Inschriftenkatalog: Aachen (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 32: Stadt Aachen (1993)

Nr. 43 St. Paul 1493

Beschreibung

Bauinschrift in der Wand der Seitenkapelle, aus drei Steinen zusammengefügt. Unpolierter Blaustein, gut erhalten. Oben, unten und links eingehauene Randstreifen als Begrenzung. Inschrift dreizeilig zwischen Linien. Auf der Linie zwischen der ersten und zweiten Zeile in der Mitte des linken und mittleren Steins eine, im rechten Stein zwei runde Vertiefungen, die beim Versetzen des Steins als Zangenlöcher dienten.

Maße: B. 215, H. 65, Bu. 10 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. duse(n)t vierhu(n)dert nu(n)tzich iair dry data currensa) /niclais me strav(it)b) quem kynt bopardia pavit /patres theutonie tunc mortec) fuere marie · capittula(riter)d)

Übersetzung:

Eintausendvierhundertdreiundneunzig (war) das laufende Datum, da erbaute1) mich Nikolaus Kynt, den Boppard hervorbrachte. Die Väter der deutschen (Provinz) waren damals am Todestage Mariä zum Kapitel (versammelt).

Versmaß: 2 leoninische Hexameter (niclais – marie).

Datum: 15. August

Kommentar

Der ursprüngliche Anbringungsort der Inschrift war eine nicht mehr erhaltene Gartenmauer, die zugleich die Begrenzung zur heutigen Paulusstraße hin darstellte.2) Die Errichtung bzw. Fertigstellung der Gartenmauer gehört zu den Bautätigkeiten, die in die Amtszeit des 1488 zum Prior gewählten Nikolaus Kynt von Boppard fallen.3) Das Totenbuch des Dominikanerklosters verzeichnet zum 1. Mai: „Fr. Nicolaus de Poppardia, lector generalis et quondam prior huius conventus, qui insignem in horto murum cum hac Epigraphi erexit ...“.4) Den Text der Inschrift überliefert der Nekrolog allerdings abweichend von der erhaltenen Form: „Niclas me stravit, quem Kind Bopardia pavit / Augusto vere, dum mors celebrata Marie“.5) Diese Abweichung und die ungewöhnliche grammatische Form der Inschrift haben zu Zweifeln daran geführt, ob die heutige Fassung auch die ursprüngliche ist. Heß vermutet gar, daß es sich um Bruchstücke dreier verschiedener Inschriften handele, die nach dem Brand des Jahres 1656 zusammengesetzt worden seien.6) Der äußere Befund steht dieser Annahme allerdings entgegen. Wie bereits Scheins betont7), ist die technische Ausführung der Inschrift gut. Die schmalen Buchstaben sind sehr gleichmäßig eingehauen, das Schriftbild bietet keinerlei Hinweise auf die Tätigkeit verschiedener Hände. Die zwischen den Zeilen sehr gerade eingehauenen Linien verstärken den Eindruck der Einheitlichkeit. An der Zusammengehörigkeit der drei Steine kann aufgrund des Schriftbefundes nicht gezweifelt werden.8) Das Fehlen einer Begrenzung am rechten Rand läßt vermuten, daß sich mindestens ein weiterer Stein anschloß. Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, daß dieser auch (versifizierten) Text getragen hat. Das letzte Wort ist an den metrischen Text angehängt. Wäre der Text nicht abgeschlossen gewesen, wäre capittulariter wohl in den nächsten Vers integriert worden. Ein rechts anschließender Stein könnte aber ein Wappen getragen haben.

Der äußeren Homogenität steht der auffällige innere Befund gegenüber. Neben der ungewöhnlichen Auswahl der Verben für den zweiten Vers fällt ins Auge, daß der Text unvermittelt abbricht. Scheins regt daher die sinngemäße Ergänzung congregati an. Die im Nekrolog überlieferte Version der Inschrift wirkt demgegenüber flüssiger. Vielleicht lassen sich die Abweichungen dadurch erklären, daß die im Totenbuch überlieferte Fassung die ursprünglich vorgesehene ist, die vor der inschriftlichen Ausführung aber abgewandelt wurde, um auch das Abhalten des Provinzialkapitels in Aachen inschriftlich festzuhalten. 1493 fand erst zum viertenmal eine solche Versammlung in Aachen statt9), die daher durchaus als herausragendes und erwähnenswertes Ereignis zu werten ist.

Textkritischer Apparat

  1. nirrens Quix.
  2. Kürzung durch hochgestelltes Kreuzchen.
  3. monte oder moite Quix.
  4. Kürzung durch hochgestelltes r.

Anmerkungen

  1. Striare bedeutet eigentlich ‚auskehlen‘, ‚kannelieren‘ (vgl. Georges II, Sp. 2823). Hier ist damit wohl ‚erbauen‘ allgemein gemeint. Scheins vermutet bereits, daß die Wortwahl aus Reimgründen erfolgte (Beiträge 3, S. 46); allerdings ist auch das Reimwort pavit im Textzusammenhang ungewöhnlich.
  2. Scheins, Beiträge 3, S. 39.
  3. Vgl. Lehmann, Mitteilungen, S. 22f.
  4. Loe, Necrologium, S. 12.
  5. Ebd.
  6. Heß, Festschrift, S. 21.
  7. Scheins, Beiträge 3, S. 42.
  8. Auch für die nachträgliche Übertragung einer „zusammengestückelten“ Inschrift auf einen neuen Träger gibt es keine Anhaltspunkte; die gotische Minuskel entspricht durchaus der im ausgehenden 15. Jh. üblichen Form.
  9. Nach 1367, 1391 und 1433 (vgl. Scheins, Beiträge 3, S. 47).

Nachweise

  1. Quix, Dominikaner-Kloster, S. 48.
  2. Heß, Festschrift, S. 21.
  3. Scheins, Beiträge 3, S. 39–49 mit Abb. nach S. 40.
  4. KDM 10,2, S. 188f.

Zitierhinweis:
DI 32, Stadt Aachen, Nr. 43 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di032d002k0004300.