Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 161 Vimbuch (Stadt Bühl), kath. Pfarrkirche St. Johannes d. Täufer
Baden-Baden-Oos, kath. Pfarrkirche St. Dionys
1506

Beschreibung

Altarretabel. Es gehörte ursprünglich zum Hauptaltar der Pfarrkirche St. Dionys zu Baden-Baden-Oos, der den Heiligen Petrus, Andreas und Dionys geweiht war.1 Der Schrein (I) barg die drei entsprechenden Schnitzfiguren und war mit zwei Flügeln versehen.2 Im Zuge der Barockisierung der Kirche im 18. Jahrhundert wurde er in das Ooser Beinhaus verbracht, während seine Ausstattung in der Kirche verblieb.3 Die Hauptfigur des hl. Dionys (II) wurde damals separat an eine Innenwand gestellt, die beiden etwas kleineren Figuren des hl. Petrus und des hl. Andreas flankieren seither den Schrein des neuen Hauptaltars. Die ehemaligen Flügel wurden 1865 in Haueneberstein wiederentdeckt, sind jedoch bald danach erneut verschwunden. Der Schrein erfuhr in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Teilrestaurierung. Da die Gemeinde Oos sich weigerte, die Kosten zu übernehmen, gelangte er – nun mit drei fremden Figuren versehen – in die neu errichtete Friedhofskapelle zu Vimbuch. Seit 1962 dient er als südlicher Seitenaltar in der Vimbucher Pfarrkirche.

I. Schrein. Tannenholz. Vertikal in drei gewölbte Nischen untergliedert, deren mittlere stark überhöht ist. Darin hinter einem vorgeblendeten Rundbogen die Kopie der Originalfigur des hl. Dionys, die seit 1991 andere zwischenzeitlich eingestellte Schnitzfiguren ersetzt.4 In den von Flachbögen überfangenen Seitengelassen die Figuren des hl. Bartholomäus und des hl. Judas Thaddäus, die sich bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts darin befanden.5 Über den Bögen und um das Maßwerk der mittleren Nische geschnitztes Ast- und Rankenwerk. In der Mittelachse der Schreinrückseite etwa 13 cm über der Unterkante die zeilenweise eingeschnitzte Signatur (A), deren Buchstaben schwarz nachgezogen wurden. Mehrfach restauriert.6

Maße: H. 218, B. 190, Bu. 4,5–5 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/5]

  1. A

    NICLAVS · VON · / HAGNOW · J(M)a) · XV · / C · VI · IOR ·

II. Schnitzfigur des hl. Dionysius. Ursprünglich in der mittleren Nische des Schreins. Heute in der Pfarrkirche zu Baden-Baden-Oos innen an der Nordwand des Langhauses in einem neugotischen Gehäuse. Auf der Rückseite ausgehöhlt. Lindenholz, polychrom gefaßt. Der im Bischofsornat gekleidete Heilige hält seinen abgeschlagenen, mitrabesetzten Kopf mit beiden Händen vor der Brust. Der Krummstab lehnt in seiner rechten Armbeuge. Der vergoldete Saum der Kasel ist mit einer in Kreidegrund gepreßten Inschrift vor punziertem Hintergrund versehen: Von der rechten Armbeuge zum Rücken erstreckt sich die Buchstabenfolge (B), auf der Vorderseite vom rechten Unterarm bis zu den Füßen abwärts und von dort zum linken Handgelenk aufwärts die Inschrift (C). Vom Rücken zum linken Unterarm zieht sich Abschnitt (D). Für (B) und (D) bildet die Saumkante die obere Zeilenbegrenzungslinie, für (C) die Grundlinie. Mehrfach neu gefaßt und restauriert.7

Maße: H. 199, B. 47, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

  1. B

    Ab) R O I V M B Lc) N I A · O T W P A S C H · V [. . . .]d)

  2. C

    O DV · HEILLICHER · HER · SANT · DIONISIVSe) · PIT · GOT · FVR · VNS · ARMf)

  3. D

    [T]g) O H E I NMh) S A R I O S W I H E K V Ai) R I L N

Kommentar

Die Buchstaben in (A) zeigen geringfügige Bogenverstärkungen und sind an den Enden überwiegend keilförmig verbreitert. Das flachgedeckte A ist besonders schmal proportioniert, entweder nach links oder rechts aus der Achse verschoben und hat einen nur nach links überstehenden Deckbalken. Das G ist eingerollt, das O spitzoval. Der Balken des H, der mit einer Ausbuchtung nach unten versehen ist, und der Schrägbalken des N sind als Haarlinie ausgeführt. Bogen und Cauda des R verschmelzen miteinander, ohne den Schaft zu berühren. Als Worttrenner dienen paragraphzeichenförmige Quadrangel auf halber Zeilenhöhe.

Die eingepreßten Gewandsauminschriften (B–D) sind zwar etwas breiter proportioniert, der Signatur (A) aber in zahlreichen Buchstabenformen sehr ähnlich. Einige Details, wie die Bogenschwellungen und die keilförmigen Verbreiterungen der freien Schaft- und Bogenenden, sind hier noch stärker ausgeprägt. H und N weisen denselben Wechsel der Strichstärke auf. Ebenso ist der Mittelteil des M deutlich schmaler ausgeführt. Das D ist offen, das E unzial, das G eingerollt und das O spitzoval. Bogen und Cauda des R berühren einander meist im oberen Zeilendrittel, ohne daß Kontakt zum Schaft besteht. Stärkere Unterschiede bestehen lediglich in der Gestaltung des A, das über einen breiten, beiderseits überstehenden Deck- und einen gebrochenen, dünnen Mittelbalken verfügt. Das I ist in der Mitte stark eingeschnürt und besitzt einen Nodus. Als Worttrenner fungieren vierblättrige Blüten.

Die ähnliche Charakteristik der Buchstaben unterstützt den bereits von Lacroix u. a. postulierten und von Michael Rumpf überzeugend nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Altar und Figur.8 Da keine einzige Inschrift des Bildschnitzers Nikolaus von Hagenau im Original überliefert ist, muß offenbleiben, ob die Signatur (A) von ihm oder einem gleichnamigen Kistner9 stammt. Stilistische Untersuchungen zu den Figuren berechtigen bisher lediglich zu der Aussage, daß sie zweifellos unter dem Einfluß des Straßburger Künstlers entstanden.10 In Anbetracht der hohen Schriftqualität mag man jedoch auch die Inschrift eher einem Bildschnitzer als einem Kistner zutrauen. Buchstabensequenzen wie in (B) und (D) sowie das Formular der Bitte um Fürbitte in (C) lassen sich auf Schnitzfiguren des einsetzenden 16. Jahrhunderts mehrfach nachweisen.11

Textkritischer Apparat

  1. Ohne Kürzungszeichen.
  2. Nur die rechte Hälfte des Buchstaben deutlich sichtbar.
  3. Der Balken nur schwach ausgeprägt.
  4. Der Saumabschnitt von der Wand verdeckt. Es ist unsicher, ob hier weitere Buchstaben folgen.
  5. Das zweite S retrograd; hier der untere Scheitel des Kaselsaumes.
  6. Lies analog zu nr. 147: ARMEN SINDER. Saumpartie hier nach innen gekehrt, deshalb der Text nicht vollständig ausgeführt.
  7. Ergänzung nach Befund; nur der Balken und ein kurzes, allerdings leicht rechtsschräges Stück des Schaftes erkennbar.
  8. Das N leicht beschädigt und samt Hintergrund notdürftig rekonstruiert.
  9. Deck- und Mittelbalken fehlen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Rumpf (wie unten) 36; SpGORh Nachträge 140.
  2. Vgl. auch zu den folgenden Angaben zur Geschichte des Retabels Rumpf (wie unten) 36–45.
  3. Vgl. dazu als frühesten Beleg das von C. Schilling angefertigte Aquarell von 1855 in Kdm. Baden-Baden 528 (Abb. 428).
  4. Vgl. Coenen, Baukunst 209; Rumpf (wie unten) 45. Die Kopie wurde von dem Oberkircher Bildschnitzer Huber angefertigt. Bis 1972 befand sich in der mittleren Nische eine barocke Madonnenfigur, danach eine Figur des Auferstandenen, vgl. ebd. 28, 37, 41, 43.
  5. Vgl. Rumpf (wie unten) 37. Die Attribute der Heiligen sind nicht original, die Identifizierung ist deshalb ungewiß, vgl. SpGORh 178 nr. 133; Rumpf (wie unten) 41.
  6. Der Schrein wurde in den Jahren 1915, 1942–46 und 1970–72 restauriert, wobei zuletzt sämtliche Schichten der nicht mehr originalen Fassungen abgenommen wurden, vgl. Rumpf (wie unten) 44.
  7. Die letzten Neufassungen wurden 1920 (vgl. SpGORh 176 nr. 130) und gegen Ende des 20. Jahrhunderts vorgenommen (freundliche Auskunft von Pfarrer Bigott vom 27.9.2001). Ein zwischenzeitlich dem Rumpf der Heiligenfigur aufgesetzter zweiter Kopf wurde bei der letzten Renovierung wieder entfernt, vgl. Kdm. Baden-Baden 530.
  8. Vgl. Rumpf (wie unten), passim; Kdm. Baden-Baden 530; s. a. SpGORh 175f. nrr. 129f.
  9. Zur Diskussion, ob sich die inschriftliche Signatur auf den Bildschnitzer oder den gleichnamigen Kistner bezieht, vgl. Vöge (wie unten) 82; Rott, Oberrheinische Meister 73; Sauer, Kunst 377.
  10. Vgl. Recht, Nicolas de Leyde 274; Sculptures allemandes de la fin du Moyen Age dans les collections publiques françaises 1400–1530, Paris 1991, 90.
  11. Vgl. zu den Buchstabenreihen nr. 149 und allg. Werner Arnold, Gemälde-Inschriften, in: Pantheon 34 (1976) 116–120; Kloos, Einführung 45–48. Zum Formular der Bitte um Fürbitte vgl. nr. 147.

Nachweise

  1. GLA Karlsruhe N Mone 111, Mone, Aufzeichnungen Büllot, fol. 125r (nur A).
  2. Reinfried, Geschichte Schwarzach (1892) 92 (nur A).
  3. Karl Reinfried, Geschichtlicher Überblick über das Landkapitel Ottersweier und dessen Pfarreien, in: Oberrheinisches Pastoralblatt 2 (1900) 82–84, hier 83 (erw.).
  4. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 1406/12a (Photo der Zeichnung von C. Schilling, 1855; nur C), abgedr. in Kdm. Baden-Baden 530 (Abb. 430).
  5. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, o. Neg.-nr. (nur A).
  6. Otto Schmitt, Oberrheinische Plastik im ausgehenden Mittelalter, Freiburg i. Br. 1924, 9 (zu Taf. 73), 30 (nur A).
  7. Rott, Oberrheinische Meister 73 (nur A).
  8. Sauer, Kunst 377 (nur A).
  9. Hermann Krämer, Aus der Vergangenheit und Gegenwart des Dorfes Baden-Oos, Baden-Oos 1929, 254 (nur A).
  10. Wilhelm Vöge, Niclas Hagnower. Der Meister des Isenheimer Hochaltares und seine Frühwerke, Freiburg 1931, 82 (nur A).
  11. Kdm. Baden-Baden 530f. (nur C).
  12. Harbrecht, Reichsabtei Schwarzach (1957) 17 (nur A).
  13. Alfons Harbrecht, Romanische und gotische Plastiken in den Kirchen der Umgebung von Bühl, in: Bühler Blaue Hefte 11 (1962) 3–25, hier 14 (Abb.).
  14. SpGORh 168, 175 nr. 129 (nur A), 175f. nr. 130 (nur C).
  15. SpGORh Nachträge 140 (nur A), 146 (Abb. 47).
  16. Zur Geschichte des Vimbucher Kirchspiels, nach gesammelten Unterlagen, bearb. v. Otto Gartner u. Fritz Hönig, in: Bühler Blaue Hefte 26/27 (1974) 5–61, hier 30f. (Abb.).
  17. Die mittelalterlichen Bildwerke 198f. (erw.).
  18. Recht, Nicolas de Leyde 274 (nur A), 383 nr. XII.21 (nur B–D; Abb. 311, 313), nr. XII.23 (nur A).
  19. Michael Rumpf, Der Altar des Niclaus Hagenower, in: Vimbuch seit dem 16. Jahrhundert, hg. v. d. Stadt Bühl, Ortsverwaltung Vimbuch, Bühl 1991, 28 (Abb.), 32f. (Abb.).
  20. Beaulieu/Beyer, Dictionnaire 124.
  21. Coenen, Baukunst 207 (erw.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 161 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0016100.