Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 2 Ebersteinburg (Stadt Baden-Baden), kath. Pfarrkirche St. Antonius Eremita 2. H. 12. Jh.?
Beschreibung
Vortragekreuz. Um 1900 auf einem Speicher in Ebersteinburg gefunden, später Teilstück der Sammlung Otto Lindes, heute Eigentum der Pfarrgemeinde.1 Im Chor der Kirche ausgestellt. Krückenkreuz aus Messing, gegossen und graviert. Zwischen den Kreuzbalken kleine, palmettenförmige Winkelstützen. Die Vorderseite ist von einem etwas vorkragenden kreuzschraffierten Rahmen umgeben, der wohl eine verlorene Schmelzarbeit hielt. In der Mitte des oberen Längsbalkenabschnitts zwischen zwei Doppellinien der rückläufig eingravierte Kreuztitulus (A), der auf einen nicht erhaltenen Korpus schließen läßt. Innerhalb der beiden Krückenenden des Querbalkens Pflanzenornamente; zur Kreuzmitte schließt sich jeweils ein Buchstabe an (B). Die Rückseite wird durch ein umlaufendes Kreuzschraffurband gerahmt. Im Zentrum und in den vier rechteckigen Krückenenden Rundmedaillons mit dem Lamm Gottes und den geflügelten Symbolwesen der Evangelisten; links der Stier, oben der nimbierte Adler, rechts der Löwe, das untere Teilstück verloren und notdürftig ersetzt. Die ihnen beigegebenen Banderolen ohne Inschriften. Die einzelnen Darstellungen sind durch ein breites, von kleinen Häkchen begleitetes Band verbunden, in dem vor kreuzschraffiertem Hintergrund eine intermittierende Ranke verläuft. Alle Verzierungen und Inschriften eingraviert. Mehrere Bohrungen und Beschädigungen.
Maße: H. 28,7, B. 26,5, Bu. 1,1 (A), 1,7–2,0 cm (B).
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
- A
· I · R N · I · a)2)
- B
A // Sb)
Textkritischer Apparat
- Lies rückläufig: · I · N R · I. Von den Buchstaben nur das N retrograd ausgeführt.
- Zwischen den Buchstaben war der verlorene Korpus des Gekreuzigten angebracht. Das S retrograd ausgeführt, die Identifizierung jedoch unsicher. In spitzer Ausführung ist dieses Zeichen auch auf Glocken zu beobachten, vgl. DI 64 (Querfurt) nrr. 4, 11. Vielleicht handelt es sich um eine Schreibvariante für die apokalyptischen Buchstaben AΩ (Apc 1,8; Apc 21,6 bzw. Apc 22,13), die sich vielfach in Verbindung mit dem Kreuz nachweisen lassen, vgl. RDK, Bd. 1, Sp. 3f.; DI 26 (Osnabrück) nr. 3 (Diözesanmuseum, Kapitelkreuz); DI 4 (Wimpfen) nr. 4 (Dominikanerkirche, Kreuzreliquiar); Rhein und Maas, Bd. 2, 184 (Abb. 4; Münster, St. Mauritz, Erphokreuz).
Anmerkungen
- Vgl. Kdm. Rastatt 78; Ebersteinburg 165, 174.
- Io 19,19.
- Vgl. Peter Bloch, Romanische Bronzekruzifixe (Denkmäler deutscher Kunst; Bronzegeräte des Mittelalters 5), Berlin 1992, nrr. III C 16 (Köln), VI B 5 (Frankfurt), VI E 5 (Paderborn), VII C 12 (Rietberg), IX B 1 (Utrecht), IX B 2 (Bensberg-Immekeppel), IX B 12 (Kopenhagen), IX B 13 (Kopenhagen), X B 3 (Trier).
- Vgl. ebd.; zur Magdeburger Herkunft vgl. Regine Marth, Untersuchungen zu romanischen Bronzekreuzen. Ikonographie – Funktion – Stil (Europäische Hochschulschriften XXVIII/87), Frankfurt 1988, 175–194.
- Vgl. Bloch (wie Anm. 3) 311 zu nr. IX B 13, 312 nr. IX B 2, hier unter Berufung auf Marth (wie Anm. 4) 188–190; B. Hüfler, Vierzehn romanische Kruzifixe, Berlin 1985 (unveröff. Ms.).
- Ein ähnlich merkwürdiger Kreuztitulus findet sich lediglich auf der in Magdeburg gefertigten Bronzetür zu Nowgorod, vgl. Marth (wie Anm. 4) 319 Anm. 1; Adolph Goldschmidt, Die Bronzetüren von Nowgorod und Gnesen (Die frühmittelalterlichen Bronzetüren II), Marburg 1932, Taf. II/55. Statt INRI ist hier RNI, vielleicht sogar auch IRNI ausgeführt, falls am Anfang ein Nexus litterarum vorliegen sollte.
Nachweise
- RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 5907, 5908.
- Kdm. Rastatt 79 (nur A; Abb. 39, 40).
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 2 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0000206.
Kommentar
Die Buchstaben wurden in Teilkontur wiedergegeben. Dabei beschränken sich die konturierten Bestandteile auf die keilförmigen Sporen und den beiderseits überstehenden Deckbalken des flachgedeckten A. Dessen Schrägschäfte sind nach innen eingebogen. Der etwas eingerollte Bogen des R setzt unterhalb des oberen Schaftendes an und verschmilzt mit der geradlinigen Cauda, ohne den Schaft zu berühren. Als Worttrenner dienen winzige Dreiecke.
Dieses Vortragekreuz gehört zu einer Gruppe äußerst ähnlich gestalteter Bronzekreuze, die überwiegend in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert entstanden.3 Sie werden teilweise den Rheinlanden bzw. dem Rhein-Maas-Gebiet, teilweise auch einer Magdeburger Gießhütte zugewiesen.4 Alle diese Kreuze weisen die typischen palmettenförmigen Winkelstützen, dasselbe ikonographische Programm und sehr ähnliche Verzierungen auf. Die Kreuze aus Bensberg-Immekeppel (Gde. Overath, Rheinisch-Bergischer Kreis) und Rietberg (Lkr. Gütersloh) tragen überdies einen ebenfalls nur an den Sporen konturierten bzw. hier breiter eingravierten Kreuztitulus, so daß vermutlich ein Werkstattzusammenhang vorliegt. Allerdings gibt gerade das Bensberger Kreuz aufgrund eines mitggegossenen Schraubgewindes Anlaß, an der Echtheit einiger dieser Kreuze zu zweifeln und sie als Arbeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufzufassen.5 Dies ist somit auch für das Ebersteiner Exemplar nicht auszuschließen, zumal sich seine Herkunft nur bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt. Hinzu kommt, daß sich für den rückläufig angebrachten Kreuztitulus – abgesehen von Glocken – und für die Form des Omega (?) in Inschrift (B) keine überzeugenden Parallelen finden lassen.6