Inschriftenkatalog: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 78: Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt (2009)

Nr. 4 Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Klosterkirche (1260)

Beschreibung

Grabplatte der Markgräfin Irmengard von Baden, geb. Pfalzgräfin bei Rhein. Ursprünglich vor dem Hochaltar im Boden.1 Im Zuge der Erneuerung des Fußbodens 1947 aufrecht in das Mauerwerk der nordöstlichen Schrägwand des Chorpolygons rechts neben der Sakramentsnische eingelassen.2 Sandstein. Hochrechteckige Platte, umrahmt von einer umlaufenden Leiste aus zwei parallelen Ritzlinien. Im Binnenfeld über einem Wappenschild ein Tragkreuz in Ritzzeichnung, das aus einem annähernd kleeblattendigen griechischen Kreuz und einem etwas schmaleren Stab besteht. Darüber der in der oberen Rahmenleiste beginnende, zeilenweise eingemeißelte Grabtitel. In der Mitte die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Franz Josef Herrs Vorgaben nachgetragene und auf dem Kopf stehende Numerierung No. // I. et II.3 Die Oberfläche der Platte im oberen und unteren Bereich stark abgetreten, die Kerben der Buchstaben deshalb nur noch teilweise vorhanden. Die Rahmenleiste stellenweise beschädigt.

Maße: H. 219, B. 82, Bu. 4–4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, Baden-Baden [1/2]

  1. ⨥ IRMENGARDIS + //a) FVNDATRIX

Übersetzung:

Irmengard, die Stifterin.

Wappen:
Baden.

Kommentar

Die Buchstaben lassen deutliche Bogenschwellungen erkennen. Das trapezförmige A hat einen beiderseits überstehenden Deckbalken. Für E, N und M wurden die runden bzw. unzialen Formen gewählt, wobei das M links geschlossen ist. Die Balken des F sind von gleicher Länge. Der Bogen und die gewölbte Cauda des R setzen unabhängig voneinander am Schaft an. Die Schrägschäfte des X sind geschwungen.

Irmengard war die Tochter Herzog Heinrichs des Schönen von Braunschweig, der durch die Eheschließung mit Pfalzgräfin Agnes auch die Herrschaft über die Pfalzgrafschaft bei Rhein übernommen hatte.4 Um das Jahr 1217 wurde sie mit dem Markgrafen Hermann V. von Baden und Verona vermählt. Als dieser im Jahre 1243 gestorben war, stiftete Irmengard zwei Jahre später die Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal.5 Die Gründung hatte zuvor die Zustimmung ihres Gemahls und die großzügige Unterstützung ihrer Söhne Hermann VI. und Rudolf I. gefunden.6 Ein drängendes Motiv dafür war offenbar die Verlegung der markgräflichen Grablege in die Nähe der markgräflichen Residenz Hohenbaden, nachdem das Stift Backnang wenige Jahre zuvor (1235) von Anhängern König Heinrichs (VII.) zerstört worden war.7 So hatte man Markgraf Hermann V. wohl noch an traditioneller Stätte beigesetzt, aber mit der Weihe der Lichtenthaler Klosterkirche (1248) unverzüglich transferiert.8 Irmengard übertrug im gleichen Jahr all ihre Stiftungsgüter dem Konvent und genoß vermutlich noch bis zu ihrem Tod am 24. Februar 1260 das Wohnrecht im Kloster.9 Als Stifterin fand sie ihre letzte Ruhestätte neben Hermann V. vor dem Hochaltar der Kirche.9 Über ihrem Grab wurde etwa 70 Jahre später ein Tischgrabmal aufgestellt, das mit dem Abbild der Verstorbenen und einer weiteren Inschrift versehen ist.10 Da die ältesten Chroniken zur badischen Geschichte zwar diese Verse in vollem Umfang wiedergeben, aber die Inschrift auf der Grabplatte selbst mit keinem Wort erwähnen,11 wurde deren Originalität verschiedentlich hinterfragt. Auslöser war offenbar die merkwürdige Überlieferung: „epitaphium illic nullum habet sed oblonga solummodo crux incisa lapidi“.12 So vertritt Franz Josef Herr in seiner 1833 veröffentlichten Beschreibung des Klosters die Meinung, die Inschrift sei gemeinsam mit dem Wappenschild erst im Zuge der Umgestaltung der Klosterkirche im Jahre 1724 entstanden.13 Emil Lacroix u. a. datieren sie sogar auf die Zeit um 1830.14 Diese Vermutungen lassen sich bisher nicht bestätigen. Bezüglich der Buchstabenformen, der Gestaltung des Wappenschildes15 sowie der Anordnung der Inschrift besteht kein Grund zur Skepsis. Zum Vergleich sei auf die Grabplatten des Konrad von Sulz (12.–13. Jh.) auf der Comburg (Stadt Schwäbisch Hall)16 oder des Simon von Clepsheim (1257?) im Kloster Schöntal (Hohenlohekreis)17 verwiesen. Auf beiden erscheint der Name bzw. Sterbevermerk wie hier zeilenweise über dem zugehörigen Wappenschild. Für die Buchstabenformen finden sich Parallelen auf den etwas jüngeren Grabmälern für Heinrich Gribarius in Heidelberg (gest. 1289) oder eines Laien Sigelo in Ladenburg (gest. 1300).18 Freilich ist gerade für das Kloster Lichtenthal einzuräumen, daß mehrere Grabplatten um 1829/32 und offenbar auch noch andere zu unbestimmter Zeit unter Verwendung der Gotischen Majuskel neu geschlagen bzw. nachbearbeitet wurden.19 Allerdings ist keine der betreffenden Inschriften so stark abgetreten wie diese.20 Insofern scheint die Annahme überzeugender, daß der Grabtitel zur gleichen Zeit wie die stets bezeugte Ritzzeichnung des Tragkreuzes entstanden ist, vermutlich aber wegen des Tischgrabmals bis zu dessen Versetzung an die Nordwand des Chores10 nicht deutlich genug zu erkennen war.

Textkritischer Apparat

  1. Übergang von der oberen Rahmenleiste zum Binnenfeld.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kdm. Baden-Baden 502 nr. I, II. Zum Bestattungsort vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 48f.
  2. Vgl. Wolters/Baur, Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal 8; KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 1: Klosterkirche mit Ausstattung, Hochaltar, fol. 82r.
  3. Zu F. J. Herrs Numerierungssystem, wonach die markgräflichen Grabmäler zu Lichtenthal 1803/04 mit römischen Zahlzeichen, die übrigen aber mit arabischen Zahlen versehen wurden, vgl. GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 5.
  4. Vgl. Rainer Rüsch, Ahnenkreis der Markgräfin Irmengard von Baden (gest. 1260). Stifterin des Klosters Lichtenthal (Baden-Baden), in: Aquae 24 (1991) 13–53, insbes. 44f.; Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF, Bd. 1.2, Taf. 266; Schaab, Geschichte der Kurpfalz, Bd. 1, 60f.; s. a. Kohnle, Geschichte 50f.
  5. Zum Tod Markgraf Hermanns V. vgl. RMB, Bd. 1, nr. 383; zu Irmengard als Stifterin des Kloster Lichtenthals vgl. ebd. nr. 386; Exordium fundationis 191f.; Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 26–50 passim; Ingrid Krupp, Eine Stiftung der Markgräfin Irmengard von Baden: 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal, in: Schlösser Baden-Württemberg 1995 H. 2, 12f.; Albert Krautheimer, Die selige Irmengard von Baden, in: Albert Krautheimer, Von Heimat zu Heimat, Karlsruhe 1950, 186-188; Agnes Wolters, Irmengard von Baden, die Stifterin der Zisterzienserinnenabtei Lichtental, hineingestellt in die Welt-, Heimat- und Familiengeschichte ihrer Zeit, in: Die Ortenau 28 (1941) 91–104.
  6. Vgl. RMB, Bd. 1, nr. 386, 395; Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 26.
  7. Vgl. WUB, Bd. 4, Nachtrag 123; RMB, Bd. 1, nr. 347. Zum Motiv der Gründung einer neuen Grablege in Lichtenthal vgl. Schwarzmaier, Lichtenthal 27. Zu Backnang allg. vgl. Jürgen Sydow, Backnang in der Geschichte der südwestdeutschen Städte des Mittelalters, in: Beiträge zur Geschichte von Backnang und Umgebung, hg. v. Heimat- u. Kunstverein Backnang, Backnang 1988, 5–21; Baden-Württemberg 34f.; Land Baden-Württemberg, Bd. 3, 499–501. S. a. DI 37 (Rems-Murr-Kreis) XVIf.
  8. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 32; RMB, Bd. 1, nr. 396. S. a. DI 37 (Rems-Murr-Kreis) nr. 111.
  9. Vgl. Schindele, Abtei Lichtenthal (1984) 48f.
  10. Vgl. nr. 23.
  11. Vgl. GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 102v, bzw. BLB Karlsruhe K 526, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 30v; BLB Karlsruhe D 113, Junglerus, Vera et genuina origo, fol. 19v bzw. BLB Karlsruhe D 162, Junglerus, Stemmatis (…) radix, fol. 24v; Schoepflinus, Historia, tom. 1, 320.
  12. GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 102v bzw. BLB Karlsruhe K 526, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 30v.
  13. Vgl. Herr, Kloster Lichtenthal 11.
  14. Vgl. Kdm. Baden-Baden 502 nr. I, II.
  15. Vgl. Neubecker, Heraldik 76. Zu den frühen Schildformen allg. vgl. Nickel, Reiterschild, passim.
  16. Vgl. Johannes Zahlten, Die Grabmäler der Großcomburg. Wappensteine, Epitaphien und Familiengrablegen eines imaginären Grabmuseums, in: Die Comburg. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. v. Elisabeth Schraut (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall 3), Sigmaringen 1989, 57–80, hier 61 (Abb. 5).
  17. Vgl. DI 73 (Hohenlohekreis) nr. 2.
  18. Vgl. DI 12 (Heidelberg) nr. 11; DI 16 (Rhein-Necker-Kreis II) nr. 8.
  19. Vgl. dazu Einl. Kap. 6. nrr. *62, *65, *67–*70; Einl. Kap. 5.1., LXXV (hier zu nrr. 811, 17, 19).
  20. Auch die nachweislich erst im 18. Jahrhundert angefertigten Grabplatten im Chor der Fürstenkapelle für die Markgrafen Ludwig Wilhelm (gest. 1701), Ludwig Georg (gest. 1761) und August Georg (gest. 1771) sind bei weitem nicht so stark abgetreten.

Nachweise

  1. BLB Karlsruhe K 526, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 30v (erw.).
  2. BLB Karlsruhe D 162, Fehnle, Austriacorum (…) familia, fol. 255r (erw.).
  3. GLA Karlsruhe 65/10, Fehnle, Serenissimorum (…) progenitores, fol. 102v (erw.).
  4. KA Lichtenthal o. Sig., Glyckher, Chronik 93.
  5. Sachs, Einleitung, T. 1, 362.
  6. GLA Karlsruhe 47/37, Herr, Beschreibung Lichtenthal 10.
  7. GLA Karlsruhe G Lichtenthal nr. 1, Grundriß Klosterkirche nr. I/II, abgedr. in Kdm. Baden-Baden 510 (Abb. 416).
  8. GLA Karlsruhe Hfk-Hs nr. 510, Begräbnisse Lichtenthal, fol. 5v.
  9. Herr, Kloster Lichtenthal 11 (irrtümliche Datierung).
  10. Grieshaber, Grabmäler 160.
  11. Gutgesell, Kloster Lichtenthal 20.
  12. Loeser, Geschichte 129.
  13. Bauer, Frauenkloster Lichtenthal 260.
  14. RMB, Bd. 1, nr. 447.
  15. Deodata, Frauenkloster Lichtental 26, 163.
  16. Berl, Geschichtl. Führer, H. 8, 7.
  17. Siebert, Kloster Lichtental 301.
  18. Kdm. Baden-Baden 502 nr. I, II.
  19. KA Lichtenthal o. Sig., Bauer, Inventar, Bd. 1: Klosterkirche mit Ausstattung, Hochaltar, fol. 82r.
  20. Schindele, Abtei Lichtenthal (1978) 401.

Zitierhinweis:
DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis Rastatt, Nr. 4 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0000400.