Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 230 Baden-Baden, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau (ehem. Stiftskirche) 1527

Beschreibung

Epitaph für den Stiftspropst Johannes Auwer von Ow. Innen an der Ostwand des nördlichen Nebenchorjochs (Salvechörlein) rechts neben der Apsis in etwa 4 m Höhe. Sandstein, ehemals farbig gefaßt. Die querrechteckige Platte ist vertikal in zwei Bereiche unterteilt und wird oben von einer breiten, vorkragenden Profilleiste abgeschlossen. Links ein eingetieftes hochrechteckiges Feld mit einer reliefierten Figurengruppe über zwei Wappenschilden. Im Zentrum und links die Darstellung der Anna-Selbdritt. Am Rand Maria, die den nackten Jesusknaben auf ihren Knien hält. In der Mitte die hl. Anna, die ihm eine Frucht oder eine gestürzte bauchige Flasche entgegenstreckt und gleichzeitig seinen linken Fuß umfaßt.1 Rechts davon das Abbild des Verstorbenen, bekleidet mit einer Almutie. Er kniet und hält in der Linken ein rotes Birett vor dem Leib. Auf der verbleibenden Fläche neben dem Relief die zeilenweise eingemeißelte Gedenkinschrift. Da die rechte untere Ecke der Platte bereits vor 1801 ausgeschnitten wurde,2 sind die unteren vier Zeilen, von denen die letzte am linken Rand unter dem Bild einsetzte, verstümmelt. Von der älteren Farbfassung nur noch Reste sichtbar.

Maße: H. 58, B. 72, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. MEMORIAa) · VENERABILISb) · / ETc) · CLARISSIMId) · VIRI · D(OMI)NI · / IOANNIS · AWER · DE · / AWE3) · IVRISCONSVLTIe) · / HVIVS · ECCLESIE · P(RAE)P(OSI)TIf) · IN · / MORTE[M – – –] / OBIIT · A(NN)[Og) – – –] / 1527 [– – – ]h) / [CV]I · OPTI(M)VS · DEVS · FRVI · CO(N)CED[AT – – –]i)

Übersetzung:

Gedächtnis des ehrwürdigen und hochberühmten Mannes, des Herrn Johann Auwer von Ow, des Rechtsgelehrten und Propstes dieser Kirche. Er verstarb (…) im Jahre (…) 1527 (…), dem Gott, der beste, den Genuß (…) gewähren möge.

Wappen:
Auwer von Ow4, unbekannt5.

Kommentar

Die Kerben der schlank proportionierten Buchstaben nehmen in den Bögen sowie in den freien Enden geringfügig an Breite zu. Dem beschränkten Platz trug der Steinmetz durch Nexus litterarum, Verschränkungen sowie zahlreiche über- und untergestellte Buchstaben Rechnung. Der Kürzungsstrich über der Zeile ist regelmäßig mit einer Ausbuchtung nach oben ausgestattet. Sämtliche Balken am E sind von gleicher Länge. Der Mittelteil des geraden M beansprucht nur die obere Zeilenhälfte. Der Schrägschaft des N ist deutlich schmaler, die Cauda des R fast geradlinig ausgeführt. Als Worttrenner dienen kleine Dreiecke auf halber Zeilenhöhe.

Dr. Johannes Auwer war ein unehelicher Sohn Georgs VIII. von Ow zu Zimmern, des Landvogtes Herzog Ulrichs von Württemberg in Mömpelgard.6 Er ist demnach sicher nicht identisch mit dem 1485 an der Universität Freiburg immatrikulierten „Johannes Hower de Friburgo“.7 Am 14. Mai 1492 wurde er von Markgraf Christoph I. von Baden dem Kollegiatstift als vierter Propst und Nachfolger Johannes Horns präsentiert.8 In einer Kanzleiordnung von 1495 ist er in diesem Amt erstmals urkundlich nachweisbar.9 Bereits 1485 hatte Johannes Auwer den Markgrafen auf dem Reichstag zu Freiburg i. Br. vertreten.10 1490 war er von diesem als Schiedsrichter eingesetzt, 1500 zu Verhandlungen nach Basel und 1501 zum Nürnberger Reichstag gesandt worden.10 Nach seinem Tod blieb das Amt des Propstes, bedingt durch die Auswirkungen der Reformation, bis 1581 unbesetzt.11 Johannes Auwer von Ow wurde in der Stiftskirche vor dem Altar des Salvechörleins bestattet.12

Textkritischer Apparat

  1. Das erste M rot nachgezogen.
  2. Das zweite I kleiner ausgeführt, mit i-Punkt versehen und über den Balken des L gestellt.
  3. Das T kleiner ausgeführt, so daß der Deckbalken zwischen die oberen Balken des voranstehenden E ragt.
  4. Das A kleiner ausgeführt und zur Hälfte über den Balken des voranstehenden L gestellt.
  5. Das zweite V kleiner ausgeführt und nah an das voranstehende S gerückt, so daß der linke Schrägschaft in dessen oberen Bogen hineinragt.
  6. Beide P miteinander verschränkt. Das I kleiner ausgeführt und unter den Balken des T gestellt. Der Kürzungsbalken hat in der Mitte eine Ausbuchtung nach oben.
  7. Vom Kürzungsbalken über dem A noch der linke Abschnitt erkennbar. Auch die Auflösung A(N)NO denkbar.
  8. Es fehlt offenbar die Angabe des Sterbetages.
  9. Ergänze möglicherweise zu CO(N)CED[AT VITA AETERNA].

Anmerkungen

  1. Es hat den Anschein, als ob die hl. Anna den Fuß des Jesusknabens mit einer Flüssigkeit aus der Flasche beträufelt; für dieses Motiv findet sich allerdings in der Ikonographie der Anna Selbdritt bislang keine Parallele, vgl. LCI, Bd. 5, Sp. 185–190.
  2. Die Beschädigung wird bereits in GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 509, Herr (wie unten) bezeugt.
  3. Gemeint ist das noch heute in Wachendorf (Gde. Starzach, Lkr. Tübingen) ansässige Adelsgeschlecht von Ow, siehe dazu Adel am oberen Neckar. Beiträge zum 900jährigen Jubiläum der Familie von Ow, hg. v. Franz Quarthal und Gerhard Faix, Tübingen 1995, passim.
  4. Linksgewendet. Geviert, oben ein laufender Hund in verwechselten Tinkturen. Es handelt sich offensichtlich um eine Abwandlung des Stammwappens der Herren von Ow (gold-blau geteilt, oben ein roter Leopard). Darauf deuten auch die bezeugten Farbreste (blau und rot, letzteres sicherlich die Grundierung einer ursprünglichen Vergoldung) hin, vgl. Theodor Schön, Die verschiedenen Familien von Ow, von Au, von Auw, von Ouw, von Aw, von Owen, in: Vierteljahrsschrift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde 18 (1890) 271. Das abgewandelte Wappen war demnach wohl in den Tinkturen des Stammwappens blau-gold geviert.
  5. Ein aus einem waagerecht liegenden Ast entsprießender Eichenzweig mit Frucht und zwei Blättern.
  6. Vgl. Adel am oberen Neckar (wie Anm. 3) 32, 34.
  7. Vgl. zu dieser Hypothese Wielandt, Markgraf Christoph I. 509 unter Berufung auf Matrikel Freiburg, Bd. 1, 82 nr. 24.
  8. Vgl. Steigelmann, Bad. Präsentationen 505 nr. 21; GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 509, Herr, Materialien 221. Zu Johannes Horn siehe nr. 124.
  9. Vgl. Wielandt, Markgraf Christoph I. 509
  10. Vgl. ebd.
  11. Vgl. BLB Karlsruhe K 218, Herr, Materialien 224–226; Kattermann, Kirchenpolitik 108.
  12. Vgl. nr. 231.

Nachweise

  1. BLB Karlsruhe K 218, Herr, Materialien 363.
  2. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 509, Herr, Merkwürdigkeiten, fol. 41v.
  3. Herr, Begräbnisse Pfarrkirche 15 (erw.).
  4. GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 63r.
  5. Heffner, Führer 26 (erw.).
  6. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 034.
  7. Kdm. Baden-Baden 112 nr. 5.
  8. Weis, Stiftskirche 39 nr. 22.

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 230 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0023000.