Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 145(†) Gernsbach, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau um 1500

Beschreibung

Schnitzfiguren einer Pietà sowie der Heiligen Georg und Christophorus. Holz, polychrom gefaßt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Fridegar Mone zur Ausstattung des älteren Hochaltars gerechnet, der bereits 1834 durch ein neugotisches Werk ersetzt worden war.1 Die beiden einzelnen Heiligenfiguren gehörten danach bis 1928 zum nördlichen Nebenaltar des hl. Sebastian.2 Später standen sie auf einzelnen Konsolen an der Orgelempore3 und befinden sich heute innen an der Westwand der Kirche. Auf ihren Gewandsäumen las Mone die entsprechenden Nameninschriften (II, III),1 die seit einer bereits vor 1963 erfolgten Neufassung3 verloren sind. Die Pietà (I) war während Mones Besichtigung in Konstanz.1 Nach ihrem Rücktransport wurde sie im Schrein des neugotischen Hochaltars aufgestellt.4 Seit der Renovierung der Kirche von 1970/71 steht sie auf einer modernen Steinkonsole innen an der Südostwand des Chorpolygons.5 Damals wurde die Figurengruppe in den Originalfarben neu gefaßt und teilweise vergoldet.6

I. Pietà. Maria stützt mit der Rechten das dornengekrönte Haupt Christi und umfaßt mit der Linken seinen Leib. Sie trägt eine weiße Hulle und über dem Kleid einen weiten, vergoldeten Umhang. Auf dessen Saum sechs konturiert in Kreidegrund eingepreßte Inschriften vor punktpunziertem Hintergrund. Auf dem Abschnitt, der von Marias rechter Hand auf den Boden herabhängt, der Lobpreis (A). Nahezu parallel dazu vom rechten Knie zur rechten Fußspitze der Abschnitt mit dem Namen (B). Auf dem Saumstück vom rechten Knie zum linken Fuß das Gebet und der liturgische Text (C) sowie der Name (D). Auf dem Abschnitt, der sich von Marias linker Schulter vor dem Arm nach unten erstreckt, die Bitte um Fürbitte (E).

Maße: H. 135, B. 90, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/5]

  1. A

    ISTA · EST · SPECIOSA7)

  2. B

    MARIA ·

  3. C

    · O · MATER · DEI · MISERERE · MEI · AVE · REGINA8)

  4. D

    IHESVS

  5. E

    ORA · PRO · NOBI·S A

Übersetzung:

Diese ist schön. (A) – O Mutter Gottes, erbarme Dich meiner. Sei gegrüßt, Königin. (C) – Bete für uns. (E)

Versmaß: Reimprosa (C).

II. Figur des hl. Christophorus.9 Der Heilige stützt sich mit der Rechten auf einen knorrigen Ast. Auf seinen Schultern trägt er den Jesusknaben, der in der Linken die Erdkugel hält. Auf dem Gewandsaum des Christophorus befand sich die Nameninschrift (F).1

Inschrift nach GLA Karlsruhe N Mone 108, Mone (wie unten).

Maße: H. 136, B. ca. 35 cm.

  1. F†

    sanct(us) Christophorus

III. Figur des hl. Georg.10 Der Heilige trägt über dem Harnisch einen um die Schultern geworfenen Umhang, dessen Saum ehemals mit der Nameninschrift (G) versehen war.1 Mit beiden Händen umfaßt er die oben mit einem Kreuz besetzte Lanze (beschädigt), um den zu seinen Füßen liegenden Drachen niederzustechen.

Inschrift nach GLA Karlsruhe N Mone 108, Mone (wie unten).

Maße: H. 130, B. ca. 35 cm.

  1. G†

    sanctus Georgius.

Kommentar

Die in Kontur eingepreßten Buchstaben zeigen deutliche Bogenschwellungen. Die freien Bogen- und Schaftenden sind in der Regel keilförmig verbreitert. Das A hat einen beiderseits überstehenden Deck- und einen gebrochenen Mittelbalken. Das unziale D und das spitzovale O sind innen nahe der Grund- oder Oberlinie mit Zierpunkten ausgestattet. Das E ist epsilonförmig. Der Balken des H und der Schrägbalken des N weisen eine Ausbuchtung nach unten auf. Der Schaft des I ist eingeschnürt und mit einem Nodus versehen. Die unteren Schaftenden von P und T sind mit einem Zierbalken ausgestattet, der am T beiderseits, am P lediglich nach rechts übersteht. Als Worttrenner dienen kräftige Punkte auf halber Zeilenhöhe.

Vor allem die Gestaltung der Haare, die in mehreren, in sich verdrehten Strähnen herabfallen, aber auch die Physiognomie der Gesichter läßt kaum Zweifel daran, daß zumindest die Figuren der Heiligen Georg und Christophorus mitsamt einer weiteren des hl. Sebastian11, für die keine Inschrift überliefert ist, aus derselben Schnitzwerkstatt stammen. Der hier zu beobachtende Faltenwurf ist mit dem an der Pietà zwar auch vergleichbar, doch weicht die Gestaltung des Hauptes Christi vom Stil der übrigen Figuren etwas ab. Es muß deshalb damit gerechnet werden, daß Mones Zuordnung der beiden einzelnen Heiligen zur Ausstattung des älteren Hauptaltars1 ein Irrtum ist. Sowohl ein der Muttergottes geweihter Hochaltar als auch ein Altar des hl. Sebastian sind bereits für das Jahr 1488 bezeugt.12 Die Verwendung der Frühhumanistischen Kapitalis, die sich überwiegend erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts nachweisen läßt,13 deutet darauf hin, daß die Pietà nicht viel früher entstanden sein kann. Der Stil aller Figuren läßt sich am besten mit einer Datierung um 1500 vereinbaren.2

Anmerkungen

  1. Vgl. GLA Karlsruhe N Mone 108, Mone (wie unten).
  2. Vgl. Kdm. Rastatt 162.
  3. Vgl. ebd. 163.
  4. Vgl. Marbach, Liebfrauenkirche 5 (Abb.), 10.
  5. Vgl. zur Renovierung der Kirche um 1970/71 Marbach, Liebfrauenkirche 6–8; Kunitzki, Gernsbach 63.
  6. Vgl. Marbach, Liebfrauenkirche 10, 14 (Restaurator Bauernfeind, Freiburg i. Br.).
  7. Incipit zahlreicher Antiphonen und Responsorien, vgl. bezüglich der Antiphonen CAO, vol. 3, nrr. 3414–3416; bezüglich der Responsorien CAO, vol. 4, nr. 6994.
  8. „Ave Regina“ ist als Incipit von zahlreichen Sequenzen und Gebeten belegt, vgl. AH, Register Bd. 1, 137.
  9. Vgl. Kdm. Rastatt 164 (Abb. 95); Marbach, Liebfrauenkirche 13 (Abb.).
  10. Vgl. Kdm. Rastatt 164 (Abb. 97).
  11. Vgl. ebd. 162–164 (Abb. 96); Marbach, Liebfrauenkirche 12 (Abb.).
  12. Vgl. Kdm. Rastatt 154.
  13. Vgl. Einl. Kap. 5.3, LXXXIV.

Nachweise

  1. GLA Karlsruhe N Mone 108, Mone, Aufzeichnungen Murgthal, fol. 32r (nur F, G).
  2. Kdm. Rastatt 162f. (II, III erw.).
  3. Recht, Nicolas de Leyde 225 (II/III erw.), 365 nrr. VI.12 (II erw.; Abb. 150), VI.14 (III erw.; Abb. 153).
  4. Marbach, Liebfrauenkirche 9 (Abb. zu I, II).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 145(†) (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0014506.