Inschriftenkatalog: Aachen (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 32: Stadt Aachen (1993)

Nr. 5† Burtscheid, St. Johann Baptist 12. Jh.

Beschreibung

Manschette von einem Abtsstab. Kupfer. Inschrift zweizeilig zwischen Linien. Der Streifen wurde 1944 beim Brand der Kirche zerstört.

Lesung nach Foto.1)

Maße: H. 2,6, B. 8, Bu. 0,3 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland [1/1]

  1. +PASTORIS · VIRGA · CV/RVAT(VR) · VT · ATTRAHATa) · APTAb)

Übersetzung:

Der Hirtenstab wird gekrümmt, damit er das Passende an sich zieht.

Versmaß: Leoninischer Hexameter.

Kommentar

Der Vers verweist auf die symbolische Bedeutung des Hirtenstabes, die von den Liturgikern des 12. Jh. thematisiert wird. So erläutert Honorius Augustodunensis: „virga vel baculus est recurvus, ut aberrantes a grege docendo ad poenitentiam trahat“.2) Hugo Victorinus überliefert den Spruch „attrahe per curvum, medio rege, punge per imum3), der sich in ähnlicher Form am Bernwardstab im Hildesheimer Domschatz findet.4)

Die Diskussion um die Datierung der Manschette, deren Inschrift schon bei Gelenius und Redinghoven überliefert ist, lebte neu auf, als Kraus sie 1868 an einem jüngeren Abtsstab im Reliquienschrein des hl. Gregor, des ersten Burtscheider Abtes († 999), fand. Bereits Faymonville hat die Vermutung von Kraus, es handele sich um ein Stück vom Abtsstab des hl. Gregor, zurückgewiesen.5) Die Schrift, die zwar noch weitgehend kapitale Formen, daneben aber auch unziales A und T verwendet, schließt eine entsprechend frühe Datierung aus und verweist die Manschette ins 12. Jh. Ihre Entstehung rückt damit zeitlich in die Nähe der Erhebung der Gebeine Gregors, die um 1180–90 vom Burtscheider Abt Arnold veranlaßt wurde.6) Die schwungvollen, leichten Unzialformen, die jeweils nur einmal verwendet wurden, stehen in augenfälligem Gegensatz zu dem insgesamt ungelenken Eindruck, den die Inschrift erweckt. Er entsteht durch die breite, behäbige Form der kapitalen Buchstaben A, H, T und V einerseits, durch die Abkehr von der kreisrunden Form der Bögen andererseits sowie durch unregelmäßige Spatien. Möglicherweise wurde bewußt ein „altertümlicher“ Schriftcharakter angestrebt, um ein höheres Alter der Manschette vorzugeben.

Textkritischer Apparat

  1. ATRAHAT Redinghoven, Gelenius; ATTRAHIT KDM; ABTRAHAT Maier.
  2. VT ATTRAHAT APTA] APTA VT ATTRAHAT Kraus, AASS; APTA VT ABTRAHAT Maier.

Anmerkungen

  1. Landschaftsverband Rheinland, Fotoarchiv.
  2. Gemma animae c. 218 (Migne, PL 172, Sp. 610).
  3. Speculum de mysteriis ecclesiae c. 6 (Migne, PL 177, Sp. 354).
  4. Berges, S. 87 ff.
  5. KDM 10,2, S. 258.
  6. MGH SS XV / 2, p. 1198f.; vgl. Wurzel, S. 29.

Nachweise

  1. BSB, Slg. Redinghoven XVII, f. 220v.
  2. HAStK, Gelen. Farrag. IX, f. 55v.
  3. Kraus II, Nr. 498.
  4. Ders., Horae Belgicae, BJbb 50/51, 1871, S. 199–251 (227).
  5. AASS Nov. II, p. 476.
  6. Maier, Kirchenschatz, S. 51.
  7. KDM 10,2, S. 258 u. Fig. 119.

Zitierhinweis:
DI 32, Stadt Aachen, Nr. 5† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di032d002k0000500.