Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 142†? Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Museum um 1500

Beschreibung

Tafelbild mit der Beweinung Christi. Bis 1927 im Klostermuseum, danach an Wilhelm Kratt verkauft oder verschenkt.1 Seither verschollen. Öl auf Holz.1 Die wiedergegebene Szene durch ein großes T-Kreuz in Vorder- und Hintergrund untergliedert. Im vorderen Bereich der bildparallel liegende Leichnam Christi. Hinter ihm Maria, die ihren weiten Umhang unter dessen Körper ausgebreitet hat und ihren toten Sohn kniend anbetet. Zu ihrer Linken stützt Johannes das Haupt des Verblichenen, zu ihrer Rechten öffnet Maria Magdalena das Salbgefäß. Sämtliche Figuren nimbiert. Rechts neben der linken Schulter Christi entrollt sich in mehreren Windungen ein Schriftband, das durch den rechten, offenbar beschnittenen Bildrand unterbrochen wird und vermutlich einer verlorenen Stifterfigur zuzuordnen ist. Darauf das Gebet. Im Hintergrund des Gemäldes die fiktive Stadtsilhouette Jerusalems mit dem Garten Gethsemane und dem See Genezareth.

Inschrift nach RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv.

Maße: H. 69, B. 53, Bu. ca. 1 cm.2

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

LDA Karlsruhe [1/1]

  1. p(er) · vvln(er)osv(m) · sinu tvo · lati · amore(m) · //a) · fac · vas3) · o //a) maria · fvg[– – –]ib) · dolore(m)

Übersetzung:

Bei der schmerzvollen Liebe zu dem, den du in deinem Schoß getragen hast, bewirke, o Gefäß Maria, daß (ich/wir? …) dem Schmerz entfliehe(n).

Versmaß: Zwei Hexameter mit zweisilbigem Endreim (caudati).4

Kommentar

Die Ober- und Unterlängen der Buchstaben ragen deutlich aus dem Mittelband hervor. Die oberen Schaftenden von l und t sind rechtsschräg geschnitten. Der untere Abschnitt des gebrochenen p-Bogens ist leicht nach oben gewölbt. In amore(m) ist das Bogen-r verwendet worden. Als Worttrenner dienen Punkte auf halber Zeilenhöhe.

Die Datierung des Bildes stützt sich vor allem auf einen Vergleich mit der die Legende der hl. Ursula aufgreifenden Altartafel des ehemaligen Frauenchoraltars von 1496,5 die gegenwärtig in den südlichen Seitenaltar der Fürstenkapelle integriert ist. Auch hier findet sich eine detaillierte Stadtsilhouette mit ähnlichen Türmen und Giebeln. Ein Stadttor steht in beiden Bildnissen weit offen und gibt den Blick ins Innere frei. Weiterhin sind das Schiff und die Felsformationen im Wasser mit den Darstellungen auf dem anderen Flügel des Frauenchoraltars – dem heutigen nördlichen Seitenaltar der Fürstenkapelle – stilistisch verwandt. Daneben halten auch die Schriftformen einem Vergleich stand, wenngleich keine vollkommene Identität zu verzeichnen ist. Auf dem Schriftband der hl. Ursula, auf dem der Textverlauf wie hier zwischen Vorder- und Rückseite wechselt, läßt sich dieselbe Variation zwischen Schaft- und Bogen-r beobachten. Die Fahne des Schaft-r hat in beiden Inschriften einen unten ansetzenden Zierstrich. Die auffälligsten Parallelen weisen indes der untere Bogen des g, der nach links ausholt und im Unterlängenbereich im stumpfen Winkel gebrochen ist, sowie der in den Oberlängenbereich hineinragende und nach links umgebrochene linke Schrägschaft des v auf.

Die beschriebenen Gemeinsamkeiten mit den Altarflügeln reichen nicht aus, um das Gemälde dem unbekannten Lichtenthaler Meister oberrheinischer oder schwäbischer Schule zweifelsfrei zuzuweisen. Aber die Zeitstellung um 1500 scheint damit hinlänglich gesichert.

Textkritischer Apparat

  1. Wechsel der Inschrift auf die andere Seite des Schriftbandes.
  2. Das Schriftband wird hier durch den rechten beschnittenen Bildrand unterbrochen und erreicht wenige Zentimeter darunter erneut die noch sichtbare Bildfläche. Aufgrund der zahlreichen metrischen Ungenauigkeiten im ersten Vers bleibt der Textverlust unbestimmt. Inhaltlich käme als Ergänzung vielleicht fug[iamus Christ]i in Frage, obgleich dann das i des Genetivs wie im ersten Vers bei lati gegen die Regel als kurzer Vokal zu gelten hätte.

Anmerkungen

  1. Vgl. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer (wie unten).
  2. Vgl. Maßangaben nach einem Vermerk auf dem Photoinventarisationsblatt in RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv (wie unten). Die Buchstabengröße anhand des Photos errechnet.
  3. Zu dem geläufigen Beiwort Mariens vgl. Salzer, Sinnbilder 17f., 115.
  4. Der erste Vers mit prosodischen Fehlern; das Metrum eines Hexameters wird hier nur durch den rhythmischen Akzent imitiert. Im zweiten Vers wird die letzte Silbe von maria vor der Zäsur gelängt (Dehnung in arsi).
  5. Vgl. nr. 127.

Nachweise

  1. RP Karlsruhe (Denkmalpflege), Photoarchiv, Neg.-nr. 0438 (Photo Wilhelm Kratt, 1923).
  2. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 7: Gemälde, fol. 44r (Photo Wilhelm Kratt, 1923).

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 142†? (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0014205.