Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 154 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Konventgebäude 1503?

Beschreibung

Tafelbild mit Maria und elf Heiligen. Querrechteckiges Gemälde in der ersten Etage des Abteiganges, linkerhand vor dem Eingang zum Amtszimmer. Im 19. und 20. Jahrhundert als Antependium am südlichen Seitenaltar des hl. Johannes des Täufers in der Fürstenkapelle benutzt.1 Öl auf Holz. Zwölf nebeneinander angeordnete Heiligenfiguren vor weiter, gebirgiger Landschaft, deren bewaldete Felskuppen teilweise mit Burgen und Türmen besetzt sind. In der Mitte der Gruppe die bekrönte Gottesmutter in grünem Gewand. Sie trägt den nackten Jesusknaben auf dem Arm, der mit einer Hand der zu seiner Rechten stehenden hl. Katharina zur mystischen Vermählung einen Ring an den Finger steckt.2 Neben ihr folgen v. r. n. l. die Heiligen Johannes Evangelista, Marta, Christophorus mit dem Jesusknaben auf den Schultern, Ursula und Onuphrius. Rechts von Maria stehen die Heiligen Apollonia, Johannes der Täufer, Maria Magdalena, Georg mit der Kreuzfahne und Agnes. Sämtliche Figuren sind mit ihren entsprechenden Attributen und bis auf den hl. Christophorus mit großen goldenen Nimben ausgestattet, auf denen zwischen konzentrischen Kreisen die in Rot aufgemalten Namen erscheinen (A–K). Das Salbgefäß, das die hl. Maria Magdalena vor sich hält, zeigt zwischen horizontalen Zierlinien die Jahreszahl (L). Im Vordergrund des Bildes eine blumenreiche Wiese, auf der Hasen, Vögel und andere Tiere sitzen.3 Das Bild wurde vor 1970 von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe restauriert.4

Maße: H. 44,5, B. 75, Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

LDA Karlsruhe; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/1]

  1. A

    · SANCT · MARIA ·a)

  2. B

    · SANT · KATHERINA ·

  3. C

    · SANT · IOHANNES ·

  4. D

    · SANT · MARTA ·a)

  5. E

    · SANT · VRSALA ·a)

  6. F

    · SANT · ANOFRIVS ·a)

  7. G

    · SANT · APOLONIA ·a)

  8. H

    · S(ANT) · IOHANNES · BAPTHIS(TA) ·

  9. I

    · SANT · MARIA · M(AG)DELENA ·

  10. J

    · SANT · IERG ·a)

  11. K

    · SANT · ANGNES

  12. L

    MDIIỊb)

Kommentar

Die Bestandteile der Buchstaben sind gleichbleibend schmal gezogen und bisweilen mit waagerecht, aber asymmetrisch angesetzten Sporen versehen. Das A ist stark nach links aus der Achse verschoben und hat einen nur nach rechts überstehenden Deckbalken. Das D ist unzial, das E epsilonförmig. Der Mittelteil des stark konischen M endet innerhalb des oberen Zeilenbereichs. Unter dem relativ kleinen Bogen des R setzt die nur schwach gewölbte und weit ausgestellte Cauda an. Die Bögen des S wurden breit und queroval ausgeführt. Als Worttrenner dienen teilweise paragraphzeichenförmige Quadrangel auf halber Zeilenhöhe.

Zahlreiche stilistische Indizien deuten darauf hin, daß dieses Bild von derselben Hand stammt wie vier Tafeln eines heute in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befindlichen Altarretabels, auf denen das Martyrium der zehntausend Christen, die Kreuzauffindung sowie die Heiligen Acharius, Fiacrius, Margareta und Agnes dargestellt sind.5 Dafür spricht vor allem die Gestaltung der scheinbar biegsamen und an die Köpfe angepaßten Kronen, aber auch die etwas unbeholfene Ausführung der Hände. Seit den Untersuchungen von Helmut Wallach wird der unbekannte Maler mit einem vorwiegend als Reißer für Holzschnitte und als Buchillustrator wirkenden Künstler identifiziert, der offenbar um 1510 in der Werkstatt Hans Schäufeleins mitarbeitete und sein Monogramm IS stets auf ein Schaufelblatt zeichnete.6 Da der „Meister IS mit der Schaufel“ erst um das Jahr 1515 nach Hagenau (Elsaß, dép. Bas-Rhin) kam, um dort bei dem Illustrator und Drucker Thomas Anßhelm zu arbeiten, galt dieser Zeitpunkt bisher zugleich als indirektes Datierungskriterium für beide Gemälde.7 Dabei wurde jedoch die auf dem Salbgefäß der hl. Maria Magdalena verzeichnete römische Zahl übersehen, die kaum etwas anderes als das Entstehungsjahr des Bildes bezeichnen kann. Insofern ist Wallachs Zuweisung stark zu bezweifeln, zumal die Hauptschaffenszeit des Künstlers erst zwischen 1515 und 1530 liegt8 und keine weiteren Gemälde von ihm bekannt sind.

Die Jahresangabe 1503 erinnert an die Wiederherstellung der Fürstenkapelle, deren Hochaltar in diesem Jahr ein neues Flügelretabel erhielt.9 Bei der Weihe von 1470 war der Altar auch dem Schutz des hl. Onuphrius anvertraut worden.10 Da dieser Eremit, der gegenüber anderen Heiligen seltener zum Patron gewählt wurde und auch in der sakralen Kunst Südwestdeutschlands nur eine untergeordnete Rolle spielt,11 hier am linken Bildrand erscheint, dürfte die Tafel zur damaligen Neuausstattung der Fürstenkapelle zu zählen sein.

Textkritischer Apparat

  1. Nach dem Worttrenner ein Rankenornament als Zeilenfüller.
  2. Der letzte Schaft der Jahreszahl nicht sicher erkennbar.

Anmerkungen

  1. Vgl. 750 Jahre Lichtenthal (wie unten) 263 nr. 96.; Kdm. Baden-Baden 472 nr. 10.
  2. Vgl. dazu LCI, Bd. 7, Sp. 294–297.
  3. Zur Symbolik von Hase, Schmetterling, Schlange und Eisvogel vgl. LCI, Bd. 2, Sp. 221–225, Bd. 4, Sp. 96, 75–81, Bd. 1, Sp. 597f.
  4. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten).
  5. Inv.-nr. 97 a–d. Vgl. hierzu SpMAORh, T. 1, 413–417 nrr. 245f. unter Bezugnahme auf Max J. Friedländer, Christian Rauch, Die Trauts [Rezension], in: Repertorium für Kunstgeschichte 31 (1908) 577–579, hier 579, und Rott, Quellen und Forschungen, T. 3, 86. S. a. Katalog Alte Meister, T. 1, 214 nrr. 97 b, d, a, c (Lit.).
  6. Vgl. Hellmuth Wallach, Die Stilentwickelung Hans Leonhard Schäufeleins, Diss. München [1929], T. 1, 81f. S. a. ThB, Bd. 29, 558. Zum „Meister IS mit der Schaufel“ allg. vgl. Kurt Löcher, Meister IS mit der Schaufel. Die Vermittlerrolle eines Künstlers aus dem Dürer-Kreis, in: Kunst und Antiquitäten 12 (1990) 20–24; M. Consuelo Oldenbourg, Die Buchholzschnitte des Hans Schäufelein: ein bibliographisches Verzeichnis ihrer Verwendungen mit einem Anhang über Buchholzschnitte des Monogrammisten IS mit der Schaufel (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 340), Baden-Baden 1964, 121–132.
  7. Vgl. Löcher (wie Anm. 6) 21; zur Datierung vgl. SpMAORh, T. 1, 416 nr. 246 (um 1515); Kdm. (wie unten; um 1510).
  8. Vgl. Katalog Alte Meister, T. 1, 214 nrr. 97.
  9. Vgl. nr. 153.
  10. Vgl. Kdm. Baden-Baden 451.
  11. Vgl. zum hl. Onuphrius Stieglecker (wie unten) passim, hier 426–434; s. a. LCI, Bd. 8, Sp. 84–88; DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) nr. 389 mit Anm. 5 (Lit.).

Nachweise

  1. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 0527.
  2. Kdm. Baden-Baden 472 nr. 10 (Abb. 381).
  3. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 7: Gemälde, fol. 31r.
  4. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp, Inventar, Bd.: Konventbau 3, 1. Stock, Abteigang, Großes Sprechzimmer, o. S. (Abb.).
  5. Roland Stieglecker, Die Renaissance eines Heiligen. Sebastian Brant und Onuphrius eremita (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissanceforschung 37), Wiesbaden 2001, 428 (erw.).
  6. 750 Jahre Lichtenthal 262f. nr. 96 (Abb. 96; Lit.).
  7. SpMAORh, T. 1, 416f. nr. 246 (Abb. 246; Lit.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 154 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0015405.