Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 153 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle (1503)

Beschreibung

Hochaltar. Zweiflügeliges Retabel im Chorpolygon. Ölmalerei auf Tannen- bzw. Lindenholz. Auf den Außenseiten der Flügel jeweils zwei Heiligenfiguren unter einem Bogen aus in Goldgrund gepreßtem Blatt- und Rankenwerk. Links der Erzengel Michael, der mit erhobenem Schwert auf dem Drachen steht. Daneben der hl. Andreas, der mit seiner Linken das Astschrägkreuz umfaßt und in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch hält. In dessen Nimbus der Name (A). Auf dem rechten Flügel die hll. Kirchenväter Augustinus und Ambrosius im Bischofsornat. Beide haben ebenfalls ein Buch in den Händen, ein weiteres liegt aufgeschlagen vor ihren Füßen am Boden. Dessen sichtbare Seiten sind mit Pseudoschrift gefüllt. In den Nimben der Figuren die entsprechenden Namen (B, C). Der geöffnete Schrein zeigt hinter einem vorgeblendeten Eselsrückenbogen aus Rankenwerk die Schnitzfiguren der Hl. Familie. Im Zentrum etwas erhöht die sitzende Figurengruppe der Anna Selbdritt. Darüber die Halbfigur Gottvaters im Segensgestus, flankiert von zwei schwebenden Engeln. In den Seitengelassen die stehenden Figuren des hl. Joseph (links) und des hl. Joachim (rechts). Auf den gemalten Innenseiten der Flügel unter Rundbögen aus plastischem Blattrankenwerk weitere Figuren der Hl. Sippe. Links die hl. Maria Salome neben ihrem Mann Zebedäus. Zu ihren Füßen die Kinder Jakob d. Ä. und Johannes Evangelista. Auf der Innenseite des rechten Flügels Maria Kleophas mit Alphaeus. Vor ihnen steht ihr Sohn Josef Justus, genannt Barnabas, und streckt den Arm zur Mutter empor. Rechts neben ihm sitzen bzw. knien Simon Zelotes, Judas Thaddäus und Jakob d. J., die in die Lektüre eines Buches vertieft sind. Mütter und Kinder tragen große Nimben mit den entsprechenden Namen (D–K). Sämtliche Inschriften in Kontur in Goldgrund gepreßt.

Auf der seitlich tief gekehlten Predella die Darstellung des Schmerzensmannes, flankiert von zwei Engeln mit den arma Christi. Als Antependium der Mensa dient seit 1915 eine vertikal in vier Bereiche gegliederte Tafel aus Tannenholz, die ursprünglich nicht zur Ausstattung des Altars gehörte.1 Darauf die Brustbilder der Heiligen Johannes der Täufer, Wolfgang, Nikolaus und Johannes Evangelista.

Das Flügelretabel wurde 1835–38 von J. Völlinger restauriert.2 Noch vor 1942 wurde die Fassung gereinigt und teilweise (Figuren) erneuert.2 Die letzte Restaurierung geschah 1994 durch die Firma Bunz (Karlsruhe).3

Maße: H. ca. 300, B. 225, Bu. 4 (A, B, C, D, G), 2,5 cm (E, F, H, I, J, K).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/9]

  1. A

    ·a) · S(ANCTVS) · ANDREAS · ·a)

  2. B

    S(ANCTVS) · AVGVSTINVS ·

  3. C

    · S(ANCTVS) · AMBROSIV//Sb) ·

  4. D

    · MARIA · SALOME · ·a)

  5. E

    ·a) · IACOBVS · MA(IOR)c) ·a)

  6. F

    · ·a) IOHANNES ·

  7. G

    · MARIA · IACOBE · ·a)

  8. H

    ·a) · IOSEHd)

  9. I

    · SIMON · ·a)

  10. J

    · IVDAS ·

  11. K

    · IACOB · MINe)

Übersetzung:

Jakob der Ältere (E). – Jakob der Jüngere (K).

Kommentar

Die freien Schaftenden der Buchstaben sind überwiegend keilförmig verbreitert. Die Schrägschäfte des spitzen oder flachgedeckten A sind leicht eingebogen, das D ist offen, das E epsilonförmig und das G eingerollt. Der Balken des H sowie der Schrägschaft des N sind manchmal mit einer Ausbuchtung nach unten versehen. Der Mittelteil des konischen M endet im oberen Zeilenbereich. Das O wurde gelegentlich spitzoval ausgeführt. Der Bogen des R ist im Verhältnis zu der langen, geraden und weit ausgestellten Cauda relativ klein. Als Worttrenner dienen Dreiecke auf halber Zeilenhöhe.

Die Datierung des Retabels auf das Jahr 1503 stützt sich auf einen Eintrag in einer Anniversarienordnung des Klosters.4 Damals wurde unter Äbtissin Maria von Baden die gesamte Fürstenkapelle renoviert5 und der ältere Altaraufsatz, von dem lediglich die Schlüsselmadonna erhalten geblieben ist,6 durch einen neuen ersetzt. Anlaß war vermutlich die Schenkung von Reliquien der Zehntausend Märtyrer, die der päpstliche Legat Raymund Peraudi dem Kloster im Jahre 1502 aus Rom überbracht hatte und die offenbar für den nördlichen, diesen Heiligen geweihten Seitenaltar der Fürstenkapelle vorgesehen waren.7 Aus dem Figurenprogramm des neuen Hochaltars läßt sich der gleichzeitig vorgenommene Patrozinienwechsel der Fürstenkapelle klar ersehen: So sind die ursprünglichen Titelheiligen, der Erzengel Michael, die Heiligen Ambrosius und Augustinus sowie Andreas auf den Flügelaußenseiten abgebildet. Die Ausstattung des Schreins ist hingegen ganz den neuen Schutzheiligen, der hl. Anna und ihrer Familie, verpflichtet.8

Textkritischer Apparat

  1. Ring auf Zeilenmitte.
  2. Unterbrechung durch die in den Nimbus hineinragende Krümme.
  3. Ohne Kürzungszeichen.
  4. So statt IOSEPH. Das P möglicherweise nach dem H durch den erhobenen Arm verdeckt, da geringfügige Ansätze eines Buchstaben sichtbar sind.
  5. Der übrige Bereich des Nimbus vom Oberkörper verdeckt. Ergänze zu MINOR.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kdm. Baden-Baden 462 (um 1500 datiert); Cistercienserinnen-Abtei Lichtenthal 14. Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 289, beschreibt noch ein vom Restaurator Völlinger 1835 gefertigtes Antependium, das hier das Bild Markgraf Christophs I. von Baden mit seiner Familie ersetzte (vgl. nr. 166).
  2. Vgl. Kdm. Baden-Baden 458f.; Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 288; KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 7: Gemälde, fol. 13r.
  3. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Krupp (wie unten).
  4. Vgl. Kdm. Baden-Baden 458.
  5. Vgl. zur Renovierung Stober, Denkmalpflege 120f. (hier unter Berufung auf Franz Josef Herr), Krimm, Markgrafen 79.
  6. Vgl. Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 287.
  7. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 164; Krimm, Markgrafen 79. Zu den Schutzheiligen des nördlichen Seitenaltars vgl. Kdm. Baden-Baden 449–451.
  8. Zum ikonographischen Programm des Altars und dessen Deutung vgl. ebd.

Nachweise

  1. GLA Karlsruhe N Mone 109, Mone, Aufzeichnungen Oosthal, fol. 173r, 197r (erw.).
  2. Gutgesell, Kloster Lichtenthal 45–47 (erw.).
  3. Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 286–289 (erw.).
  4. Deodata, Frauenkloster Lichtental 184f. (erw.).
  5. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nrr. 0502a, 08787, 0502, 08788, 0503, 0501a, 08794, 0501, 08793.
  6. Ausstellung Baden-Baden (1902) 123f. (erw.).
  7. Kdm. Baden-Baden 458–462 (Abb. 362f.).
  8. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 3: Fürstenkapelle, fol. 51r–53r, 59r, 63r–70r (Abb.); Bd. 7: Gemälde, fol. 13r.
  9. Schwarzmaier u. a., Geschichte 89 (Abb. des Schreins).
  10. Zorn, Kloster Lichtenthal 69 (Abb.).
  11. Krimm, Markgrafen 79 (Abb. 7).
  12. Cistercienserinnen-Abtei Lichtenthal 13 (Abb.), 14 (erw.).
  13. KA Lichtenthal, Krupp, Inventar, Ordner: Fürstenkapelle 7, Alle drei Altäre, o. S.
  14. Abtei Lichtenthal 17f. (erw.), 19 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 153 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0015308.