Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 11 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle 1316?, 1327
Beschreibung
Grabplatte für Graf Berthold von Straßberg und Markgräfin Gutha von Baden, geb. Gräfin von Straßberg. Etwa in der Mitte des Kapellenschiffes nahe der Nordwand im Boden.1 Rötlicher Sandstein. Im oberen Drittel des Binnenfeldes ein großer, erhaben ausgehauener Wappenschild. Links und rechts der Wappenspitze die auf dem Kopf stehende Numerierung No. // IV nach Franz Josef Herrs Zählung.2 Um den Schild ein etwa 1 cm breiter Absatz, der darauf schließen läßt, daß die umliegende Plattenoberfläche zu unbestimmter Zeit abgearbeitet wurde. Auf dem Plattenrand zwischen zwei geritzten Rahmenlinien der umlaufende Sterbevermerk (A), der partiell durch die als Standbeine fungierenden Löwenskulpturen des dicht daneben aufgestellten Tischgrabmals für Markgraf Rudolf VI. von Baden verdeckt ist.3 Innerhalb der rechten Rahmenleiste ein etwa 55 cm langes Spatium, in dem zwei tiefe Beschädigungen die Inschrift unterbrechen. In diesem Bereich noch schwach die Kerben zweier römischer Ziffern erkennbar, die im Anschluß wiederholt werden. Unter dem Schild in der Mitte der Platte fünf waagerecht eingeritzte Zeilen; darin der eingemeißelte Sterbevermerk (B).
Maße: H. 289, B. 141, Bu. 8 (A), 8,5 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A
+ ANNOa) D(OMI)NIb) MILLE/SIMOc) · CCC° · X°V°I°d) · IN VIGILIA · / S(AN)C(T)I · IOH(ANN)ISe) · B(A)PT(IST)E · / O(BIIT) ·f) BERTOLDVS COMESg) · DE STRAZBERG ·
- B
+ ANNO · D(OMI)NI · M°h) · / CCC° · X · X · VII · O(BIIT) · / GVTHA4) · MARCHI/ONISSA · VI · K(A)L(ENDAS)i) · A/PRILIS ·
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1316 verstarb am Vorabend (zum Fest) des heiligen Johannes des Täufers Graf Bertold von Straßberg. (A) – Im Jahr des Herrn 1327 verstarb am 6. Tag vor den Kalenden des April die Markgräfin Gutha. (B)
Datum: 23. Juni 1316 (A); 27. März 1327 (B).
Straßberg.5 |
Textkritischer Apparat
- Schaft und Bogen des ersten runden N unten anscheinend durch einen fremden Bogenabschnitt verbunden.
- Kürzungsbalken über dem N und oberhalb der Zeilenlinie. Rechts neben dem Bogen des D eine parallel verlaufende Haarlinie. Die Schäfte des kapitalen N zu einem Rechteck verbunden.
- MILLE/SIMO] M Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, Fehnle, Austriacorum (…) familia, Schoepflinus. Der Mittelschaft des symmetrischen unzialen und vollständig geschlossenen M mit einem Nodus versehen. Dem Schaft des ersten L entspringt rechts eine rechtsschräg verlaufende Haarlinie. Nach dem E ist die untere Rahmenritzlinie über die rechte Randleiste hinaus verlängert.
- Sämtliche Ablativendungen über den jeweiligen Zahlzeichen und oberhalb der Rahmenritzlinie. Das erste ° über dem zweiten C. Nach dem Worttrenner ein Spatium von etwa 55 cm. Darin noch die offenbar nicht ausreichend abgearbeiteten Zeichen XV erkennbar, die von einer älteren Beschriftung stammen könnten.
- IN VIGILIA · / S(AN)C(T)I · IOH(ANN)IS] Der Textabschnitt nach VIG abgesehen vom letzten Buchstaben S nach Kdm. ergänzt, da er derzeit unter dem Fuß des Tischgrabmals für Markgraf Rudolf VI. von Baden (nr. 40) verborgen ist.
- · / O(BIIT) ·] Nach Kdm. ergänzt, da derzeit unter dem Fuß des Tischgrabmals für Markgraf Rudolf VI. von Baden (nr. 40) verborgen.
- Der Balken des unzialen E doppelt gezogen. Das S überlagert ein älteres O und scheint deshalb vollständig geschlossen.
- Die Ablativendung über dem Zahlzeichen und oberhalb der Zeilenlinie.
- Kürzung durch leicht nach unten durchgebogenen Schrägstrich, der am Ansatzpunkt der Schrägbalken des K beginnt und den Schaft des L durchkreuzt.
Anmerkungen
- Vgl. zur genauen Lokalisierung GLA Karlsruhe G Lichtenthal nr. 2, Grundriß Fürstenkapelle nr. IV., abgedr. in Kdm. Baden-Baden 515 (Abb. 421).
- Zu F. J. Herrs Numerierung der Lichtenthaler Grabmäler 1803/04 vgl. GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 5.
- Vgl. nr. 40.
- Offenbar volksetymologische Namensvariante für Gertrud (vgl. Europ. Stammtafeln NF, Bd. 15, Taf. 7) bzw. Jutta (vgl. Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF, Bd. 1.2, Tf. 266). Zur tatsächlichen Etymologie vgl. Gottschald, Namenkunde 213 (Lemma: „GOD“).
- Ein fünfmal gesparrter Pfahl.
- Vgl. nrr. 8, 9, 10; s. a. Einl. Kap. 5.1, LXXV.
- Vgl. nrr. 18, 23, 24, 40.
- Vgl. nrr. 17, 19.
- Zu den Inschriften der von Franz Josef Herr beauftragten Steinmetzhütte Belzer in Weisenbach vgl. Einl. Kap. 6. nrr. *62, *65, *67–*70.
- Vgl. zu den Renovierungen unter den Äbtissinen Maria von Baden (1496–1519) und Agnes Polentar (1720–26) Stober, Denkmalpflege 120; KA Lichtenthal o. Sig., Hirsch, Aktenbemerkung, fol. 2r.
- Vgl. Europ. Stammtafeln NF, Bd. 15, Taf. 7 (hier als Todesdatum wohl irrtümlich der 27. April 1320 angegeben). Zu den Grafen von Straßberg allg. vgl. Friedrich Fessenbecker, Die Grafen von Straßberg und ihre Zeit: Burg- und Dienstmannengeschlecht von Straßberg (Das Markgräflerland 26/1), Schopfheim 1964, passim.
- Vgl. Europ. Stammtafeln NF, Bd. 15, Taf. 7; Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF, Bd. 1.2, Taf. 266.
- Vgl. Herr, Kloster Lichtenthal 20.
- Vgl. GLA Karlsruhe 64/47, Nekrolog Lichtenthal III, fol. 6v (Guta v. Straßberg), 12r (Eintrag für Berthold v. Straßberg hier durchgestrichen); GLA Karlsruhe 64/19, Nekrolog Lichtenthal I, fol. 115v (Bertold v. Straßberg); Necrologium 166 (Guta v. Straßberg), 168 (Eintrag für Bertold v. Straßberg hier fälschlich zum 25. Juni).
- Vgl. RMB, Bd. 1, nr. 825; Urkundenarchiv Lichtenthal (1856) 382–384. S. a. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 62.
Nachweise
- BLB Karlsruhe K 526, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 34r.
- BLB Karlsruhe D 162, Fehnle, Austriacorum (…) familia, fol. 272v.
- GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 118v.
- KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik 92.
- Schoepflinus, Historia, tom. 2, 32 Anm. h (A nach Fehnle), 33 Anm. m (B).
- Sachs, Einleitung, T. 2, 84 Anm. c (A), 85 (B).
- GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 25 nrr. IV, V.
- GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 14r.
- GLA Karlsruhe G Lichtenthal nr. 2, Grundriß Fürstenkapelle nrr. IV, V.
- Herr, Kloster Lichtenthal 46f.
- Bildertafeln, Taf. V, nrr. IV, V.
- Urkundenarchiv Lichtenthal (1856) 384 Anm. 1, 4.
- Gutgesell, Kloster Lichtenthal 69.
- RMB, Bd. 1, nrr. 743, 821.
- Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 314f.
- Deodata, Frauenkloster Lichtental 204.
- Kdm. Baden-Baden 509f. nrr. IV, V.
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 11 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0001105.
Kommentar
Die Buchstaben der Inschrift (A) weisen schmale, relativ flach eingemeißelte Kerben, deutliche Sporen und nur mäßig ausgeprägte Bogenschwellungen auf. Das vollständig geschlossene E, das links oder beidseitig geschlossene M, das N und das T wurden in ihrer unzialen bzw. runden Form ausgeführt. Das flachgedeckte A mit beiderseits überstehendem Deckbalken erscheint einmal mit gebrochenem Balken (STRAZBERG), zu Beginn der Inschrift (ANNO) auch mit geschwungenem linken Schrägschaft und doppeltem Balken. Die Bögen des B sowie Bogen und Cauda des R verschmelzen miteinander, berühren aber den Schaft nicht. Das C ist mit einem Abschlußstrich versehen. Der obere und der untere Bogenabschnitt des D in BERTOLDVS sind innen jeweils mit einem Halbnodus besetzt. Die Balken des mit einem linksschrägen Mittelbalken ausgestatteten Z sind geschwungen. Die der Datumsangabe nach jüngere und kräftiger eingemeißelte Inschrift (B) unterscheidet sich in ihrem Duktus deutlich von (A). Das A ist stets trapezförmig, das C offen, das N rund und das unziale M links geschlossen. Der Bogen und die geschwungene, etwas unter die Grundlinie gezogene Cauda des R treffen gemeinsam auf den Schaft. Das X besitzt einen geschwungenen Schrägrechtsschaft. Als Worttrenner dienen in beiden Inschriften Punkte auf halber Zeilenhöhe.
Einige Auffälligkeiten in der Ausführung der Grabplatte geben Anlaß, an der Originalität der Inschriften zu zweifeln. Die Buchstabenformen von Inschrift (B) sind nah verwandt mit jenen der Grabplatten für die Markgrafen Rudolf I., Hermann VII. und Rudolf II. von Baden.6 Innerhalb dieser Gruppe stellen merkwürdige Verschreibungen und Korrekturen die Ursprünglichkeit der Inschriften stark in Frage, wenngleich eine jüngere Herstellung bislang nicht nachweisbar ist. Die vorliegende Platte irritiert zusätzlich durch die Spuren der Abarbeitung, die Reste getilgter Buchstaben und die ungeschickte Ausführung von Inschrift (A). Sind doch die Schriften der übrigen Lichtenthaler Grabmäler aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Regel von deutlich höherer Qualität.7 Eine Ausnahme bilden allerdings die Grabplatten für die Markgrafen Rudolf III. und Rudolf Hesso von Baden, deren ähnlich ungelenk geschlagene Inschriften mit längeren Spatien ebenfalls Mißtrauen wecken.8 Feststeht, daß sich die im Zuge der Umgestaltung der Fürstenkapelle um 1829/32 neu geschlagenen Inschriften in Gotischer Majuskel in ihrem Formeninventar deutlich unterscheiden, so daß eine Anfertigung zu dieser Zeit wohl auszuschließen ist.9 Von den älteren Renovierungsmaßnahmen an der Fürstenkapelle zu Beginn des 18. und des 16. Jahrhunderts sind leider keine konkreten Nachrichten überliefert.10
Berthold war der Sohn des Grafen Berthold II. von Straßberg und Adelheids von Ochsenstein.11 Seine Schwester Gutha war zunächst Rudolf II. von Neuenburg zur Frau gegeben worden, ist aber bereits im März 1306 als Gemahlin Markgraf Rudolfs III. von Baden bezeugt.12 Beide Geschwister fanden ihre letzte Ruhe vor dem Altar der Zehntausend Märtyrer in der Lichtenthaler Fürstenkapelle, den sie aus eigenen Mitteln hatten errichten lassen.13 Ihre inschriftlich überlieferten Todesdaten entsprechen den Einträgen in den Lichtenthaler Nekrologien.14 Rudolf III. stiftete am 17. Juni 1327 auf Wunsch seiner verstorbenen Gattin für beide zwei Ewige Lichter.15