Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 5 Selbach (Stadt Gaggenau), kath. Pfarrkirche St. Nikolaus 2. H. 13. Jh.

Beschreibung

Glocke. Im Glockengeschoß des Turmes. Bronze. Kronenplatte und Haube leicht gewölbt. An der Schulter zwischen zwei Schnurstegen die umlaufende Glockenrede. Die unverzierte Flanke in der oberen Hälfte fast senkrecht abfallend, im unteren Bereich nur mäßig an Breite zunehmend. Am Wolm ein breiter Steg; die Schärfe stark bestoßen.1

Maße: H. 58, Dm. 72, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/3]

  1. +a) OXb) EGO SVM · VITE · VOCOc) · VOS · ORAREd) VENITEe)

Übersetzung:

Ich bin die Stimme des Lebens, ich rufe euch, kommt beten.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die kräftig hervortretenden Buchstaben wurden vor dem Guß offensichtlich in Wachs modelliert und auf die Falsche Glocke aufgepreßt.2 Sie zeigen keinerlei Schwellungen oder Verbreiterungen. Manche sind an den Seiten zur Imitation von Nodi mit kreisrunden Punkten besetzt. Deutliche Sporen lassen sich nur am I wahrnehmen. Das A hat einen Deck- und einen gebrochenen, bis zur Grundlinie gezogenen Mittelbalken. Das unziale E besitzt einen oben und unten überstehenden Abschlußstrich, das unziale M ist links geschlossen, sein rechter Bogen verkürzt. Das T ist im unteren Schaftbereich rund, das G eingerollt. Als Worttrenner dienen Punkte auf halber Zeilenhöhe.3

Es handelt sich hierbei um eine geläufige Variation zur Glockenrede Vox ego sum vitae voco vos ad sacra venite.4 Sie findet bzw. fand sich in dieser Form unter anderem auf Glocken zu Straßburg (Mittagsglocke im Münster)5, Nassau (Stadt Weikersheim, Main-Tauber-Kreis)6 oder Habenscheidt (wüst, Gde. Cramberg, Rhein-Lahn-Kreis)5. Für eine Datierung in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts sprechen der relativ geringe Anteil an unzialen Buchstabenformen, die noch fehlende Tendenz zur flächigen Ausgestaltung der Schrift sowie die per Hand modellierten Wachsbuchstaben.7

Textkritischer Apparat

  1. Die Balkenenden des griechischen Kreuzes gespalten und beiderseits hakenförmig umgebogen.
  2. So statt VOX. Der Linksschrägschaft des X leicht geschwungen.
  3. Zwischen O und C ein unverhältnismäßig breites Spatium; das C in den oberen Zeilenbereich verrutscht. Beide O mit jeweils zwei Nodi besetzt, das vordere links unten beschädigt.
  4. Die Cauda des ersten R stark stachelförmig, die des zweiten ebenso stark gewölbt. Das O mit zwei Nodi besetzt.
  5. Das N retrograd. Der Schaft des T verrutscht: Er setzt am linken oberen Ende des Balkens an und verläuft stark linksschräg zur Grundlinie. Der Mittelbalken des E mit drei Nodi, der Schrägschaft des N mit einem besetzt.

Anmerkungen

  1. S. a. die Beschreibung der Glocke im Dt. Glockenatlas (Baden) nr. 1753.
  2. Die Druckspuren sind anhand mancher etwas breiterer Schaftbereiche noch erkennbar.
  3. Vgl. zur Form der Worttrenner Otte, Glockenkunde 120, Taf. II, nr. 2.
  4. Vgl. Otte, Glockenkunde 126; s. a. Walter, Glockenkunde 284 Anm. 1.
  5. Vgl. Walter, Glockenkunde 284 Anm. 1.
  6. Vgl. DI 54 (Mergentheim) nr. 6. Fast identisch sind auch die Inschriften der Glocken in Oberschleichach (Gde. Oberaurach, Lkr. Haßberge), Unterhohenried (Stadt Haßfurt, Lkr. Haßberge), vgl. DI 17 (Haßberge) nrr. 3, 87, sowie Thalwinkel (Burgenlandkreis), vgl. Schilling, Glocken 142.
  7. Vgl. Dt. Glockenatlas (Baden) nr. 1753. Zur Schriftentwicklung allg. vgl. Einl. Kap. 5.1.

Nachweise

  1. EA Freiburg Na 35 VI 11, Glockenakten 1917/18, Aufnahmebögen, Schreiben des Erzbischöflichen Bauamtes Karlsruhe an Professor Joseph Sauer vom 6.7.1917, o. S. (nr. 1426); Schreiben des Großherzoglichen Bezirksamtes in Rastatt vom 20.7.1917 die Beschlagnahme von Bronzeglocken betr. (nr. 605).
  2. EA Freiburg Na 35 VI 18, Glockenakten 1917/18, Listen, o. S. (erw.).
  3. StdtA Gaggenau Chronik Se 65, Langenbach, Selbacher Ortschronik, Bd. 3, o. S.
  4. Kdm. Rastatt 345.
  5. Dt. Glockenatlas (Baden) nr. 1753.
  6. Fass, Glocken 147.

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 5 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0000507.