Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 160 Bischweier, kath. Pfarramt St. Anna um 1504

Beschreibung

Schnitzfigur der hl. Anna Selbdritt. In einer Glasvitrine des Pfarrbüros. Herkunft unsicher, vermutlich aus der St.-Annen-Kapelle zu Bischweier. Holz. Die Heilige sitzt auf einer Bank und hat beide Arme, die knapp unterhalb der Ellenbogen abgesägt sind, angewinkelt. Auf ihrem Schoß hielt sie offenbar die verlorenen Figuren Marias und des Jesusknaben. Um den Kopf trägt sie eine weiße Hulle, den Körper bedecken ein langes Kleid und ein um die Schultern geworferner Mantel. Dessen Fassung wurde fast vollständig entfernt. Der Mantelsaum war ursprünglich mit einer in Kreidegrund gepreßten und mit Blattgold belegten Inschrift versehen, die nur noch in geringfügigen Resten erhalten ist. Der Schriftgrund weist eine mit Zickzackpunzen erstellte Musterung auf. Abschnitt (A) der Inschrift erstreckte sich von der rechten Schulter zur Armbeuge. (B) begann hinter dem linken Oberarm, setzte sich nach einem Fehlstück unter dem linken Ellenbogen auf den oberhalb der Knie etwas gebauschten Mantelpartien fort, brach danach im spitzen Winkel um und endete am linken Fuß. Die Saumkante bildete für (A) die obere Zeilenbegrenzungslinie, für (B) die Grundlinie. Die gesamte Figur ist durch Wurmfraß stark in Mitleidenschaft gezogen. Hinter dem linken Fuß wurde ein etwa quadratisches Stück ausgesägt und lose wieder eingesetzt.

Maße: H. 70,5, B. ca. 40, Bu. 2,5–3 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/4]

  1. A

    ·a) [– – –]N[– – –]b)

  2. B

    ·c) [– – –]A[– – –]d) /e) ẠṆNA [· S]AḶBT[RI]T[– – –]f)

Kommentar

Die verbliebenen Schriftreste geben lediglich zu erkennen, daß die Konturen der Buchstabenbestandteile in ihrer Breite willkürlich variieren. Das A besitzt einen beiderseits überstehenden Deckbalken, der sich an den Enden keilförmig verdickt. Der Schrägschaft des N ist deutlich schmaler und mit einer Ausbuchtung nach unten versehen.

Aus dem Speyerer Visitationsprotokoll von 1683 geht hervor, daß die St.-Annen-Kapelle zu Bischweier zu jener Zeit nur einen einzigen Altar besaß.1 Demnach dürfte die Skulptur ursprünglich zu dessen Ausstattung gehört haben. Stilistische Indizien und die Verwendung der Frühhumanistischen Kapitalis für die Sauminschriften grenzen die Entstehungszeit auf das letzte Viertel des 15. und das erste Viertel des 16. Jahrhunderts ein.2 Da die Kapelle um das Jahr 1504 eine Erweiterung erfuhr,3 ist anzunehmen, daß damals auch ein neues Altarretabel mit der St.-Anna-Figur angeschafft wurde. Diese Zeitstellung harmoniert im übrigen gut mit den stilistisch verwandten Schnitzfiguren zu Balg aus dem einsetzenden 16. Jahrhundert, in deren Sauminschriften auch fünfblättrige Blüten als Worttrenner dienen.4 Möglicherweise besteht hier ein Werkstattzusammenhang.

Textkritischer Apparat

  1. Quadrangel auf halber Zeilenhöhe.
  2. Von den verlorenen Buchstaben sind am Anfang nur noch wenige Schäfte und Bögen erkennbar.
  3. Fünfblättrige Blüte.
  4. Nach dem A etwa 15 cm des Saumes ausgesägt, daran anschließend der gebauschte Abschnitt auf dem Schoß der Heiligenfigur.
  5. Saumumbruch links neben dem rechten Bein der Heiligenfigur.
  6. Ergänzungen erschlossen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Trenkle, Beiträge (1883) 57f.; s. a. Max Weber, Die Sankt-Annen-Kapelle in Bischweier, in: Heimatbuch Lkr. Rastatt 6 (1979) 88–96, hier 89.
  2. Vgl. zur zeitlichen Einordnung der Frühhumanistischen Kapitalis Einl. Kap. 5.3, LXXXIVf.
  3. Vgl. nr. 159.
  4. Vgl. nr. 147.

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 160 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0016003.