Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 484 Baden-Baden, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau (ehem. Stiftskirche) 1604–1622
Beschreibung
Wandgrabmal für Markgraf Philipp II. von Baden-Baden. Architektonisch gegliederte Ädikula innen an der Südostwand des Chorschlusses. Sandstein, grau gefaßt. Vor einer Rundbogennische und zwischen zwei teilweise kannelierten Säulen mit Kompositkapitellen die plastische Figur des Verstorbenen im Harnisch. Als Kontrapost gestellt, hat er die Linke in die Hüfte gestemmt und hält in der Rechten den Kommandostab. Um den Hals trägt er eine große Halskrause, um die Hüften das Schwert. Links neben seinem rechten Fuß der auf dem Boden abgelegte Helm. Über dem Gebälk mit karniesförmiger Profilierung ein schmalerer Aufsatz, flankiert von zwei weiblichen Tugendfiguren, deren Attribute verloren sind. Im von Pilastern gerahmten Binnenfeld ein Relief mit der Darstellung der Ausspeiung des Jonas.1 Als Bekrönung ein plastisch ausgearbeitetes Vollwappen in Frontalstellung mit sieben Helmen. In der Sockelzone des Epitaphs zwischen zwei volutenförmigen Konsolen eine querrechteckige, gerahmte Tafel, umgeben von Rollwerk, Fruchtgehängen und Akanthusblättern. Den unteren Abschluß bildet ein Puttoköpfchen. Im schwarz getünchten Binnenfeld das eingemeißelte Totenlob mit Sterbevermerk; die Buchstaben sind golden nachgezogen.
Maße: H. ca. 550, B. ca. 200, Bu. 2–2,5 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) S(ACRVM)a) / ILLVSTRISSIMVSb) PRINCEPSb) AC D(OMI)N(VS) D(OMI)N(VS) PHILIPPVSb) / MARCHIO BAD(ENSIS) COMES SPANHEIMENSIS etc(etera) SIN/GVLARI HEROICARVM VIRTVTVM SPLENDORE / EXORNATVS, ET QVOD ABSQVE ADVLANDI STVDIO SINCE=/RE DIXERIM, IN ARTIBVS PRINCIPE DIGNIS, ITA EXCELLENSc) / ATQVE EXIMIVS, VT PAREM SVO TEMPORE VIX HABE=/RET: IN IPSO AETATIS VIRILIS FLORE MISERIIS VITAE HV=/MANAE EXVTVS, ET PATRIAM COELESTEM REPETENSb), CVM / VNO PER VNVM NVNC IN VITA BEATA QVIESCIT. VITAE CVRRI=/CVLVM EXPLEVIT A(NNO)b) AET(ATIS) CIRCITER XXX. A(NNO) C(HRISTI) MDLXXXVIIId) DIE VIIe) IVNII. / H. F. I. F.f)
Übersetzung:
Dem besten, höchsten Gott geweiht. Der durchleuchtigste Fürst und Herr, Herr Philipp Markgraf von Baden, Graf von Sponheim etc., ausgezeichnet durch den einzigartigen Glanz heldenhafter Tugenden und – was ich ernsthaft und ohne die Absicht zu schmeicheln sagen möchte – in den eines Fürsten würdigen Künsten so glänzend und herausragend, daß er zu seiner Zeit kaum einen Ebenbürtigen hatte, wurde mitten in der Blüte seines Mannesalters vom Elend des menschlichen Lebens entbunden und ruht nun, indem er das himmlische Vaterland wieder aufsucht, mit dem Einen (und) durch den Einen in seligem Leben. Den Lebenslauf beendete er etwa im 30. Jahr seines Alters, im Jahre Christi 1588 am 7. Tag des Juni. Dies lag im Geschick (?).
Baden-Baden.2 |
Textkritischer Apparat
- D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) S(ACRVM)] In der Mitte der Zeile.
- Der erste Buchstabe etwa um 0,5 cm größer.
- Der untere Balken des letzten E nicht golden nachgezogen.
- Bis auf MD von einem waagerechten Balken überstrichen.
- Über den Zahlbuchstaben ein waagerechter Balken.
- H. F. I. F.] In der Mitte der Zeile. In Becke-Klüchtzner, Kath. Stiftskirche, Löser, Stoesser aufgelöst in: H(OC) F(VIT) I(N) F(ATIS). Lies vielleicht auch: H(ANS) F(RIEDRICH) I(VENGLER) F(ECIT), vgl. Kommentar.
Anmerkungen
- Als Vorlage diente offenbar der Holzschnitt Jost Ammans in der 1564/65 in Frankfurt erschienenen Ausgabe der Luther-Bibel, der hier jedoch nicht detailgetreu übernommen wurde, vgl. die Abb. in Anneliese Seeliger-Zeiss, Leonberger Grabmäler des Bildhauers Jeremias Schwartz und seiner Nachfolger, in: Volker Trugenberger / Anneliese Seeliger-Zeiss, „ein seliges end und fröhliche ufferstehung“. Die Leonberger Grabmäler des Bildhauers Jeremias Schwartz in ihrer sozial- und kunstgeschichtlichen Bedeutung, mit einer Studie v. Eberhard Walz zur frühen Baugeschichte der Stadtkirche, Leonberg 1998, 97–150, hier 139.
- Geviert und mit Mittelschild (Baden) belegt: 1. Vordere Grafschaft Sponheim, 2. geviert: 1/4. Alt-Eberstein, 2/3. Neu-Eberstein, 3. gespalten: vorn Lahr, hinten Mahlberg, 4. Hintere Grafschaft Sponheim. Helmzierden: auf dem Schild in der Mitte Baden, rechts Vordere Grafschaft Sponheim, Baden, links Hintere Grafschaft Sponheim; heraldisch rechts neben dem Schild Lahr und Mahlberg, links die beiden Helme des Wappens von Eberstein.
- Vgl. Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF, Bd. 1.2, Taf. 268. Zur Biographie und Politik Philipps II. von Baden-Baden vgl. Kohnle, Markgrafschaften 121; Schwarzmaier, Baden 221f.; Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 155–198; Reinking, Vormundschaften 126–173; ADB, Bd. 25, 759–761; Löser, Geschichte 195–206; Karl H. Roth von Schreckenstein, Landesherrliche Verfügungen des Markgrafen Philipp II. von Baden-Baden aus den Jahren 1581–1588, in: ZGO 24 (1872) 399-420; 30 (1878) 129–165; Weech, Badische Geschichte 150–156; Preuschen, Badische Geschichte 730–732; Viton de Saint-Allais, Histoire 234–236; Sachs, Einleitung, T. 3, 249–264; Schoepflinus, Historia, tom. 3, 53–62.
- Vgl. zur Erlangung der Vormundschaft insbes. Reinking, Vormundschaften 126–168, Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 155f.
- Vgl. Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 156. S. a. Luzian Pfleger, Aus der Studienzeit des Markgrafen Philipp II. von Baden (1572–77), in: ZGO 57 NF 18 (1903) 696–704. Zu Martin Eisengrein vgl. ders., Martin Eisengrein (1535–1578): Ein Lebensbild aus der Zeit der katholischen Restauration in Bayern (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 6, H. 2–3), Freiburg i. Br. 1908.
- Vgl. Reinking, Vormundschaften 138.
- Vgl. Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 155–197; Reinking, Vormundschaften 169f.
- Vgl. zu diesem Konsistorium Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 190–194; Der Geistliche Rat 5*–14*.
- Vgl. ADB, Bd. 25, 760f.; Sachs, Einleitung, T. 3, 258f. Im Einzelnen siehe Schreckenstein (wie Anm. 3) passim.
- Vgl. zum Schloßneubau nrr. 341, 352, 357, 358, 360 sowie Kdm. Baden-Baden 239–244; zu den Wandmalereien siehe nr. 371.
- Vgl. wie auch zu den folgenden Angaben und zu den Todesumständen Bartmann, Kirchenpolitik (1535–1622) 198; zum Todesort (Rastatt) vgl. BLB Karlsruhe D 113, Junglerus (wie unten).
- Vgl. GLA Karlsruhe 64/47, Nekrolog Lichtenthal III, fol. 11r; Necrologium 167; Stoesser, Grabstätten 105 Anm. 85. Franz Joseph Herr vermutet das Grab unter Platte nr. 4 (ausgewiesen für Philipp I. von Baden und Wilhelm Georg von Baden-Baden) oder nr. 16 (ausgewiesen für Bernhard III. von Baden-Baden), vgl. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr (wie unten), fol. 27r. Siehe dazu GLA Karlsruhe G Baden-Baden nr. 108, Grundriß Stiftskirche (1801), abgedr. in Kdm. Baden-Baden 136 (Abb. 107).
- Zur Oberbadischen Okkupation vgl. Einl. Kap. 2, XVIIIf.
- Vgl. BLB Karlsruhe D 113, Junglerus (wie unten): „Sepultus Badenae, cui [Philippo] ex mandato Domini Georgij Friderici Marchionis itidem Badensis etc. sequens epitaphium scripsi.“ S. a. BLB Karlsruhe D 162, Junglerus (wie unten); GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr (wie unten), fol. 27r.
- Vgl. DI 57 (Pforzheim) nr. 220; zu den in Grabschriften frühneuzeitlicher Landesherren bevorzugt genannten Tugenden vgl. Bartusch, Konventionen 330–334.
- Vgl. Stoesser, Grabstätten 105f. Anm. 85.
Nachweise
- BLB Karlsruhe D 113, Junglerus, Vera et genuina origo, fol. 33r.
- BLB Karlsruhe D 162, Junglerus, Stemmatis (…) radix, fol. 43v.
- Sachs, Einleitung, T. 3, 259f.
- BLB Karlsruhe K 218, Herr, Materialien 329f.
- GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 509, Herr, Merkwürdigkeiten, fol. 14v–15r.
- GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Herr, Begräbnisse Stiftskirche, fol. 27r–v.
- Herr, Begräbnisse Pfarrkirche 10 (erw.).
- Andlaw, Collegiatstiftskirche 9 (erw.).
- Deutsche Renaissance, Bd. 2, Abt. 23, 4. H., o. S. (Anm. zu Bl. 40).
- Schmitt, Peter- u. Pauls-Basilika 328 (erw.).
- Kath. Stiftskirche 9f. nr. VIII.
- Becke-Klüchtzner, Grabstätten 118.
- Müller, Badische Fürsten-Bildnisse, o. S. nr. 10 (unvollst.).
- Loeser, Geschichte 204.
- Heffner, Führer 16 (unvollst.).
- Stoesser, Grabstätten 104.
- Lübke, Renaissance, Bd. 1, 290 (erw.).
- Kdm. Baden-Baden 127 nr. VIII.
- Weis, Stiftskirche 41f.
- 1000 Jahre Kirche 42 (erw.).
- Kohnle, Geschichte 99 (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 484 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0048408.
Kommentar
Die nach unten allmählich kleiner werdende Schrift weist mäßige Bogen- und Linksschrägenverstärkungen auf. Aufgrund der engen Spationierung erscheinen manche Wortfolgen in scriptura continua. Die vom Bogen getrennte Cauda des G verläuft im Viertelkreisbogen rechts neben dem unteren Bogenabschnitt und endet im Unterlängenbereich. Der Mittelteil des konischen oder geraden M reicht bis zur Grundlinie. Das O erscheint überwiegend kreisrund. Die außergewöhnlich lange Cauda des Q ist entweder geschwungen oder unter der Grundlinie in waagerechter Position leicht nach unten durchgebogen und mit einem rechtsschrägen Ansatzstrich versehen. Besonders auffällig ist die geschwungene, weit ausgestellte und manchmal bis unter den folgenden Buchstaben verlängerte Cauda des R. Die Abkürzungen sind in der Regel durch Punkte auf der Grundlinie gekennzeichnet.
Philipp II. kam am 19. Februar 1559 als Sohn Markgraf Philiberts von Baden-Baden und Mechthilds von Bayern zur Welt.3 Durch den frühen Tod seiner Eltern war er bereits mit 10 Jahren verwaist und wurde im Februar 1570 mit Genehmigung Kaiser Maximilians II. unter die Vormundschaft seiner Tante Maria Jakobäa von Bayern, ihres Sohnes Albrecht V. sowie des Grafen Karl II. von Hohenzollern gestellt.4 Seine Ausbildung erhielt er bei dem Jesuitenpater Martin Eisengrein in Ingolstadt,5 so daß er in seiner Jugend ausschließlich unter katholischem Einfluß stand. Dies sollte die konfessionelle Entwicklung der Markgrafschaft maßgeblich mitbestimmen. Um die angestrebte Rekatholisierung des Landes rechtlich abzusichern, hatte Bayern vom Kaiser erwirkt, daß Philipp bereits mit 12 Jahren für mündig erklärt wurde (1571).6 Im Jahre 1577 übernahm der junge Markgraf dann selbst die Regierungsgeschäfte und setzte sich mit großem Eifer für die Wiederherstellung des Alten Glaubens ein.7 Er berief ein Konsistorium, das die kirchlichen Verhältnisse streng kontrollierte,8 kümmerte sich um die Erarbeitung eines neuen Landrechts und erließ zahlreiche Verordnungen, unter anderem zur Einführung des Gregorianischen Kalenders.9 Im Bestreben, sein fürstliches Selbstverständnis durch eine an München orientierte Prachtentfaltung zur Geltung zu bringen, beauftragte er Caspar Weinhart mit dem großzügigen Umbau des Neuen Schlosses in der Stadt Baden und ließ den Palas von Tobias Stimmer mit umfangreichen Wandmalereien ausstatten.10 Die neue Residenz konnte er jedoch nur kurze Zeit nutzen, da er bereits am 7. bzw. 17. Juni 1588 (a. St. / n. St.) im Alter von knapp 30 Jahren starb.11 Die geplante Hochzeit mit Sibylla, der Tochter des Herzogs Wilhelm von Kleve, kam somit nicht mehr zustande.
Obwohl für Philipp II. von Baden-Baden keine Grabplatte vorhanden oder bezeugt ist, wird er den Angaben des Lichtenthaler Nekrologes entsprechend vor dem Hochaltar der Baden-Badener Stiftskirche bestattet worden sein.12 Das Wandgrabmal entstand indessen erst während der Oberbadischen Okkupation13 unter Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach. Dies geht aus einer Notiz des Hofrates Johann Friedrich Jüngler hervor, der die Inschrift in dessen Auftrag verfaßt hatte.14 Im Wortlaut ähnelt sie stark der Grabschrift für die Markgrafen Ernst Friedrich und Jakob III. von Baden-Durlach in Pforzheim, die Jüngler offenbar ebenfalls formulierte.15 Aufgrund des protestantischen Auftraggebers ist nachvollziehbar, warum der inschriftlich bezeugte Todestag noch nach dem Julianischen Kalender angegeben wurde.16