Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 211 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Museum um 1520

Beschreibung

Flügelaltärchen. Im sog. Fürstenzimmer des Museums. Temperamalerei auf Holz. Auf den Außenseiten der Flügel die ganzfigurigen Darstellungen der Heiligen Bernhard von Clairvaux (links) und Benedikt von Nursia (rechts), beide im Ordenshabit, mit Krummstab und Buch. Der hl. Benedikt segnet mit der Rechten einen Becher. In den Nimben die entsprechenden Namen (A) und (B). Auf der Innenseite des linken Flügels die hl. Rosula, die im Betgestus von einem herabschwebenden Engel einen Gürtel empfängt.1 Auf der rechten Flügelinnenseite die hl. Euphrosyna, wie sie ihrem betenden Vater die Tränen trocknet.2 In den Nimben der hl. Frauen die Namen (C) und (D). Im hochrechteckigen Schrein eine ältere geschnitzte Pietà3 hinter einem Flachbogen aus vorgeblendetem Rankenwerk. Auf der etwas schmaleren Predella die Darstellung der Lactatio: Rechts Maria mit dem Jesusknaben, die dem hl. Bernhard, der sie links im Bild anbetet, aus ihrer entblößten Brust Milch spendet. Zwischen den Köpfen der beiden Halbfiguren das Gebet (E). Auf dem Schrein stand noch 1942 die wohl zugehörige Schnitzfigur der Anna Selbdritt.4 Sämtliche Inschriften in brauner Farbe aufgemalt und teilweise stark nachgezogen.

Maße: H. 56,5, B. 36, Bu. 0,8–0,9 (A–D), 0,5 cm (E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A–D), Gotische Buchschrift (E).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/7]

  1. A

    SANCTVS · BERNARDVS

  2. B

    SANCTVS · BENEDICTVS

  3. C

    SANCTA ROSVLA

  4. D

    SANCTA · EVFROSYNA

  5. E

    Monstra te esse / matre(m) sumat / p(er) te pre(cem) q(u)ia) p(ro) n(o)bis5)

Übersetzung:

Erweise dich als Mutter: Möge er durch dich das Gebet erhören, der es für uns (auf sich nahm, dein Sohn zu sein). (E)

Versmaß: Drei trochäische Hymnenverse, der dritte unvollständig (E).

Kommentar

Die offensichtlich stark nachgezogenen Kapitalis-Buchstaben zeigen nur noch an manchen Stellen ihren ursprünglichen Charakter, vor allem in den Inschriften (C) und (D). Dort sind die freien Schaftenden häufig keilförmig verbreitert. Die Schrägschäfte des A, das mitunter einen beiderseits überstehenden Deckbalken besitzt, sind überwiegend leicht nach innen eingebogen. Der Schrägschaft des N in SANCTA (D) ist nur als Haarlinie ausgeführt und besitzt in der Mitte eine Ausbuchtung nach oben. Die Bögen des S sind breit und queroval. Diese Indizien deuten darauf hin, daß es sich ursprünglich um eine Frühhumanistische Kapitalis gehandelt hat. Als Worttrenner sind heute kleine Kreise auf halber Zeilenhöhe sichtbar.

Aus der seltenen ikonographischen Darstellung der hl. Rosula läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit ableiten, daß dieses Altarretabel entweder für die Nonne bzw. Äbtissin Rosula Röder von Hohenrodeck (reg. 1519–44)oder aber in ihrem Auftrag angefertigt wurde.6 In Anbetracht der geringen Ausmaße war es vermutlich zur persönlichen Andacht im privaten Raum gedacht.7 Mafalda Bauer schließt aus dem Stil der Malereien auf den Künstler Nikolaus Kremer, von dem das Kloster Lichtenthal mehrere Bilder besitzt.8 Diese Hypothese läßt sich anhand der überwiegend überarbeiteten Schriftformen weder stützen noch widerlegen. Die Verwendung der Frühhumanistischen Kapitalis ist jedoch mit den jüngeren Datierungsvorschlägen in die Zeit um 15209 gut vereinbar.

Textkritischer Apparat

  1. Das q in den Mittellängenbereich gezogen; sein Bogen stark verkleinert. Das i klein über das q gestellt.

Anmerkungen

  1. Vgl. zur hl. Rosula Stadler, Heiligen-Lexikon, Bd. 5, 149 (die Bedeutung des Gürtels hier nicht erklärt).
  2. Vgl. zur hl. Euphrosyna ebd., Bd. 2, 116f.
  3. Vgl. SpMAORh (wie unten), hier in die sechziger oder siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts datiert.
  4. Vgl. Kdm. (wie unten).
  5. Vierte Strophe des Hymnus „Ave, maris stella“, vgl. AH, Bd. 51, 140 nr. 123. Der dritte und vierte Vers lautet vollständig: „qui pro nobis natus / tulit esse tuus“; s. a. AH, Bd. 2, 39 nr. 29; Chevalier, Repertorium, tom. 2, 116 nr. 11682.
  6. Zu Rosula Röder von Hohenrodeck vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1985) 71–85; Oberbad. Geschlechterbuch, Bd. 3, 557; Hermann Frhr. Röder von Diersburg, Beiträge zur Geschichte der freiherrlichen Familie Röder von Diersburg, in: Vierteljahrsschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie 11 (1883) 145–180, hier 171–174; Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 223f.
  7. Vgl. SpMAORh, T. 1, 356 nr. 200.
  8. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten). S. a. nrr. 239, 246, 253 und zum Maler selbst nr. 296.
  9. Vgl. 750 Jahre Lichtenthal 305 nr. 153; SpMAORh, T. 1, 356 nr. 200.

Nachweise

  1. Ausstellung Baden-Baden (1902) 128 nr. 5 (erw.).
  2. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 0510, 0860, 8635.
  3. Kdm. Baden-Baden 489 nr. 1.
  4. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 8: Plastik, fol. 34r–35r (Abb., Photo Wilhelm Kratt).
  5. 750 Jahre Lichtenthal 305f. nr. 153 (Abb.).
  6. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd.: Museum, Fürstenzimmer 11, Wand IV ab Flügelaltärchen, o. S. (Abb.).
  7. SpMAORh, T. 1, 356f. nr. 200 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 211 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0021105.