Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 495 Baden-Baden-Lichtenthal, Kloster Lichtenthal, Museum 1597–1625

Beschreibung

Äbtissinnenstab. Silber, getrieben, gegossen, graviert, gepunzt, teilvergoldet und mit Edelsteinen besetzt. Von der Abtei zwischen 1728 und 1731 an das Haus Baden verkauft und im Jahre 1775 durch einen Vergleich mit Markgraf Karl Friedrich von Baden zurückerworben.1 Der Stab ist durch drei Knäufe in vier Abschnitte untergliedert, von denen die unteren beiden rund, die oberen sechskantig sind. Die Oberfläche verzieren gravierte Friese, Akanthusblätter, Schuppenreihen und Rosetten. Der kurze obere Abschnitt mündet in einen vierten, mit gefaßten Edelsteinen besetzten Knauf und ist mit den gravierten Figuren der zwölf Apostel versehen. Diese sind in hochrechteckige Felder gestellt und mit ihren Attributen ausgestattet. Ihre nimbierten Häupter werden von den entsprechenden Namensinitialen flankiert: In der oberen Reihe folgen gegen den Uhrzeigersinn (A–F), in der unteren (G–L). Über dem obersten und größten Knauf ein auf vier balusterartigen Säulen ruhender Tabernakel, in dessen vier rundbogigen Nischen die gegossenen Figuren der Muttergottes, des hl. Bernhard von Clairvaux, des hl. Benedikt und der hl. Margareta stehen. In den drei vollständigen Dreiecksgiebeln jeweils ein Engelskopf. In den querrechteckigen Feldern der Sockelzonen die Namen der dargestellten Heiligen (M–P), deren Buchstaben einzeln eingepunzt sind. Den Namen der Gottesmutter (M) flankieren das Schwäbisch Gmünder Beschauzeichen2 und die Meistermarke nr. 76 im Schild3. Auf den freien Flächen und an den Kanten mehrere Tremolierstiche. Das Giebelfeld über der hl. Margareta wurde im Zuge einer nachträglichen, offenbar von Margareta Stülzer (reg. 1597–1625) in Auftrag gegebenen Umarbeitung4 verkürzt, um die ehemals senkrecht aus der Ädikula herausragende Krümme, die damals durch ein konisches Ansatzstück verlängert wurde, schräg einsetzen zu können. Dabei ist die mit Krabben, gefaßten Edelsteinen und Perlschnüren verzierte Curva, die gänzlich von scheinbar aufgelegten Blättern umhüllt ist, etwas zusammengedrückt worden. Am unteren Ansatz ein mit einer modernen Schraube grob applizierter Wappenschild. Die Krümme umschließt im Zentrum eine plastische Kreuzigungsgruppe, die im Zuge der Umarbeitung neu justiert wurde.5 Damals hat man offenbar auch das seitlich stark eingebuchtete Schild am oberen Stammende des Kleeblattkreuzes mit dem gravierten Kreuztitulus (Q) angebracht, der von doppelten Ritzlinien umrahmt ist. Unter den Füßen des Gekreuzigten nochmals das Beschau- und das Meisterzeichen. Während der Korpus Christi auf beiden Seiten des Kreuzes ausgeführt ist, stellen die Assistenzfiguren je nach Schauseite vorn Maria und hinten Johannes dar. Von den Edelsteinen sind nur die kleineren in den rautenförmigen Fassungen noch ursprünglich.6

Maße: H. 198, B. 21, Bu. 0,3 (A–L), 0,2 (M–P), 0,5 (Q).

Schriftart(en): Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/10]

  1. A

    S(ANCTVS) // P(ETRVS)

  2. B

    S(ANCTVS) // A(NDREAS)

  3. C

    S(ANCTVS) // I(ACOBVS)7)

  4. D

    S(ANCTVS) // I(OHANNES)

  5. E

    S(ANCTVS) // T(HOMAS)

  6. F

    S(ANCTVS) // I(ACOBVS)8)

  7. G

    S(ANCTVS) // P(HILIPPVS)

  8. H

    S(ANCTVS) // B(ARTHOLOMAEVS)

  9. I

    S(ANCTVS) // M(ATTHEVS)

  10. J

    S(ANCTVS) // S(IMON)

  11. K

    S(ANCTVS) // M(ATTHIAS)

  12. L

    S(ANCTVS) // I(VDAS)9)

  13. M

    S(ANCTA) MARIAa)

  14. N

    S(ANCTVS) BENEDIC:/TVSb)

  15. O

    S(ANCTA) MARGRETA

  16. P

    S(ANCTVS) BERNHA:/RDVSc)

  17. Q

    · I · N · R · I ·10)

Wappen:
Äbtissin Margareta Stülzer.11

Kommentar

Die gravierten Buchstaben der Namensinitialen (A–L) und des Kreuztitulus (Q) tragen in der Regel rechtwinklig angesetzte Sporen. Manche ihrer Bestandteile sind doppelt gezogen und die dabei umrissenen Binnenflächen waagerecht schraffiert. Der Mittelteil des konischen M bleibt auf die obere Zeilenhälfte begrenzt. Als Worttrenner dienen einfache Punkte auf halber Zeilenhöhe. Die Buchstaben der Bildtituli (M–P) wurden nur nachlässig eingepunzt: Selten stehen sie exakt auf der Grundlinie, ihre Abstände sind erheblichen Schwankungen unterworfen, und häufig neigen sich ihre Achsen nach vorn oder hinten.

Der Krummstab soll in seinen Grundbestandteilen auf eine Stiftung des Markgrafen Jakob von Baden zurückgehen, der ihn als Erzbischof von Trier für seine jüngere Schwester Maria, die damalige Äbtissin des Klosters Lichtenthal, hätte anfertigen lassen.12 Dieser Vermutung steht bislang nichts entgegen, obwohl es immerhin erstaunlich ist, daß die spätere Umarbeitung der Krümme unter Margareta Stülzer heraldisch dokumentiert wurde, ohne zugleich auf die ursprünglichen Stifter aus dem markgräflich badischen Hause Bezug zu nehmen. Zumindest verweist das zweite, nicht identifizierte Feld im Wappenschild weder auf den Erzbischof noch auf dessen Schwester.13 Überdies bezeugt Franz Josef Herr, daß der von Erzbischof Jakob von Trier gestiftete Äbtissinnenstab im Jahre 1796 im Kloster Wald (Lkr. Sigmaringen), wohin man zahlreiche wertvolle Geräte aus Lichtenthal vor den Koalitionskriegen in Sicherheit gebracht hatte, gestohlen worden sei.14 Möglicherweise sind hier Informationen zu zwei verschiedenen Objekten miteinander vermengt worden. Mit Sicherheit läßt sich somit lediglich sagen, daß die Umarbeitung an diesem Stab, der in seiner jetzigen Form nicht original sein kann, in der Amtszeit Margareta Stülzers zwischen 1597 und 1625 geschehen sein muß.15 Nach Rosenberg könne sich das Meisterzeichen sowohl auf den Goldschmied Markus Rauscher (erw. 1591) als auch auf dessen Sohn Johann Chrisostomus Rauscher (1595–1655) beziehen.16 Das Kunstdenkmälerinventar der Stadt Schwäbisch Gmünd zieht außerdem Michel Rauscher in Betracht.17 Daneben ist noch auf andere Angehörige der Familie Rauscher zu verweisen, die zur gleichen Zeit auch als Goldschmiede tätig waren.18 Wenn die Meistermarken unter diesen Umständen ihren Sinn erfüllen und eindeutig den Urheber identifizieren sollten, so mußten sie selbst unterscheidbar sein. Hier liegt eine Ligatur der Buchstaben M und R vor, so daß sinnvollerweise nur Markus, Matthäus, Michel und Matthias in Frage kommen. Ausschließen läßt sich derzeit lediglich Michel, weil dessen Zeichen auf dem von ihm geschaffenen Versehziborium des Münsterschatzes überliefert ist und nach den entsprechenden Beschreibungen nur aus einem R besteht, dessen Schaft in einen Pfeil übergeht.19 Unter den übrigen drei läßt sich der tatsächliche Urheber bislang nicht näher eingrenzen. Von ihm stammen vermutlich sämtliche Inschriften, denn Beschauzeichen und Meistermarke finden sich sowohl neben der eingepunzten Inschrift (M) als auch auf dem Kruzifix mit dem eingravierten Kreuztitulus (Q), der wiederum in seinen Buchstabenformen mit den Inschriften (A–L) durchaus vergleichbar ist. Folglich wäre davon auszugehen, daß die gravierten Heiligenfiguren und ihre Namensinitialen auch erst im Zuge der Umarbeitung entstanden. Ein nachträgliches Einfügen der Namensinitialen scheint indessen unwahrscheinlich.

Textkritischer Apparat

  1. S(ANCTA) MARIA] Flankiert von Beschauzeichen (links) und Meistermarke (rechts).
  2. Das N zweimal etwas verschoben übereinander gepunzt.
  3. Der Bogen des D durch das folgende V verdrückt.

Anmerkungen

  1. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten), fol. 8r, hier unter Berufung auf KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik.
  2. Vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 2, 110 nr. 2177 (springendes Einhorn im Schild).
  3. Meisterzeichen Markus, Matthäus oder Matthias Rauschers, vgl. Kommentar und Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 2, 111 nr. 2192 (hier auf Markus oder Johann Chrisostomus Rauscher bezogen).
  4. Vgl. 750 Jahre Lichtenthal (wie unten).
  5. Vgl. ebd. Dabei wurde das Podest der einen Figur entfernt, vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten), fol. 4r.
  6. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten), fol. 8r, hier unter Berufung auf ein von Altgraf Salm angefertigtes Gutachten von 1941.
  7. Apostel Jacobus d. Ä., da die Figur mit einem Pilgerstab ausgestattet ist, vgl. zur Ikonographie LCI, Bd. 7, Sp. 23–39.
  8. Apostel Jacobus d. J., da die Figur eine Walkerstange in der Hand hält, vgl. zur Ikonographie LCI, Bd. 7, Sp. 47–51.
  9. Apostel Judas Thaddäus, da die Figur eine Keule trägt, vgl. zur Ikonographie LCI, Bd. 8, Sp. 423–427.
  10. Io 19,19.
  11. Geviert: 1. Zisterzienserorden (geschachter Schrägbalken), 2. unbekannt (geteilt: oben zwei einander zugewendete Löwen, unten vier Schräglinksbalken; vielleicht Savelli?), 3. Kloster Lichtenthal (Doppelhaken, hier im Schildbord), 4. Stülzer (halbgespalten und geteilt: 1. Hammer, 2. Hammer, 3. gesparrt).
  12. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984), 165 mit Anm. 867.
  13. Zu Erzbischof Jakob von Trier vgl. Bischöfe (1996) 335f., zu seinem Wappen siehe Rheinische Siegel, bearb. v. Wilhelm Ewald, Bd. 2: Die Siegel der Erzbischöfe von Trier (956–1795) (Publikationen d. Gesellschaft f. Rheinische Geschichtskunde XXVII/2), Bonn 1910, 17f., 45 Taf. 13 nrr. 1, 3, 7f. Zu Äbtissin Maria von Baden vgl. nr. 201, zu ihrem Wappen vgl. die von B. Schmid um 1773/75 angefertigte Zeichnung eines Altars mit den Wappenschilden aller Lichtenthaler Äbtissinnen, abgedr. in Kdm. Baden-Baden 407 (Abb. 313); 750 Jahre Lichtenthal 197 nr. 20 (Abb.).
  14. Vgl. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 7v; Gutgesell, Frauenkloster Lichtenthal 25f.
  15. Vgl. zu Äbtissin Margareta Stülzer nr. 491.
  16. Vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 2, 111 nr. 2192; 750 Jahre Lichtenthal (wie unten).
  17. Vgl. Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwäbisch Gmünd, [bearb. v.] Richard Strobel, Bd. 1: Stadtbaugeschichte, Stadtbefestigung, Heiligkreuzmünster, mit Beiträgen von Klaus Jürgen Herrmann, Ulrich Müller, Andreas Thiel, Stefan Timpe u. Peter Wagenplast (Die Kunstdenkmäler in Baden-Württemberg, Stadt Schwäbisch Gmünd), München 2003, 80.
  18. Vgl. Hermann Kissling, Künstler und Handwerker in Schwäbisch Gmünd 1300–1650, Schwäbisch Gmünd 1995, 172f. Allg. zum Goldschmiedehandwerk in Schwäbisch Gmünd vgl. Walter Klein, Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes, Stuttgart 1920, 23 (Michael Rauscher erwähnt); ders., Sechshundert Jahre Gmünder Goldschmiedekunst (Die Goldschmiedekunst der deutschen Städte), Stuttgart 1947, 81, 181 (Johann Chrisostomus Rauscher erw.); Klaus Graf, Gmünder Goldschmiedstradition, in: Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 1984, 156–171.
  19. Vgl. Kissling (wie Anm. 18) 173; Rudolf Weser, Der Kirchen-Schatz von Gmünd, Schwäbisch Gmünd 1909, 15 nr. 91.

Nachweise

  1. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 0461–0465, 0914–0917, 7990.
  2. Kdm. Baden-Baden 484f. nr. 1 (Abb. 389f.), 486 (Abb. 391).
  3. Barocke Goldschmiedekunst 21 nr. 30.
  4. 750 Jahre Lichtenthal 316f. nr. 168 (Abb. 168).
  5. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 9: Silber-, Gold-, Metallarbeiten, fol. 4r–8r (Abb.).
  6. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd. 2: Museum: Fürstengang 2, Stammbaum bis Fenster, o. S. (erw.).
  7. Abtei Lichtenthal 2 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 495 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0049509.