten, aber nicht ausgehauenen Worttrenners.
- Kürzungsbalken oberhalb der Rahmenritzlinie.
- Das S klein über dem E und oberhalb der Rahmenritzlinie.
- Das I klein über dem V und oberhalb der Rahmenritzlinie. Das U spiegelverkehrt. Sonst kein Kürzungszeichen.
Anmerkungen
- Vgl. Stober, Baugeschichte 96; KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd.: Fürstenkapelle 5, Grabmäler, Fenster, Hamiltonkapelle, Empore, o. S.; Deodata, Frauenkloster Lichtental 27 Anm. 1; Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 263 Anm. 3; GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 5v.
- Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Kopialbuch, Bd. 1, 162: „(…) vnd erscheint der fundation Jahrzahl ahn einem erhabenen stain, darauff die Fraw fundatrix seelige außgehawen, vnnd in der großen Kirchen ahn der Wand beym heiligen Sacramentshäusel steht (…).“; GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 99r: „ad latus autem templi seu chori coenotaphium ei positum est“; s. a. KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik 93: „Auf einem neben stehenden Epitaphio hinder dem Joannis Evangelistae altar (…).“
- Vgl. KA Lichtenthal o. Sig, Krupp, Inventar, Bd.: Klosterkirche 1, Schiff, Schlußsteine, Südwest.-Chörle, o. S.; KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Baugeschichte 20. S. a. die Abb. in Gutgesell, Kloster Lichtenthal 20.
- Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar (wie unten); KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar (wie unten), fol. 60r; Bräutigam (wie unten) 121.
- Vgl. Stober, Denkmalpflege 150; Stober, Baugeschichte 117; KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar (wie unten); KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar (wie unten), fol. 60r.
- Unter Berücksichtigung der Dehnungen in arsi bei PALATINA und IRMENGARDIS. In den Versen 1, 2 und 4 weitere einsilbige Binnenreime.
- Vgl. Einl. Kap. 2.1, XXIIIf.; Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 26; RMB, Bd. 1, nr. 386.
- Vgl. nr. 4. Hier auch zu den Lebensdaten der Stifterin.
- Vgl. zu den Baumaßnahmen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts Coester, Klosterkirche 88–94; Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 68–70; KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Baugeschichte, fol. 4r–6r.
- Vgl. wie auch zu den folgenden Angaben Louis, Wölflin (wie unten) 13–26; Beaulieu/Beyer, Dictionnaire 136f. (Lit.).
- Vgl. Bauch, Grabbild 138 (Abb. 222).
Nachweise
- BLB Karlsruhe D 113, Junglerus, Vera et genuina origo, fol. 19v.
- BLB Karlsruhe D 162, Junglerus, Stemmatis (…) radix, fol. 24v.
- BLB Karlsruhe K 526, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 30r.
- BLB Karlsruhe D 162, Fehnle, Austriacorum (…) familia, fol. 253r.
- GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 99r.
- KA Lichtenthal o. Sig., Kopialbuch, Bd. 1, 162.
- KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik 93.
- Sachs, Hermann III., o. S.
- Schoepflinus, Historia, tom. 1, 320 Anm. q.
- Sachs, Einleitung, T. 1, 362.
- GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 10, Anlage F (Abb.).
- Hist.-stat.-topogr. Lexicon, Bd. 2, 213.
- GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 5v, 24v.
- E. Looser, Briefe über Karlsruhe, Pforzheim, Baden-Baden und Mannheim, Karlsruhe 1833, 161.
- Grieshaber, Grabmäler 167 (A), 171 (B), Taf. I (Abb.).
- Bader, Geschichte 120.
- Bildertafeln, Taf. I/IIIA.
- GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 145v.
- Brambach, Bildnisse 8 nr. 19 (erw.).
- KA Lichtenthal o. Sig., Neue Chronik 40.
- Gutgesell, Kloster Lichtenthal 20 (Abb.).
- Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 262.
- Bilderatlas, Taf. 11 (Fig. 5).
- RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 23, 0517–0519, 1245.
- Deodata, Frauenkloster Lichtental 27.
- Wolfgang Kleiminger, Die Plastik im Elsaß 1260–1360, Freiburg i. Br. 1939, 35 (nur B).
- Agnes Wolters, Irmengard von Baden, die Stifterin der Zisterzienserinnenabtei Lichtental, hineingestellt in die Welt-, Heimat- und Familiengeschichte ihrer Zeit, in: Die Ortenau 28 (1941) 103 (Abb.).
- Kdm. Baden-Baden 501f. nr. 1, 506–508 (Abb. 412–414).
- Günther Bräutigam, Die Darstellung des Verstorbenen in der figürlichen Grabplastik Frankens und Schwabens vom Ende des 13. Jahrhunderts bis um 1430, Diss. Erlangen 1953, 128 nr. 53.
- Victor Beyer, La sculpture strasbourgeoise au quatorzième siècle, Strasbourg 1955, 23 (Taf. X, d).
- Haebler, Geschichte, Bd. 1, 49 (nur A).
- KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 1: Klosterkirche mit Ausstattung, Hochaltar, fol. 74r–79r.
- Bauch, Grabbild 105 (nur B; Abb. 161).
- Schindele, Abtei Lichtenthal (1978) 402 (Abb.), 405 (nur B).
- Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 70 (nur B).
- Beaulieu/Beyer, Dictionnaire 136 (nur B).
- Schwarzmaier u. a., Geschichte 34 (Abb.).
- Zorn, Kloster Lichtenthal 12 (Abb.), 70 (Abb.).
- 750 Jahre Lichtenthal 194f. nr. 18 (nur A; Abb. 18).
- Schwarzmaier, Lichtenthal 28 (Abb. 3).
- KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd.: Fürstenkapelle 5, Grabmäler, Fenster, Hamiltonkapelle, Empore, o. S. (Abb.).
- Julien Louis, Wölflin de Rouffach. L’identité d’un artiste strasbougeois du XIVe siècle, in: Revue de l’art 149 (2005) 13–26, hier 13 (B), 19 (Abb. 10), 25 Anm. 37 (A).
- Kohnle, Geschichte 51 (Abb.; Detail).
- Strasbourg 1400. Un foyer d’art dans l’Europe gothique, ed. par Philippe Lorentz (Musees de la ville de Strasbourg), Strasbourg 2008, 14 (Abb. 1).
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 23 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0002305.
Kommentar
Die sehr sorgfältig geschlagenen Buchstaben zeigen deutliche Bogenschwellungen und Sporen, die teils einseitig zu Haarlinien ausgezogen sind. Die Spationierung ist regelmäßig. Für das geschlossene E, das G, H, das symmetrische M und das T wurden unziale bzw. runde Formen verwendet. Das A erscheint entweder annähernd pseudounzial oder trapezförmig, wobei der linke Schrägschaft stets geschwungen ist. Der Mittelbalken ist gebrochen oder gerade ausgeführt, bisweilen auch rechtsschräg gestellt. Der Balken des L erscheint geschwungen oder als hoch aufragender Balkensporn. Die stets geschwungene Cauda des R verschmilzt mit dem nach innen eingerollten Bogen des R, ohne den Schaft zu berühren. Abgesehen von S und dem offenen C münden sämtliche freien Enden von Bögen oder geschwungenen bzw. gekrümmten Schäften in kleine, eingerollte Zierhäkchen. Als Worttrenner dienen Kreise (A) bzw. Punkte (B) auf halber Zeilenhöhe.
Die Inschrift (A) erinnert rühmend daran, daß Pfalzgräfin Irmengard im Jahre 1245 nach Absprache mit ihrem damals bereits verstorbenen Gemahl, Markgraf Hermann V. von Baden, und unter Mitwirkung ihrer Söhne, der Markgrafen Hermann VI. und Rudolf I., das Kloster Lichtenthal gegründet hat.7 Als Stifterin erhielt sie nach ihrem Tod im Jahre 1260 ein ehrenvolles Begräbnis vor dem Hauptaltar der Klosterkirche.8 Das zusätzliche Tischgrabmal wurde indes erst über 80 Jahre später aufgestellt, nachdem der gotische Umbau des Gebäudes vollendet worden war.9 In der für diese Zeit ungewöhnlichen Meistersignatur (B) ist als Schöpfer des Kunstwerks Wölflin von Straßburg überliefert.10 Er leitete die Kirchenfabrik in Rufach (Elsaß, dép. Bas-Rhin) und wird erstmals 1341 im Bürgerbuch von Straßburg erwähnt. Hier erwarb er ein Haus, das seine Töchter im Jahre 1355 – vermutlich nach Wölflins Tod – wieder veräußerten. Nach den bisherigen Forschungen stellt das Tischgrabmal für Irmengard das früheste signierte Werk des Meisters dar. Es entstand offenbar zwischen 1341 und 1344, da er den Auftrag kaum vor seiner Übersiedlung nach Straßburg bzw. nach Beginn der Arbeit am Doppelgrabmal für die Brüder Philipp und Ulrich Grafen von Werdt (gest. 1332 / 1344)11 ausgeführt haben kann.