Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 239 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Abteigebäude 1534

Beschreibung

Tafelbild mit mehreren Figuren in Anbetung der Muttergottes (Andachtsbild). Im Erdgeschoß des westlichen Gebäudeflügels rechts neben dem östlichen Ausgang an der Innenwand. Tempera auf Seide.1 Im Zentrum des hochrechteckigen Gemäldes inmitten einer weiten, bergigen Landschaft und vor einer Stadtsilhouette drei Säulen, auf denen je eine nimbierte Heiligenfigur steht:2 In der Mitte die bekrönte Muttergottes mit dem Jesusknaben, aus dessen Händen sich ein Schriftband mit dem Bibelzitat (A) nach unten entrollt. Über seinem Haupt erscheint in den Wolken die Halbfigur Gottvaters, der die Rechte segnend erhoben hat und in der Linken die Weltkugel hält. Auf der linken Säule der hl. Bernhard von Clairvaux im Ordenshabit. Er umfaßt mit seiner rechten Hand den Abtsstab und mit der linken ein Kirchenmodell. Auf der rechten Säule der hl. Malachias im Bischofsornat. Er stützt sich mit der Rechten auf ein Vortragekreuz und zeigt mit der anderen Hand dem Betrachter ein aufgeschlagenes Buch, dessen sichtbare Seiten mit angedeuteter Schrift gefüllt sind. Über den nimbierten Häuptern dieser beiden Heiligen zwei Schriftbänder mit den entsprechenden Namen (B) und (C). Den Kapitellen sämtlicher Säulen ist je ein Wappenschild eingefügt. Auf dem mittleren, balusterförmigen Schaft ein weiterer, mit einem Äbtissinnenstab hinterlegter Wappenschild, über dem die Jahreszahl (D) angegeben ist.

Im Vordergrund des Bildes mehrere Personen, die die Gottesmutter teilweise auf Knien anbeten. Links stehen die Brüder des hl. Bernhard in schwarzen Mönchskutten. Über ihren Häuptern sind auf flatternden Schriftbändern v. l. n. r. ihre jeweiligen Namen (E–I) verzeichnet. Vor dieser Gruppe kniet eine kleinere Stifterfigur ebenfalls in Mönchskutte. Rechts neben ihr der tartschenförmige Wappenschild, den ein breiteres Schriftband mit der Anrufung (J) überfängt. Im rechten Bildvordergrund die Eltern und die Schwester des hl. Bernhard in kniender Anbetung. Vor dem Vater das entsprechende Vollwappen. Über den Häuptern der Eltern zwei weitere Schriftbänder mit deren Namen (K, L). Sämtliche Inschriften wurden in Schwarz auf weißen Grund gemalt.3

Maße: H. 88, B. 61,4 Bu. 0,5–0,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/7]

  1. A

    Venite ad me om(n)es5) · Math / = 11 ·

  2. B

    · S(anctus) · bernardus

  3. C

    · S(anctus) · walachiasa)

  4. D

    · 1534 ·

  5. E

    · 1 · Guido ·

  6. F

    · 2 · //b) Gerardus

  7. G

    · 3 · Andreas ·

  8. H

    · 4 · Bartholomẹc)

  9. I

    · 5 · Niuardus

  10. J

    Non dereliquisti que=/rentes te dom(in)e ·d)6)

  11. K

    · P(ate)re) · bernardi · / Tecelin(us) de fonta/nis

  12. L

    · Mater · / Aleth de monte / · Baro

Übersetzung:

Kommt alle zu mir. (A) – Du hast nicht verlassen, Herr, die dich suchten. (J) – Bernhards Vater Tescelin von Fontaines. (K) – Die Mutter Aleth von Montbard. (L)

Wappen:
Hl. Bernhard, Alt-Burgund, Baden-Sponheim;
Röder von Hohenrodeck;
Metzger7, hl. Bernhard8.

Kommentar

Obwohl die Buchstaben noch an vielen Stellen die typischen Brechungen der Gotischen Minuskel aufweisen, lassen sich bereits zahlreiche spitzovale Bögen erkennen, so bei d, o und bisweilen auch bei e. Das Schluß-s ist regelmäßig als Schleifen-s gestaltet. Das u wird stets durch das diakritische Zeichen eines oben offenen Bogens markiert. Der obere Bogenabschnitt des G ist weit nach rechts verlängert. M und N sind in der Grundform des jeweiligen Minuskelbuchstaben wiedergegeben. Das runde T besitzt einen geschwungenen Balken und einen verdoppelten Schaft, dessen linker Teil als Bogen ausgeführt wurde. Als Worttrenner dienen teils Punkte, teils kurze geschwungene Balken auf halber Zeilenhöhe.

Das Gemälde stammt nach stilistischen Kriterien offenbar von der Hand des Malers Nikolaus Kremer, der als Schüler Hans Baldung Griens bis 1547 in Straßburg lebte, danach Bürger der Stadt Baden wurde und 1553 in Ottersweier verstarb.9 Der Stifter, Sebastian Metzger aus Calw, war bis 1535 Konventuale im Kloster Herrenalb (Lkr. Calw), hatte aber schon im Jahre 1525 oder wenig später das Amt des Beichtvaters in Lichtenthal übernommen.10 Als er 1535 infolge der durch Herzog Ulrich von Württemberg eingeleiteten Reformation aus Herrenalb vertrieben wurde,11 erhielt er in Lichtenthal von der Äbtissin Rosula Röder unter Anerkennung seiner Verdienste als Priester eine Pfründe12 und verblieb hier bis zu seinem Tod im Jahre 1540.13

Das Andachtsbild wurde bisher offenbar aufgrund des Psalmzitats (J) als Votivbild interpretiert.14 Monika Kopplin nahm an, der Stifter habe es aufgrund seiner freundlichen Aufnahme in der Abtei Lichtenthal nach seiner Vertreibung aus Herrenalb in Auftrag gegeben.15 Da das Bild aber bereits 1534 entstanden ist, Metzgers Pfründbrief jedoch erst vom 10. Oktober 1535 datiert,16 setzt diese durchaus wahrscheinliche Hypothese ein bereits früher erteiltes Hilfsversprechen von Seiten der Äbtissin voraus.

Textkritischer Apparat

  1. So für Malachias.
  2. Wechsel auf die Vorderseite des Schriftbandes.
  3. Vom e nur ein Teil des Schaftes ausgeführt, die letzte Silbe scheinbar in das Schriftband eingerollt; lies: Bartholomeus.
  4. Vegetabiles Ornament als Zeilenfüller.
  5. Kürzung durch Balken über dem r.

Anmerkungen

  1. Angaben zu Technik und Material nach Kdm. (wie unten). Das Gemälde heute gerahmt und unter Glas.
  2. Die Vorlage für die Bildkomposition bildet ein französischer Holzschnitt aus einem 1513 erschienenen Band mit den Predigten Bernhards von Clairvaux, vgl. Rott, Quellen und Forschungen, T. 3, Bd. 3, 92 (Abb. 45), 94 Anm. 1 (bibliogr. Angaben).
  3. Ein von Anja Eichler bezeugtes Monogramm des Malers Nikolaus Kremer in der unteren rechten Bildecke (vgl. 750 Jahre Lichtenthal 303 nr. 151) konnte nicht wahrgenommen werden, mag aber unter Glas nicht erkennbar oder unter dem Bildrahmen verborgen sein. Allerdings wird die Künstlersignatur auch sonst nirgends bezeugt.
  4. Bildmaße ohne Rahmen; mit Rahmen: H. 107,5, B. 80 cm.
  5. Mt 11,28.
  6. Ps 9,11.
  7. Linksgewendet. In Rot über grünem Dreiberg ein schräg gelegtes und von zwei goldenen Sternen begleitetes Metzgerbeil.
  8. Helmzier: ein geschlossener, mit dem Wappenbild bezeichneter Flug. Das Wappen hier dem Vater des hl. Bernhard, Tescelin le Saur, Herr von Fontaine, zugewiesen, dessen Abkunft nicht überliefert ist; vgl. zur Biographie und Familie des hl. Bernhard Peter Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1998, passim.
  9. Vgl. zur Identifizierung des Malers Rott (wie unten) und Anm. 3. Zu Nikolaus Kremer selbst siehe nr. 296.
  10. Vgl. zu Sebastian Metzger Rott, Quellen und Forschungen, T. 3, Bd. 3, 94; Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 75, 81.
  11. Vgl. zur Aufhebung des Klosters Herrenalb Manfred Kohler, Die Bauten und die Ausstattung des ehemaligen Zisterzienserklosters Herrenalb, Heidelberg 1994, 16; Friedrich von Weech, Die Aufhebung des Klosters Herrenalb durch Herzog Ulrich von Wirtemberg, in: ZGO 33 (1880) 296–362.
  12. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 81 Anm. 935. Zur Äbtissin Rosula Röder von Hohenrodeck vgl. nr. 211 Anm. 6.
  13. Vgl. zum Ableben Sebastian Metzgers GLA Karlsruhe 64/47, Nekrolog Lichtenthal III, fol. 7r: „+ Anno salutis 1540: 5: Nonas Apprilis obiit Religiosus, et Gnarus pater Sebastianus Lanius Calvensis, professus in Alba dominorum. A concionibus et confessionibus jn lucida Valle fidelis Minister (…)“, zit. in Rott, Quellen und Forschungen, T. 3, Bd. 3, 94 Anm. 3.
  14. Vgl. Kdm. (wie unten); 750 Jahre Lichtenthal (wie unten); Renaissance (wie unten).
  15. Vgl. Renaissance (wie unten).
  16. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 81 Anm. 935. Dieses Datum entspricht auch dem Zeitpunkt der Vertreibung der Mönche aus dem Kloster Herrenalb (1535/36), vgl. Kohler (wie Anm. 11).

Nachweise

  1. Ausstelllung Baden-Baden (1902) 69.
  2. Deodata, Frauenkloster Lichtental 226 (nur D; falsch).
  3. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 0528 (Photo Wilhelm Kratt), 06546.
  4. Rott, Quellen u. Forschungen, T. 3, Bd. 3, 93f. (Abb. 46).
  5. Kdm. Baden-Baden 472f. nr. 15 (Abb. 382).
  6. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 7: Gemälde, fol. 18r (Photo Wilhelm Kratt).
  7. Die Zisterzienser 618 nr. H 8 (Abb.).
  8. Renaissance, Bd. 1, 170f. nr. C 6 (Autorin: Monika Kopplin; Abb. C 6).
  9. 750 Jahre Lichtenthal 303f. nr. 151.
  10. Kloster Lichtenthal – 750 Jahre 94 (Abb.).
  11. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd. 1: Museum, Fürstengang 1, Habsburg bis Pestlegende, o. S. (nur D).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 239 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0023900.