Inschriftenkatalog: Aachen (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 32: Stadt Aachen (1993)

Nr. 59 Birmingham, City Museum and Art Gallery1) Dortmund, Museum für Kunst u. Kulturgeschichte2) London, British Museum3) um 1517

Beschreibung

Drei Pilgerflaschen. Graues Steinzeug mit gelblicher Glasur. Die drei Flaschen (im folgenden als B, D und L bezeichnet) stimmen in Maßen und Gestaltung weitgehend überein, weichen in zahlreichen Details jedoch auch voneinander ab. Flachrunde Flasche mit Füßen und Ösen für Riemen. Der kurze, vierseitige Hals zeigt auf der Vorderseite ein Schmuckornament. Seine zu den Rändern hin leicht abgeschrägte Rückseite trägt bei L und B eine Hausmarke (vgl. Anhang Nr. 14). Auf der flachen Rückseite des Flaschenkörpers ein breiter, von Perlbändern eingefaßter Randstreifen mit Blattornamenten. Darin die von einem Lilienband umgebenen plastischen Brustbilder des hl. Kornelius mit Horn und Doppelkreuzstab und des hl. Servatius mit Bischofsstab, Schlüssel und Buch. Unter den Heiligen zwei Wappenschilde, die das Korneliushorn bzw. den fünfstrahligen Stern Unserer Lieben Frau in Maastricht zeigen.4) Zwischen beiden von oben nach unten Kelch und Patene des hl. Servatius sowie die ebenfalls in Maastricht als Reliquie verehrte Rundscheibe mit Kreuz, die Maria nach der Kreuzigung Jesu bis zu ihrem Tode bei sich getragen haben soll. Auf der Vorderseite die Zeigung des Marienkleides und der Windeln Jesu durch einen Engel, der die an einer Stange befestigten Heiligtümer vor sich hält. Darunter Wappenschild mit Doppeladler. Auf die von einem Lilien- und einem Perlband umrahmte Darstellung folgt nach außen hin ein kräftig erhabener Blätterkranz. Auf einem Randstreifen umlaufend die Inschrift in erhabenen Buchstaben, beginnend in der Mitte oben.5) Worttrennung durch von Punkten umgebene ovale Buckel, zwischen coept und I durch vier übereinander angeordnete kleine Kreise, an den angegebenen Stellen durch Sternchen. Zwischen dem letzten und dem ersten Wort bei D zwei von Sternchen begleitete Rosetten, bei B und L eine Rosette und zwei Buckel.

Text nach D.

Maße: H. 17,1, Dm. 13,5, T. 6,5, Bu. 1,0 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. coept · I fles · van · aken · ter · spoet · en · hout · d'*in* heylicha) · vuater · tes · goet ·

Übersetzung:

Kauft rasch6) eine Flasche aus Aachen und bewahrt darin heiliges Wasser auf – es ist gut.

Versmaß: Niederländischer Reimvers.

Wappen:
Reichsadler

Kommentar

Die Flaschen sind die einzigen bekannten Beispiele von Pilgerflaschen, die aufgrund ihrer Darstellung und Beschriftung eindeutig einer Wallfahrt, nämlich der Aachener Heiligtumsfahrt und den gleichzeitigen Wallfahrten nach Kornelimünster und Maastricht, zuzuordnen sind. Die Wiedergabe des Marienkleides entspricht einem 1468 angefertigten Holzschnitt: in beiden Fällen hat das Kleid einen runden Halsausschnitt, an dem eine Kette mit Kreuzanhänger hängt, und ist auf eine Stange aufgezogen, an deren Enden Halterungen befestigt sind. Auch die Darstellung der übrigen Heiligtümer stimmt ikonographisch mit dem Holzschnitt überein, der bei der Gestaltung der Pilgerflasche als Vorbild gedient haben dürfte.7) Zur Datierung zieht Fritz einen Heiltumsspiegel aus dem Jahre 1517 heran, dessen Blattornamentik mit der der Flaschen übereinstimmt. Nach 1517 ist erst für 1559 wieder eine Heiligtumsfahrt nach Maastricht bezeugt.8) Eine Anfertigung der Flaschen nach 1559 kommt aus stilistischen Gründen nicht in Frage.9) Der Entstehungsort der Flaschen ist nicht gesichert. Fritz möchte sie wegen der örtlichen Nähe, des Materials und der Art der Glasur nach Raeren lokalisieren. Schnitzer wendet dagegen die Abweichungen vom erhaltenen Raerener Material besonders in der Gestaltung und in der Datierung ein.10) Aufgrund der sprachlichen Eigenheiten der Inschrift ist allerdings die Anfertigung der Flaschen eher im niederländischen als im deutschen Sprachraum zu vermuten.

Textkritischer Apparat

  1. heilich B, L.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 632–'39.
  2. Inv.-Nr. C 5442).
  3. Inv.-Nr. MLA AF 3183.
  4. Es handelt sich in beiden Fällen nicht um das Abtei- bzw. Stiftswappen.
  5. Auf D ist die Inschrift im Vergleich zu B und L um ca. 15° nach links versetzt.
  6. Mnd. mit der spot, mnl. metter spoet = ‚eilig, sogleich'.
  7. Vgl. W. Schmidt, Die älteste Holzschnittdarstellung der Heiligtümer von Maastricht, Aachen und Cornelimünster, in: ZAGV 7, 1885, S. 125 mit Abb. nach S. 158; Fritz, a. a. O., S. 78f.
  8. H.H.E. Wouters, Maastricht, ein Ziel der Aachener Heiligtumsfahrt, in: Aachen zum Jahre 1951 (Rhein. Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz, Jg. 1951), S. 198–209 (207).
  9. Fritz, a. a. O., S. 79f.
  10. A. a. O., S. 12. Sie weist insbesondere darauf hin, daß Raerener Ware überhaupt erst seit 1539 und mit ornamentalem Schmuck sogar erst seit 1570 nachweisbar ist.

Nachweise

  1. Thyssen, Heiligtumsfahrt-Ausstellung S. 283 mit Abb. S. 285.
  2. Schiffers, Kulturgeschichte, S. 154 mit Abb. 18f.
  3. R. Fritz, Pilgerflasche, S. 76 mit Abb.
  4. Große Kunst, S. 83 Nr. 202 u. Tf. 231.
  5. B. K. Schnitzer, Drei Pilgerflaschen zur Aachener Heiltumsfahrt, Keramos 76, Apr. 1977, S. 9–14 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 32, Stadt Aachen, Nr. 59 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di032d002k0005905.