Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)
Nr. 402 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Museum / Klosterkirche 1596
Beschreibung
Doppelscheuer. Silber, getrieben, gegossen, graviert, teilvergoldet. Das Gefäß besteht aus zwei nahezu identischen Buckelpokalen, die an den Lippenrändern ineinanderzustecken sind. Beide Teile werden gegenwärtig getrennt aufbewahrt und zu unterschiedlichen Zwecken genutzt. Der untere Pokal ist im Klostermuseum ausgestellt. Er wurde im 19. Jahrhundert zu einem Leuchter umgearbeitet, wofür man den Schaft verlängerte und einen silbernen Untersatz anfertigte.1 Noch vor 1942 geschah dann die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes.2 Der obere Becher wird in der Sakristei verwahrt. Er ist als Wahlurne in Gebrauch und deshalb mit einem jüngeren Messingdeckel versehen. Die Füße sind in sieben Pässe untergliedert. Der Stehrand des unteren trägt die gepunzte Marke nr. 49.3 Im Inneren dieses Fußes wurde der hohle Schaft durch eine kreisrunde Plakette mit der eingravierten Stiftungsinschrift (A) verschlossen. Eine weitere Plakette befindet sich an gleicher Stelle im oberen Fuß. Diese zeigt ein graviertes Vollwappen, flankiert von je zwei Ziffern der Jahreszahl (B). Beide Füße sind über den senkrechten, stabwerkverblendeten Zargen jeweils mit sieben tropfenförmig ausgebildeten Buckeln versehen, zwischen denen plastische Ranken appliziert wurden. Über den nach unten sich konisch verjüngenden und mit Perlreihen besetzten Buckelnodi schließt sich filigran ausgearbeitetes Blattwerk an. In die Cuppae wurden jeweils vier horizontale, miteinander verzahnte und gegeneinander verzogene Buckelreihen getrieben. In den oberen Zwickeln sitzen plastische Distelblüten. Die etwa 2,5 cm hohen Lippenränder werden durch je einen tordierten Steg abgesetzt und sind mit graviertem Rankenwerk verziert, das Vögel, Eichhörnchen, Hirsche und Sphingen umschlingt.
Maße: H. 25, Dm. 13,5, Bu. 0,2, Zi. 0,1 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
ERN(ESTVS)a) FRID(ERICVS)a) D(EI)b) G(RATIA)b) / MARCH(IO)a) BAD(ENSIS) ET · / HOCHBERG(ENSIS) MONAS(TERII) CL=/ARAE VALLIS ADVOCA(TVS) ET / PATRO(NVS) HVIVS ABBATIS(SAE)4) ET / CONVENT(VI) POCVLOc) HOC / ARGEN(TEVM) IN MEMO(RIAM) BENI=/G(NO)d) ET GRATIO(SO) A(N)I(M)Oe) DO=/NAVIT · A(NN)Oe) · SAL(VTIS) / · MDXCVIf) :
- B
15 //g) 96
Übersetzung:
Ernst Friedrich, von Gottes Gnaden Markgraf von Baden und Hachberg, Vogt und Schutzherr des Klosters Lichtenthal, hat dessen Äbtissin und Konvent diesen silbernen Kelch zu (seinem) Angedenken gnädigen und wohlwollenden Herzens im Jahr des Heils 1596 geschenkt. (A)
Baden-Durlach.5 |
Textkritischer Apparat
- Versal um 0,05–0,1 cm größer ausgeführt.
- Abkürzung durch Punkt auf oder knapp über der Grundlinie.
- So statt POCVLVM.
- Auch die Auflösung BENI/G(NE) ist denkbar.
- Über sämtlichen Buchstaben ein waagerechter Kürzungsstrich mit Ausbuchtung nach oben.
- CICLCXCVI Kdm., 750 Jahre Lichtenthal. Die bisherige Fehllesung erklärbar durch die getrennte Ausführung der Schäfte und Bögen am unzialen M und am D. Der untere Sporn am Schaft des D weit nach links verlängert und deshalb einem spiegelverkehrtem L ähnlich.
- Unterbrechung der Jahreszahl durch den Wappenschild.
Anmerkungen
- Vgl. 750 Jahre Lichtenthal (wie unten). Siehe dazu die Skizze in GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone (wie unten); hier als Jahr der Umgestaltung „1802?“ angegeben. In KA Lichtenthal 38 Fach 23, Glyckher, Inventar, fol. 1v ist in einem jüngeren Nachtrag vermerkt: „sind jetzt Leuchter, die Untersätze und Aufsätze sind 1809 bei Vierordt zu Pforzheim gemacht.“
- Vgl. Kdm. (wie unten).
- In GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone (wie unten) und Kdm. (wie unten) wird diese Marke wohl unzutreffend mit dem Nürnberger Beschauzeichen identifiziert, vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 3, nr. 3758. Mone überliefert an gleicher Stelle die Skizze einer weiteren Marke – offenbar eine Figur, die mit dem rechten Arm ein Kreuz emporhebt –, identifiziert diese aber irrtümlich mit dem Meisterzeichen Sebald Eyslers d. Ä., vgl. Rosenberg, Merkzeichen, Bd 3, nr. 3830. Diese Marke ist heute an der Doppelscheuer nicht mehr wahrnehmbar.
- Äbtissin Barbara Veus, vgl. zu ihr nr. 404.
- Geviert und mit Mittelschild (Baden) belegt: 1. Hachberg, 2. Üsenberg, 3. Badenweiler, 4. Rötteln. Um den Schild sind die entsprechenden fünf Wappenhelme verteilt: Über dem Schild in der Mitte Baden, rechts daneben Hachberg, links Üsenberg; rechts neben dem Schild Badenweiler, links Rötteln. Vgl. 750 Jahre Lichtenthal 313 nr. 163 (Abb. 163) und Das Wappen des Grossherzoglichen Hauses Baden 33f.
- Vgl. zur sog. „Oberbadischen Okkupation“ Einl. Kap. 2, XVIIIf. Zur Biographie und Politik Markgraf Ernst Friedrichs von Baden-Durlach vgl. DI 57 (Pforzheim) nrr. 218–220; Volker Leppin, Der Kampf des Markgrafen Ernst Friedrich von Baden um sein Bekenntnis und der Widerstand aus Pforzheim, in: Reformierte Spuren in Baden, hg. v. Udo Wennemuth, Karlsruhe 2001, 52–67; Albrecht Ernst, Leben und Tod des Markgrafen Ernst Friedrich von Baden-Durlach (1560–1604) in zeitgenössischen Dokumenten, in: ebd. 68–86; Baumann, Ernst Friedrich von Baden-Durlach, passim; Weech, Badische Geschichte 269–292.
- Vgl. zum Kloster Lichtenthal während der „Oberbadischen Okkupation“ Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 110–128. S. a. nrr. 469, 471.
- Zur programmatischen Deutung des Prunkkelches s. a. Krimm, Markgrafen 83; zu den Geschenken der Markgrafen Philipp II. und Eduard Fortunat von Baden-Baden vgl. nrr. 367–369, 398.
- Die Schirmgerechtigkeit über das Kloster war bereits im Jahre 1348 vom Papst auf die Markgrafen von Baden übergegangen, vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 89. Seit 1509 sind die Markgrafen überdies als Kastenvögte der Abtei nachweisbar, vgl. Stadtkreis Baden-Baden 157.
- Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 111f.
- Vgl. Schindele, Kloster Lichtenthal 131; Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 111–117.
- Vgl. Kohlhaussen, Nürnberger Goldschmiedekunst 296.
- Vgl. Klaus Pechstein u. a., Schätze deutscher Goldschmiedekunst von 1500 bis 1920 aus dem Germanischen Nationalmuseum 166f. nr. 30 (Abb.), 173 nr. 41 (Abb.).
Nachweise
- KA Lichtenthal 38 Fach 23, Glyckher, Inventar, fol. 1v.
- GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 215r–v (erw.; Abb.).
- Kdm. Baden-Baden 487f., 491 (Abb. 396).
- KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 9: Silber-, Gold-, Metallarbeiten, fol. 9r (Abb.).
- Krimm, Markgrafen 83 (unvollst.).
- 750 Jahre Lichtenthal 312f. nr. 163 (Abb. 163).
- KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd.: Museum, Innerer Raum 8, Agley-Vitrine, o. S.
Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 402 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0040206.
Kommentar
Die Buchstaben sind annähernd quadratisch proportioniert, stehen eng beieinander und werden durch serifenähnliche Sporen begrenzt. Sie weisen mäßige Bogenverstärkungen bei linksschräg liegender Schattenachse und deutliche Linksschrägenverstärkungen auf. Der Mittelteil des geraden M endet im unteren Zeilendrittel. Das O ist kreisrund, die teils gewölbte, teils stachelförmige Cauda des R weit ausgestellt. Die Abkürzungen sind überwiegend durch nachgestellte Doppelpunkte gekennzeichnet. Als Worttrenner dienen Punkte innerhalb der unteren Zeilenhälfte.
Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach hatte im Jahre 1594 die Markgrafschaft Baden-Baden aufgrund der finanziellen Mißwirtschaft Markgraf Eduard Fortunats und unter Berufung auf den Teilungsvertrag von 1515 militärisch eingenommen und besetzt.6 Damit begann die sog. „Oberbadische Okkupation“, wodurch die Erfolge der von Markgraf Philipp II. mit Nachdruck betriebenen Rekatholisierung des Landes erneut in Frage gestellt wurden. Folglich sah sich auch die Abtei Lichtenthal in ihrem Bestand stark gefährdet.7 Daß diese Sorge nicht unbegründet war, geht indirekt auch aus dem Geschenk der Doppelscheuer hervor: Während die katholischen Markgrafen Philipp II. und Eduard Fortunat von Baden-Baden dem Kloster Stoffe und Stickereien für liturgische Gewänder verehrten, überbrachte Markgraf Ernst Friedrich einen zweifellos wertvollen, jedoch eindeutig weltlichen Prunkkelch.8 In der Stiftungsinschrift gab er dem Konvent überdies klar zu verstehen, daß er die angestammten Rechte des Landesherren als Vogt und Schutzherr des Klosters in vollem Umfang wahrzunehmen gedenke.9 Bereits ein Jahr später war von dem sonst einvernehmlichen und wohlwollenden Ton der Stiftungsinschrift nur noch wenig zu spüren, als der Landesherr in einem Brief an die neu gewählte Äbtissin Margareta Stülzer die unabhängige Regierungsweise ihrer Vorgängerin Barbara Veus tadelte.10 In den folgenden Jahren beanspruchten Ernst Friedrich und sein Nachfolger Georg Friedrich von Baden Durlach eine strenge Kontrolle der Wirtschaftsführung und erhebliche Mitspracherechte in geistlichen Belangen.11
Auf den ersten Blick scheint die inschriftliche Datierung mit dem stilistischen Befund des Kelches nicht vereinbar zu sein, denn die Blüte des Buckeldekors reicht in die Zeit zwischen 1480 und 1530 zurück.12 Allerdings existieren mehrere Gefäße dieser Gestalt, die nachweislich erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts angefertigt wurden und sehr ähnliche Rankenverzierungen und Perlreihen tragen.13 Somit scheint der Kelch für die Stiftung an die Abtei nicht wiederverwendet, sondern eigens dafür angefertigt worden zu sein.